Trotz eindeutiger militanter und neonazistischer Ausrichtung können sich Anhänger von Voice of Anger in der bürgerlichen Gesellschaft integrieren.
Anlässlich des diesjährigen 20. Jubiläums veröffentlichen wir einen Auszug aus unserem 2019 erschienen preisgekörnten Buch Voice of Anger und der rechte Untergrund im Allgäu erneut und weitgehend unbearbeitet. Er bietet eine Teilantwort auf die Frage, wie es Voice of Anger in den letzten 20 Jahren gelingen konnte, die größte und stabilste Organisation ihrer Art in Süddeutschland aufzubauen. Das Buch (100 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen) ist für 5 Euro direkt über Allgäu rechtsaußen oder den Buchhandel (ISBN: 978-3-00-062183-3) zu beziehen.
Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz schätzt den Kern der Skinheadkameradschaft Voice of Anger auf 60 Personen. Nach den Recherchen von Allgäu ⇒ rechtsaußen dürfte das recht zurückhaltend geschätzt sein. Dennoch sieht auch der Inlandsgeheimdienst in der Kameradschaft »entgegen der sonst rückläufigen Entwicklung die größte noch aktive Skinheadgruppierung in Bayern.«
Nachfolge verbotener Nazi-Gruppe
Ein Schwerpunkt ist dabei in der Stadt Memmingen und ihrer näheren Umgebung erkennbar. Sowohl die Mitglieder der Gruppe, als auch deren Aktivitäten erstrecken sich aber in etwa
auf den Bereich vom Bodensee bis Ulm und von Füssen bis Buchloe, also über weite Teile des Allgäus und Oberschwabens. Die Gruppe pflegt bei Treffen und Veranstaltungen ein rockertypisches Auftreten. Sie tritt die Nachfolge einer ganzen Reihe rechtsradikaler Skinheadgruppierungen in der Region an, von denen eine bereits verboten wurde.
Bei den rechten Umtrieben von Voice of Anger kommt einigen Personen eine bedeutende Schlüsselfunktion zu. Hierbei ist im Besonderen Benjamin Einsiedler zu nennen. Der 36-Jährige übernimmt eine Führungsfunktion bei Voice of Anger und betreibt in Bad Grönenbach seit 2010 das in der neonazistischen Szene weithin bekannte Plattenlabel Oldschool Records. Damit ist Einsiedler zudem wichtiges Bindeglied zur bundesweiten und internationalen Neonaziszene, für die er Tonträger und das zugehörige Merchandise produziert und vertreibt. Dabei kommt er immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt und wird von dem Stuttgarter Szeneanwalt Alexander Heinig vertreten, der einst selbst als Rechtsrocker im Blood&Honour-Umfeld unterwegs war. Bis heute vertreibt Einsiedler die Platten von Heinigs damaliger Band Ultima Ratio.
Großzügiges Gehöft in Neonazi-Hand
Neben der Rolle Einsiedlers konnte durch Recherchen zudem aufgedeckt werden, dass auch Thomas Brzezicha und Boris Gehrig eine wichtige Funktion für die Infrastruktur der Gruppe inne haben.
Ersterer ist am am 27. September 2017 in den Besitz eines abgelegenen Hofs in Talacker in der Gemeinde Bad Wurzach gelangt. Seither haben die rechtsradikalen Aktivitäten in der Umgebung stark zugenommen. Auf seinem Anwesen fand, nur wenige Tage nachdem er offiziell als Besitzer ins Grundbuch eingetragen wurde, ein Rechtsrockkonzert mit mehr als 200 Besuchern aus dem ganzen Bundesgebiet statt. Hierbei ist mit Faustrecht auch eine Band aufgetreten, welche immer wieder im Umfeld des in Deutschland verbotenen Neonazinetzwerk Blood&Honour auffällt. Einige Monate später stellte er bei einem weiteren derartigen Konzert im zehn Kilometer entfernten Stockbauren Sitzmöglichkeiten und Logistik zur Verfügung.
Darüber hinaus liegen unserer Redaktion Informationen über Verbindungen zu Tattoo & Bistro Räuberhöhle vor. Dieses bietet nicht nur Körperverzierungen mit teils bei rechtsradikalen beliebter Symbolik an. Zum Repertoire von Tattoo & Bistro Räuberhöhle gehörte auch das Veranstalten vor Partys und Konzerten. So etwa das Rockkonzert Ride and Fly, auf dem sich 2014 Neonazis aus dem Umfeld von Voice of Anger trafen. Der Copyright-Hinweis auf der Homepage des Tattoostudios in Kümmerazhofen bei Bad Waldsee verwies seit 2013 auf das Internetangebot von Thomas Brzezicha. Er dürfte also für das Design der Website, deren Logo einen Totenkopf mit Stahlhelm im Stile der Wehrmacht Nazi-Deutschlands zeigt, verantwortlich gewesen sein. Inzwischen wurde der Copyright-Eintrag geändert.
Vermeintlich netter Handwerker von nebenan erwirbt Nazi-Clubhaus
Boris Gehrig erwarb ebenfalls für Voice of Anger 2016 eine Immobilie. Bevor diese ehemalige Gartenschänke einer Kleingartenanlage bei Memmingen offenbar einem Brandanschlag zum Opfer fiel, war sie mehrfach Schauplatz rechtsradikaler Treffen und Veranstaltungen. Inzwischen ist das Gebäude saniert und dient immer wieder für Treffen und Konzerte einschlägiger Bands.
Öffentlich stellt sich Boris Gehrig dar als der nette Handwerker und perfekte Schwiegersohn von nebenan. Seit über einem Jahrzehnt in der Baubranche tätig, bietet Gehrig ab März 2017 mit seinem eigenen Unternehmen Bau- und Handwerkstätigkeiten von Memmingen aus an. Doch der gebürtige Markt Rettenbacher gilt nicht nur aufgrund der von ihm als Clubhaus zur Verfügung gestellten ehemaligen Gartenschänke als wichtiger Mann bei Voice of Anger.
Allgäu ⇏ rechtsaußen liegt Bildmaterial vor, das Gehrig schon vor mehr als zehn Jahren beim Feiern im Kreise seiner Kameraden zeigt. Gehrigs Wohnung in Memmingen-Steinheim war gespickt mit Neonazi-Devotionalien, als er sie im Dezember 2018 zum Kauf anbot: Eine ganze Reihe von Photos erinnern etwa an Gedenkveranstaltungen für NS-Kriegsverbrecher und über dem Bett hing ein riesiges Schild von Voice of Anger, die diese sogenannten Heldengedenken veranstaltete. Wie andere Anhänger von Voice of Anger trainiert Boris Gehrig Kampfsport beim Memminger Sportclub Herzblut. Er ist ebenso wie Brzezicha als Teil des harten Kerns von Voice of Anger aufzufassen, dem unseren Recherchen zufolge noch eine Reihe weiterer Personen zugeordnet werden können.
Nach außen weitgehend bürgerliche Existenz
Neben diesem harten Kern gibt es nicht nur eine Vielzahl langjähriger und ideologisch ebenfalls gefestigter älterer Mitglieder, sondern auch eine nicht unerhebliche Zahl jüngerer rechter Personen, die als Mitglieder von Voice of Anger aktiv sind oder als Anwärter eine vollwertige Aufnahme in die Gruppe anstreben. Insbesondere mit Blick auf den harten Kern und die bekannt gewordenen Führungspersonen der rechten Kameradschaft ist festzustellen, dass diese – trotz ihres rockerähnlichen Auftretens bei Gruppenaktivitäten – nach außen hin eine weitgehend unauffällige bürgerliche Existenz pflegen.
Naturverbundener Landwirt – und antisemitischer Neonazi-Musiker
Ein weiteres Beispiel hierfür stellt Benjamin Burandt dar. »Die Liebe zu Natur und Landwirtschaft brachte mich auf die Idee der Direktvermarktung, dem heutigen Zeitgeist entsprechend. Aus der Region für die Region. Mein Ziel war es heimische, regionale Produkte direkt vom Erzeuger, ohne Zwischenhandel, ohne fest gelegte Verkaufszeiten und guter Qualität dem Verbraucher anzubieten.« Das schreibt der Landwirt Burandt 2018 zur Eröffnung seines Hofladens am Lutzhof in Babenhausen. Dort verkauft der 35-Jährige seine eigenen Produkte und die anderer Landwirte aus der Region. Den Hof seines Großvaters will Burandt 2001 als klassischen Milchviehbetrieb im Nebenerwerb mit dem Schwerpunkt Grünland und Pferdezucht übernommen haben. 2016 kamen Schweinemast und eine Biogasanlage hinzu.
Der Babenhausener gibt sich seriös und naturverbunden. Doch schon Anfang der 2000er Jahre fiel er als junger Neonazi im Umfeld der eng an White Power Schwaben angebundenen Skinheadszene in Babenhausen auf und spielte als Schlagzeuger bei den Pork Hunters ein massivst antisemitisches Demo-Tape ein, das 2002 veröffentlicht und 2006 neu aufgelegt wurde. Um 2003 sollen sich die Pork Hunters in Pride‘n‘Pain umbenannt und einen Besetzungwechsel vollzogen haben. Burandt wechselte ans Mikrofon und begann Gitarre zu spielen. Erst 2008 gelang es der Truppe, ihr erstes Soloalbum aufzunehmen. Die zweite Gitarre übernahm ein ehemaliges Mitglied der Band Faustrecht, für die Burandt ebenfalls zeitweilig spielte.
Als der braune Landwirt 2016 Schweinemast und Biogasanlage übernahm, veröffentlichte er auch das zweite Soloalbum als Pride‘n‘Pain beim Allgäuer Neonazilabel Oldschool Records aus dem Umfeld von Voice of Anger. In seinen Liedern besingt Burandt etwa Ikonen der Hammerskins und Blood&Honour, zu denen sämtliche seiner Bandprojekte eine deutlich Nähe aufweisen.
Unklare Geldflüsse
Wie Brzezicha, Gehrig und Burandt handelt der überwiegende Teil der Anhänger im Kern von Voice of Anger nach unseren Erkenntnissen politisch wie privat überlegt und gut strukturiert. Viele erwecken den Eindruck einer hohen Integration in die bürgerliche Gesellschaft, sind in guten Stellungen beschäftigt und verfügen teils über Immobilien und eigene Firmen. Im starken Kontrast zur scheinbaren Anpassung an eine demokratische Gesellschaft und Kultur ist aber bei Anhängern der Gruppe anhand von Recherchen eine stark gefestigte rechtsradikale und neonazistische Ideologie feststellbar, die bei einigen zum wesentlichen Element der eigenen Identität werden. Auch daher ist bei den Anhängern von Voice of Anger von einer hohen Bereitschaft auszugehen, erhebliche sogar private Mittel für neonazistische und sonstige gruppenbezogene Zwecke auszugeben.
Bei den bisher angeführten Anhängern von Voice of Anger wird dies zum Beispiel an der Bereitschaft zur Bereitstellung von Immobilien und im Fall von Einsiedler zudem an einer klar rechtsradikalen
Ausrichtung seiner Firmenaktivitäten deutlich. Auch durch Konzerte und sonstige Aktivitäten dürfte die Gruppe dazu in der Lage sein, erhebliche Einnahmen generieren zu können. Diese sind aufgrund ihres inoffiziellen und verdeckten Charakters allerdings schwer zu beziffern. Über welche finanziellen und sonstigen Mittel die rechte Kameradschaft verfügt, ist deshalb derzeit nur bedingt zu erfassen. Zudem konnte bislang noch nicht abschließend ermittelt werden, wie stark das private Vermögen von Kernmitgliedern mit dem Finanzvolumen der Gruppe verschränkt ist und in wie weit die Firmenbesitzer unter den Mitgliedern auch ihre geschäftliche Tätigkeit mit ihrer politischen Aktivität verknüpft haben.
Neonazi als Betreiber hipper Kulturstätte
Diese Frage stellt sich beispielsweise auch mit Blick auf Philipp Mörwald. »Gaumenschmeichler statt Hostien: Wo einst der Altar stand, ist jetzt die Bar. Statt eines gemeinsamen Abendmahls gibt es viele, kleine Leckereien. Und wenn hier jemand „Hallelujah“ singt, dann höchstens Leonard Cohen oder Jeff Buckley vom Band. Denn Illertissens alte Christuskirche ist jetzt Bar, Cafe, Event- und Kulturstätte zugleich.« Dazu gemacht hatten sie Philipp Mörwald und ein Geschäftspartner, nachdem sie der evangelischen Kirchengemeinde das ehemalige Gotteshaus im September 2016 abkauften. Bis zur Eröffnung im Jahr 2018 bauten sie das Objekt gemeinsam zum heutigen Projekt Gastraum um.
Doch Mörwald hatte ein Geheimnis: Während der Arbeiten am Gastraum steht er auch mit der E-Gitarre im Studio und nimmt ein Rechtsrock-Album auf. Das verschweigt er seinem Geschäftspartner. Die Band heißt Act of Violence und hatte es schon früher in sich: Wegen Gewaltaufrufen, nationalsozialistischer und antisemitischer Texte indizierte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM) das dritte Werk von Act of Violence. Die Doppel-CD mit dem Titel Wilde Vögel fliegen enthielt 25 Lieder. Nur fünf davon hatte das Gremium seinerzeit keine »Indizierungsrelevanz« beigemessen.
Das Cover des aktuellen vierten Albums ziert ein Wehrmachtssoldat, einem Teil der Auflage liegt ein Duftbaum »Obersalzberg« bei. Seit Jahren sind Mörwald und Band eng an die militante Neonaziszene angebunden. Zuletzt durfte Act of Violence zusammen mit Voice of Anger ein 15-jähriges Jubiläum feiern, Besteller der neuen Scheibe von Act of Violence erhielten einen Geburtstagssampler der Skinheadkameradschaft gratis dazu. Sogar rechtsterroristischen Strukturen huldigt die Band. Zudem fiel sie im Umfeld der Divison 28 auf, die Blood & Honour nach dem Verbot in Deutschland wieder aufbauen wollte.
Mörwalds Geschäftspartner ahnte von alledem nichts. Als ihn Allgäu ⇏ rechtsaußen mit den entsprechenden Rechercheergebnissen konfrontiert, ist er schockiert: »Gerade höre ich hier im Radio noch eine Sendung über Josef Mengele und jetzt sagen Sie mir, ich habe so einen als Geschäftspartner.« Nur Minuten später fällt der Entschluss: »Ich werde ihn auf jeden Fall darauf ansprechen, und wenn da was dran sein sollte, bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm seinen Anteil auszuzahlen und allein weiterzumachen.« Das ist inzwischen geschehen. Mörwald war selbst beim Gewerbeamt und hat seinen Ausstieg verkündet, wie die zuständige Behörde Anfang 2019 bestätigte. Wie Mörwald das Kapital der Auszahlung nutzen wird ist bislang unklar. Es soll sich dabei um 100.000 Euro handeln, die nun durch ihn ebenfalls der Neonaziszene zur Verfügung stehen könnten.
Unscheinbare bürgerliche Fassade
Die politische Ideologie von Voice of Anger schließt die vollständige Ablehnung einer demokratisch verfassten Gesellschaft und eine
hohe Gewaltbereitschaft gegen vermeintliche politische Gegner sowie gegen eine Vielzahl weiterer Gruppen ein. Dennoch pflegen viele Anhänger von Voice of Anger eine unscheinbare bürgerliche Fassade. Nach unserer Beobachtung stellt dieser Umstand den fundamentalen Unterschied zu den Vorgängerorganisationen von Voice of Anger dar und dürfte erheblich zu deren Stabilität beitragen, die der rechtsradikalen Skinheadszene im Allgäu zuvor verwehrt war.
So konnte sich die Gruppe bislang recht ungestört etablieren und ihre Ressourcen vergrößern. Doch welche Motive hat eine politische Gruppe, die über ein so großes Maß an personellen, finanziellen, strukturellen und logistischen Ressourcen verfügt, sich in Bezug auf öffentliche Aktivitäten derart stark im Hintergrund zu halten? Diese Fragen können nur durch eine konsequente Aufklärung der tatsächlichen Aktivitäten von Voice of Anger beantwortet werden. Die Rechercheerfolge in Bezug auf die eigentlich geheim geplanten Konzerte der vergangenen Monate haben einige dieser Aktivitäten aufgedeckt.
In Anbetracht der Beschaffenheit der Gruppe und ihrer umfassenden Ressourcen wäre es aber mehr als leichtfertig davon auszugehen, dass sich die Aktivitäten von Voice of Anger lediglich auf das bislang bekannt gewordene beschränken. In den folgenden Abschnitten soll der Versuch unternommen werden, mögliche weitere Tätigkeitsfelder und Umtriebe der Gruppe offenzulegen, die der Öffentlichkeit bislang verborgen geblieben sind. Einen ersten Ansatz hierfür bietet die Analyse der besagten Konzerte und der unter anderem hieraus ersichtlichen Kontakte zu neonazistischen Untergrundstrukturen.