200 Menschen demonstrieren am Samstag im Illerstadion gegen 1200 »Querdenker«, denen sie einen »Schulterschluss mit extremen Rechten« vorwerfen. Doch wie rechts ist Querdenken Kempten wirklich?
Dem Aufruf der Initiative Kempten gegen Rechts zum Gegenprotest zur Querdenken-Versammlung folgten am Samstag rund 200 Menschen aus dem gesamten Allgäu. Mit ihrem Protest bezogen sie Stellung gegen die selbsternannten »Querdenker«, »die immer mehr Anhänger*innen in einen Sumpf aus undifferenzierter Kritik an den Pandemie-Maßnahmen, Verschwörungserzählungen, Populismus, Reichsbürger-Propaganda, NS-Diktatur- und Shoa-Vergleichen und vielen weiteren problematischen Inhalten zieht.« So beschreiben die Initiator_innen des Protest am Sonntag ihre Motivation in einer Pressemitteilung.
»Schulterschluss mit Nazis« als Meinungsfreiheit verbrämt
»Solidarisch, bunt und laut« hätten die Querdenken-Gegner_innen ihrem Protest mit zahlreichen kritischen Redebeiträgen, Sirenen, Trillerpfeifen, Ratschen und Musik »lautstark Ausdruck gegen die Verbreitung gefährlicher Inhalte« verliehen. Gleichzeitig zeigten sie ihre »aufrichtige Solidarität mit allen Menschen, die härter als andere von den Auswirkungen der Krise und unterschiedlichen Maßnahmen betroffen sind«, wie es in einem der Redebeiträge hieß.
»Unsere Solidarität gilt allen Menschen, die im Zuge dieser Pandemie und den getroffenen Maßnahmen und auch schon davor zurückgelassen wurden und werden und denen dringend nötige, individuell angepasste Unterstützung und Hilfsangebote nicht zugestanden oder gar verweigert werden«, bekannte die Initiative Kempten gegen Rechts zu Beginn des Protests. Sie kritisierte weiter, dass Querdenken »einen Schulterschluss mit Nazis und anderen extremen Rechten eingeht« und dieses Verhalten als gelebte »Meinungsfreiheit« verbräme. Indem die Querdenken-Bewegung, die immer mehr Zulauf erhalte, mit extremen Rechten »gemeinsame Sache macht«, böte sie diesen »eine anschlussfähige, öffentliche Plattform […] für die ungehinderte Verbreitung menschenfeindlicher Ideologien« und treibe so »den erstarkenden Rechtsruck in unserer Gesellschaft voran«.
Querdenken zwischen NS-Relativierung und Umsturzphantasien
Tatsächlich sagte etwa der Kauferinger Arzt Rolf Kron erst am Montag zuvor auf einer Querdenken-Versammlung in Kempten vor 800 Personen, dass ihm egal sei, ob die Menschen im Publikum wenn sie nach Hause führen, ihre Frauen schlügen, sich mit Kinderpornos beschäftigten oder »Hitlerkreuze an die Wand malen«. Denn sie seien hier und das sei gut so. Es ist noch keinen Monat her, dass Kron auf einer ähnlichen Versammlung in Lindau den rechten Arm zum Hitlergruß erhob und den Nationalsozialismus relativierte. Beide Reden sind durch Aufnahmen belegt. Am Samstag in Kempten wiegelte Kron dennoch ab: Die Presse habe das aufgegriffen, um zu spalten und ihn zu diffamieren. Tatsächlich habe er gesagt: »Wir sind eine große Menschenfamilie.«
NS-Relativierung und Hitlergruß auf der Bühne von »Klardenken Schwaben« in #Lindau: Der Mund-Nasen-Schutz entspreche dem Hitlergruß, meint der Kauferinger Arzt Rolf Kron. Was sagt die @PolizeiSWS dazu?
Mehr zu Kron: https://t.co/0NjNC6aVF9 pic.twitter.com/StkzmybZ6W
— Sebastian Lipp (@SebastianLipp) October 28, 2020
Auch andere Teilnehmende zeigten, wie willkommen die extreme Rechte unter den selbsternannten »Querdenkern« ist. Ein zeitlich vorgelagerter »Trauermarsch« beerdigte symbolisch das Grundgesetz und sprach im Bezug auf den Infektionsschutz NS-relativierend von einem »Ermächtigungsgesetz«. Vier Personen beteiligten sich als wandelnde Litfaßsäulen. Sie bedienten antisemitische Verschwörungsmythen und warben mit Portraits von Hitler, Lauterbach und Soros für ein verschwörungsideologisches Machwerk aus dem QAnon-Universum. Eine andere fabulierte von einer Verschwörung eines »Deep State«, eines geheimen Staates im Staate. In die selbe verschwörungsideologische Kerbe schlug Daniel Langhans in seiner Rede. »Deutschland zeig dein Gesicht, fürchte dich nicht«, sprach er seinem Publikum Mut zu – nur um dann wieder Angst zu schüren: »Wir sind im Krieg«, so Langhans. Die Corona-Maßnahmen seien Foltermethoden, die »Menschen brechen« sollen und die Verschwörung so gigantisch, dass selbst Querdenker keine Ahnung hätten, wie groß sie wirklich sei.
Danach sprach auch der Kriminalhauptkommissar a. D. Karl Hilz in seiner Rede von einer »kriminellen« weltweiten Verschwörung, die zusammenwirke mit »Behörden, Justiz und Politik. Und da hat die Politik per Gesetz und per Anordnungen dafür gesorgt, dass es kein Verfolgungsorgan gibt, das sie aus ihren Ämtern holen und einsperren könnte. Aber die Polizei hat die Möglichkeit, sich selbst so zu organisieren, dass sie auch diese Straftaten verfolgen […] aus ihren Büros holen, einsperren und die Straftaten beweisen kann. Und dazu fordere ich alle Beamten und alle Polizisten dieses Staates auf.« Selbst diesem unverhohlenen Aufruf an die Polizei, den Staat zu stürzen, applaudierte die Menge.
Später am Abend sprach Hilz auf einer Podiumsdiskussion vor rund 3000 Zuschauern und am Sonntag in Obergünzburg vor rund 130 Personen. Dabei wiederholte er jeweils ähnliches, sprach auch von einem am Mittwoch verabschiedeten »Ermächtigungsgesetz« nach dem Vorbild des Dritten Reiches und kündigte eine Kampagne zur Auflösung des Landtags an. In Obergünzburg behauptet Hilz außerdem, ein Milliardär wolle durch die Corona-Impfung 15 Prozent der Weltbevölkerung ermorden.
Zum Schluss sagt Hilz, es gäbe keine gefährliche Infektionskrankheit an der man derzeit sterben könne. #ke2111
— Sebastian Lipp (@SebastianLipp) November 21, 2020
Manche Demonstrierende folgten augenscheinlich dem unter Querdenkern vorab kursierenden Aufrufen zur Schutzbewaffnung, traten mit Querdenker-Bommel auf oder warben für die Verschwörungserzählungen um »QAnon« und rechte Infokanäle. Als Ordner war unter anderem Andreas H. eingesetzt, der schon früh auf Kemptener Querdenken-Demonstrationen mit Bezügen zu Reichsbürgern auffiel und unter den »Querdenkern« inzwischen auch für Holocaustleugner und die rechtsradikale Identitäre Bewegung wirbt. Ein weiterer Ordner trat im Illerstadion mit der Wirmer-Flagge auf, die auch im Allgäu beliebt ist bei Rechten verschiedener Couleur, darunter Neonazis und Pegida, Reichsbürger, German Defence League und AfD. Letztere war am Samstag etwa vertreten durch den Oberstaufener Gastwirt Axel Keib.
Gegenprotest für differenzierte Kritik an Maßnahmen-Umsetzung
Zu einem Einlenken unter den »Querdenkern« führte der Gegenprotest offenbar nicht. Später diskutierten sie online etwa, dass es egal sei, wer bei ihnen mitmache, »solange wir zusammenhalten«. Schließlich seien »wir alle Menschen«. Andere lachten abschätzig über die Menschen, die ihnen gegenüber getreten sind. Das seien nur »kleine Kinder«. Ein Dritter beleidigt eine Rednerin und will ihr am liebsten »Links und Rechts eine knallen, wenn sie fragt warum verdoppeln 2× Links und 2× Rechts.«
Bestandteil des Gegenprotestes im Illerstadion war indes nicht nur Kritik an der Querdenken-Bewegung, sondern ausdrücklich auch eine differenzierte Kritik an der Umsetzung der erlassenen Pandemie-Maßnahmen: »Der Fokus unserer Kritik liegt hier aber auf der fehlenden Rücksichtnahme auf zahlreiche Menschen, die im Zuge der Maßnahmen mehr oder weniger auf der Strecke bleiben und auf deren außer Acht gelassenen unterschiedlichen erschwerten Lebensumstände«, machte eine Sprecherin des Bündnisses deutlich. Sie bezog sich dabei beispielsweise auf Menschen ohne festen Wohnsitz oder Zugang zu ausreichender medizinischer Versorgung, Kunst- und Kulturschaffende und andere, die um ihre Existenz bangen. Auch die Arbeiter_innen in den »systemrelevanten« sozialen Berufen solle man nicht beklatschen. Statt leerer Worte solle man ihnen gegenüber solidarisches Verhalten zeigen.
Querdenken missachtet Auflagen, Polizei geht gegen Kritiker vor
Mehrfach kritisierten die Querdenken-Gegner auch die Polizei, die die Auflagen zum Infektionsschutz nicht gegen die »Querdenker« durchsetzte. Die meisten von ihnen – auch Ordner – verweigerten durchweg das Tragen des vorgeschriebenen Mund-Nasen-Schutzes und achteten kaum auf den notwendigen Mindestabstand. Eine Auflösung der Versammlung sollen sowohl Ordnungsamt als auch die Einsatzleitung der Polizei als »nicht verhältnismäßig« bewertet haben. Um nicht zu provozieren gaben sie sich mit regelmäßigen Durchsagen zufrieden, die aber keine erkennbare Wirkung zeigten. »Unsere Erfahrung ist: Gehen Beamte in eine Versammlung, um Auflagen durchzusetzen, kann das leicht eskalieren«, sagte ein Polizeisprecher der Allgäuer Zeitung.
Gegen Gegendemonstrant_innen schritt die Polizei dennoch ein und setzte eine Gruppe fest. Sie sollen neben Mundschutz auch Mütze und Sonnenbrille getragen und so gegen das Vermummungsverbot verstoßen haben. »Diese Kriminalisierung von Teilnehmer*innen des Gegenprotests, bei dem sich durchweg an die Hygienemaßnahmen gehalten wurde«, kritisiert Kempten gegen Rechts scharf.
10 Gedanken zu „Querdenken zwischen NS-Relativierung und Umsturzphantasien“