Am Wochenende protestieren bis zu 150 Menschen im Allgäu gegen eine »Kriminalisierung« ziviler Seenotretter, während Rechte sie als »Verbrecher« diffamieren.
An diesem Wochenende kam es in mehr als 90 Städten im ganzen Bundesgebiet und in Europa zu Aktionen im Rahmen der sogenannten Seebrücke-Kampagne: »Carola ist frei, aber noch ist nichts gewonnen. Das Sterben und die Kriminalisierung im Mittelmeer gehen unvermindert weiter«, hieß es im Aufruf, dem auch Aktivisten aus Kempten, Lindau und Memmingen folgten.
Seebrücke-Kundgebung auf Öschle-See
Anlass der Aktionen war die Inhaftierung von Carola Rackete, der Kapitänin des Seenotrettungsschiffes Sea-Watch 3, durch die italienischen Behörden, wie eine Kundgebungsrednerin am Öschle-See bei Kempten betonte.
Dort ruderten Seebrücke-Aktivisten mit Schlauchbooten unterschiedliche Badestellen an und konfrontierten die Badegäste mit der dramatischen Situation von Geflüchteten auf dem Mittelmeer, die in der vergangenen Woche durch die Seenotretterin Carola Rackete erneut ins Licht der Öffentlichkeit rückte.
Der Redebeitrag machte auf das Sterben im Mittelmeer aufmerksam. Laut einem der Transparente, mit dem die Aktivisten den Öschlesee befuhren, sind seit 2015 mindestens 18.500 Menschen auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ums leben gekommen. Schiffen wie der Sea-Watch 3 sei es zu verdanken, dass es nicht noch viel mehr waren. Deshalb brauche es unverzüglich »ein Ende der Kriminalisierung von privaten Seenotrettungs-Organisationen«.
Petition fordert »sicheren Hafen Kempten«
Eine Einbindung der libyschen Küstenwache sei keine Alternative zur Seenotrettung, da es inzwischen »kein Geheimnis mehr« sei, dass Geflüchtete in Libyen unter den unmenschlichsten Umständen eingesperrt, gefoltert und versklavt werden.« Wer sie dorthin zurückbringe, mache sich mitschuldig an der Verletzung von Menschenrechten.
Mit dem Appell »schafft sichere Häfen, auch in Kempten« wandte sich die Gruppe direkt an die Badegäste des Öschlesees. Das fordert die Initiative auch in einer Petition für einen sicheren Hafen Kempten, die ab sofort unterschrieben werden kann.
Hafendemo in Lindau
Am Lindauer Hafen beteiligten sich rund 50 Personen an einem Demonstrationszug »für sichere Häfen«, wie es in einem Bericht der Initiative gegen Rassismus Westallgäu heißt. Nach einer Auftaktkundgebung am Menschenrechtsgedenkstein von amnesty international formierte sich demnach die Demo und zog vom Leuchturm aus über die Hafenpromenade zum Steinlöwen am Hafeneingang. Mit mehreren Zwischenkundgebungen, Transparenten und Schildern seien Passanten und Bootsreisende »auf die zunehmende Kriminalisierung der Seenotrettung und die damit einhergehenden Probleme aufmerksam gemacht« worden.
AfD diffamiert Seenotretter
Allerdings war die Versammlung auch Anfeindungen ausgesetzt, wie Laura Kopf als Sprecherin der Initiative berichtet. Als diese von Demonstranten zur Rede gestellt wurden, hätten sie sich »als AfD-Anhänger zu erkennen gegeben und Seenotretter als Verbrecher diffamiert«, erklärte Kopf gegenüber Allgäu ⇏ rechtsaußen.
Erst am Donnerstag bezeichnete der Memminger AfD-Abgeordnete Christoph Maier Seenotretter in einem Antrag an den Bayerischen Landtag ebenfalls als Verbrecher und Schlepper, denen »keine Solidarität« zukommen dürfe. Zugleich beantragte Maier, Einrichtungen zur Unterbringung von Geflüchteten »durch konsequente Rückführung überflüssig« zu machen »und Schwaben zur Modellregion für Remigration« zu machen. Dabei benutzte Maier schon im Titel des Dringlichkeitsantrages einen zentralen Begriff der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung. Sein Mandat schützt ihn allerdings derzeit davor, selbst ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten, obwohl er immer wieder mit problematischen Äußerungen auffällt.
80 Menschen demonstrieren in Memmingen
Unter dem Motto »Seenotrettung ist kein Verbrechen« demonstrierten indes 80 Menschen im Zentrum von Christoph Maiers Wahlkreis »für die Rechte von Geflüchteten und ihren Retter*innen«. Man werde wie Carola Rackete »nicht mehr warten«, schreiben Aktivisten in einer Erklärung zur Aktion in Memmingen: »Solange die EU und die europäischen Regierungen untätig sind, werden wir, die Zivilgesellschaft, es sein, die sich schützend vor die Menschenrechte stellt und Widerstand leistet«. Auch Memmingen müsse »zu einem sicheren Hafen werden und seine Tore öffnen«.
Am Rande der Seebrücke-Aktion in Memmingen wurde kurzzeitig ein bekannter Anhänger der Neonazikameradschaft Voice of Anger gesichtet.
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