Täter Helfer Trittbrettfahrer: NS-Belastete aus dem Allgäu

Täter, Helfer oder nur Trittbrettfahrer? Ein jüngst erschienenes Buch spürt den Biografien von zwei Dutzend NS-Belasteten aus dem Allgäu nach, um zu eruieren, welchen Anteil sie an der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in der Region hatten.

Der Holocaust bleibt auch 76 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches die alles andere weit überschattende moralische Hypothek der Deutschen. Wer nur einen Funken Empathie besitzt, erschaudert noch heute vor der Niederträchtigkeit dieser nur sehr schwer zu fassenden Verbrechen am Mitmenschen, die nicht nur von den unmittelbaren Befehlsgebern und ihren Handlangern, sondern eben auch von vielen NS-Enthusiast*innen im Hintergrund ermöglicht bzw. begangen wurden.

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Warum haben Millionen mitgemacht?

Wieso haben sich unter unseren Vorfahren eine halbe, vielleicht auch eine Million Täter ihre Hände auf diese abscheuliche Weise schmutzig gemacht? Warum haben weitere Millionen diesem Treiben der Täter derart passiv zugesehen, bis es schließlich 1945 von außen her mit Gewalt beendet werden musste? Warum hat die übergroße Mehrheit der Deutschen, die direkten Täter sowieso, später einmütig und oft bis ans Lebensende jedwede Schuld geleugnet und unterm Strich sogar behauptet, dass im Grunde genommen sie selbst die Opfer gewesen seien?

Wenn die Buchreihe Täter Helfer Trittbrettfahrer, deren Band 12 den Biografien von NS-Belasteten aus dem Allgäu nachspürt, kommt sie Antworten auf diese Fragen näher. Oft sieht man schon nach wenigen Zeilen tatsächliche Defizite jenseits der späteren Zweckbehauptungen. Immer sind blanker Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und auch Antikommunismus bzw. Antisozialismus ganz selbstverständlich im Spiel, über die auch im Nachhinein kaum oder nur oberflächlich reflektiert wurde. Es wird gut erkennbar, wie wenig die hier portraitierten Leute auf Menschenrechte gegeben haben. Sie verweigerten Teilen ihrer Mitmenschen die humanen Mindeststandards, um sie im weiteren Verlauf sogar zu denunzieren, zu enteignen, zu deportieren und in realen Höllen schließlich wie Ungeziefer zu beseitigen.

Es ist »noch lange nicht gut«

Soll es denn wirklich alles gewesen sein, sich biografisch lediglich mit den inzwischen allseits bekannten Topterroristen zu befassen, hunderttausende von NS-Aktivisten auf nachgeordneten Ebenen aber mehr oder weniger zu ignorieren, fragt Herausgeber Dr. Wolfgang Proske im Vorwort zum nun vorliegenden THT-Band Nummer 12. Auch wenn viele bis heute lieber weg schauen, zeigt die Buchreihe ganz deutlich: Nazismus hat es auch vor Ort überall gegeben, in jeder Gegend, in jeder Stadt, in jeder Straße, ja meistens auch in jeder Familie.

Die Autorinnen und Autoren der Buchreihe Täter Helfer Trittbrettfahrer vertreten laut Proske die Ansicht, »dass es eben noch lange nicht gut ist, dass wir moralisch verpflichtet sind, dieses größte Verbrechen der deutschen Geschichte geradezu in unserer DNA zu verankern und weiterzugeben, um den Werten und Normen der zivilisierten Menschheit gerecht werden zu können!« Noch lange werde es darauf ankommen, »ohne Vorurteile in die Archive zu gehen und sich im Ergebnis von der Barbarei unserer Vorfahren zu distanzieren, um dazu beizutragen, dass sie sich nie mehr wiederholt, nicht hierzulande und auch nicht anderswo und auch nicht in Teilen, und dass wir alle uns endlich vor allem darauf konzentrieren können, den Klimawandel zu begrenzen…«

Täter, Helfer oder nur Trittbrettfahrer?

Band 12 spürt den Biografien von zwei Dutzend NS-Belasteten aus dem Allgäu nach, um zu eruieren, welchen Anteil sie an der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in der Region hatten. Waren sie Täter, Helfer oder nur Trittbrettfahrer?

  • Alleine das für seinen Artikel verwendete Hochzeitsfoto des Hauptmanns der Wehrmacht, Fritz Aberle, spricht Bände.
  • Dass jemand Oberbürgermeister vor und auch nach 1945 war, ist in dieser Reihe mehrfach Thema gewesen. Der Memminger OB Dr. Heinrich Berndl etwa mutierte erstaunlich schnell zum geschmeidigen Opportunisten.
  • Der Berufsoffizier Eduard Dietl, geboren in Bad Aibling, Kommandeur von Gebirgsjägertruppen im Zweiten Weltkrieg und in seinen Ansichten »völkisch und reaktionär«, ist von der NS-Propaganda systematisch zum »Helden« aufgebaut worden.
  • Hitler neigte dazu, seinen Günstlingen unabhängig von ihrer Qualifikation geradezu märchenhafte Aufstiege zu ermöglichen. Zu diesen Leuten zählte beispielsweise Erwin Rommel, aber auch Sepp Dietrich.
  • Der in Türkheim geborene Hermann Dolp war als »alter Kämpfer« bereits 1931 und trotz Zweifeln an seiner Qualifikation zum SS-Standartenführer aufgestiegen, wurde 1939 aber nach einer Trunkenheitsaffäre degradiert zum Sturmbannführer.
  • Der Müllermeister Hermann Donath besaß zwei Gesichter: Einmal war er ein begnadeter Ökologe, in dessen Nachfolge bis heute biologisch-dynamische Getreideprodukte vertrieben werden. Gleichzeitig aber war er auch ein hemmungsloser nationalsozialistischer Agitator.
  • Wenig bekannt ist bisher über Matthias Graf, den zeitweiligen Leiter des Kemptner SD.
  • Wenn es in diesem Buch noch eine Steigerung zur besonders unerfreulichen Figur geben sollte, dann trifft dies auf Franz Hößler zu.
  • Dr. Theo Hupfauer galt vielen wie auch sein Mentor Albert Speer als im Grunde »guter Nazi«. Aber kann es den denn überhaupt geben?
  • Dr. Fritz Kalhammer wurde öfter glaubwürdig als vergleichsweise mild führender Kreisleiter beschrieben.
  • Der Arzt Dr. Kurt Klare war von 1918 bis 1938 Direktor der Prinzregent Luitpold-Kinderheilstätte Scheidegg.
  • Erstmals wird hier eine Studie über den Füssener Max Kögel veröffentlicht. Als Kommandant von mehreren Konzentrationslagern war er als hemmungsloser Sadist verschrien.
  • Franz Joseph Sailer war Brauereibesitzer und vor Ort in Markt Oberdorf eine große Nummer – im NS und noch Jahrzehnte später.
  • Leonhard Sch. war verglichen mit vielen anderen hier verhandelten Fällen ein eher kleines Licht.
  • Nach »unstetem Weg« brachte die NSDAP- bzw. SA-Mitgliedschaft dem »Alten Kämpfer« Werner Schäfer Ordnung und Struktur ins Leben.
  • Auch Emil Schmidt passt auf den ersten Blick nicht in das zu erwartende Täterbild.
  • Fürsorgeoberinspektor Ludwig Schug war Kreisleiter von Mindelheim. Bisher ist er der Aufmerksamkeit von Täterforschern entgangen, was ein Manko darstellt.
  • Über den Juristen Michael Schwingenschlögl ist schon manches geschrieben worden, aber noch lange nicht alles.
  • Zweifellos gab es in NS-Zeiten Leute, die alles in allem gesehen eher zufällig zu Tätern wurden. Trifft das auch auf den Stiefenhofer Bürgermeister Johann Seelos zu?
  • Memmingen gehörte zu den Orten, wo die Kriminalpolizei auch die Aufgaben der Gestapo mit zu übernehmen hatte. Als 1942 Johann Seißler ihr Leiter wurde, hatte er es schon bald mit der Verfolgung der letzten rassistisch aus der »Volksgemeinschaft« Verstoßenen zu tun, insbesondere mit Sinti und Roma.
  • Ministerpräsident Ludwig Siebert war weniger mächtig als es den Anschein hatte.
  • Einer wie Wilhelm Spengler galt lange Zeit nicht als NS-Täter. Dabei stand er im »Sicherheitsdienst« an vorderster ideologischer Front, war trickreicher Interpret und Ideengeber des Nationalsozialismus im Reichssicherheitshauptamt, als Angehöriger der »kämpfenden Verwaltung« an Partisanenmorden beteiligt und auch nach 1945 unbelehrbar.
  • Der Kreisleiter von Lindau und Lindenberg, Hans Vogel, war in vieler Hinsicht ein ganz normaler Nazi.
  • Mina Wörle verstand die Welt nicht mehr. Sie hatte doch nur getan, was ihr Vorgesetzter, der »Herr Direktor«, von ihr verlangt hatte.
  • Baron Zobel bzw. Hans Freiherr von Zobel und Giebelstadt zu Darstadt, wie Hans von Zobel mit vollem Namen heißt, war den Nazis hochwillkommen.

Wolfgang Proske (Hrsg.):
Täter Helfer Trittbrettfahrer, Band 12 – NS-Belastete aus dem Allgäu

Kugelberg-Verlag, 2021

Broschiert, 390 Seiten

Preis: 23,99 Euro

ISBN: ‎ 978-3945893203

 


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