»Keine Gesinnung« wollen die Querdenker in Kempten haben. Doch am Samstag kritisiert Jochen Koller den Kapitalismus von rechts und wünscht unter Applaus einen radikalen Umsturz der bestehenden Ordnung binnen weniger Monate. Am Infostand liegen offen antisemitische Verschwörungsblätter.
»Wir gehören gar keiner Gesinnung an. Wir sind nur Menschen, die sich für Menschen einsetzen.« Das sagte am Samstag ein Vertreter von Querdenken Kempten als Redner auf der gleichnamigen Kundgebung. Die Gruppe demonstrierte auf dem Hildegardplatz »für die Wiederherstellung unserer Grundrechte«, wie es im Aufruf hieß, dem rund 150 Personen folgten. Zum ersten Mal traten sie dabei als Querdenken 831 – Kempten (oder 874, da scheint man sich noch nicht Einig zu sein) auf. Zuvor nannte sich die Gruppe unter anderem Allgäu für Grundrechte.
Damit stellen sich die Kemptener hinter die Initiative von Michael Ballweg, die zuletzt auf ihrer Demonstration in Berlin Schlagzeilen machte, als Corona-Leugner_innen, Verschwörungsideolog_innen und Rechtsradikale am Versuch scheiterten, den Reichstag zu »stürmen«. Ballweg rief indes zu einer »Verfassungsgebenden Versammlung« auf. Diese Forderung kursiert seit Langem unter Reichsbürgern, die behaupten, Deutschland habe keine richtige Verfassung. Diese müsse erst durch eine entsprechende Versammlung errichtet werden. Das forderte auch Stephan Bergmann, der durch rassistische Äußerungen aufgefallene Pressesprecher von Ballweg. Recherchen des Zeitungsverlag Waiblingen nach war er sogar Gründungsmitglied eines Vereins, der vom Verfassungsschutz der Reichsbürgerszene zugeordnet wird. Zuletzt fiel die Gruppe durch dubiose Spendentransfers ins Ausland auf.
Zwischen Reichsbürger-Forderung und Sorge um die Demokratie
Auch in Kempten stellt man sich hinter diese Forderung. So hieß es auch etwa auf einem Schild an einem Infostand zu »Lösungen und Visionen«, man wolle – wie ebenfalls bei Reichsbürgern beliebt – einen Friedensvertrag und – so verklausuliert, dass nur Eingeweihte verstehen – eine »Verfassungsgebende Versammlung«.
Julian Aicher trat erneut als Redner auf. Er bedankte sich bei Ballweg dafür, dass er die Berliner Demonstration durchgesetzt habe. Denn »noch leben wir in einer Demokratie« und er »hoffe, dass das so bleibt«. Man solle sich erinnern, »dass es in Deutschland auch mal anders war.« Etwa »im Nationalsozialismus und in der DDR auch«, so Aicher. Doch das müsse man von der Situation in der Bundesrepublik trennen. Das habe er »immer gemacht.« Im Mai beendete der Mann, der jede Gelegenheit nutzt um zu betonen, der Neffe von Hans und Sophie Scholl zu sein und seine diesbezüglichen Bücher zu bewerben, seine Rede am selben Platz mit den Worten »die Wahrheit macht uns frei«. Zuvor sprach Aicher von einer Verschwörung der »Mächte der Finsternis«.
Umsturzphantasien…
Zwischen den Redebeiträgen spielte Eloas min Barden auf seiner Gitarre und sang. Der rechte Liedermacher heißt eigentlich Jens Eloas Lachenmayr und trat mehrfach nicht nur bei Querdenken sondern auch auf Veranstaltungen der völkischen und antisemitischen Anastasia-Bewegung auf.
Dieser Bewegung steht auch Jochen Koller nahe, der als nächster Redner die Querdenker-Bühne betrat. Er selbst sei »weder links noch rechts«. Corona, so der Permakultur-Enthusiast, sei »eigentlich ein Witz«, jedenfalls »keine Pandemie«. Grundsätzlich finde er Demos »gut und wichtig«. Aber er »stehe hier aus einem anderen Grund.« Er habe den Traum, dass die Pandemie im März 2021 für Beendet erklärt und das ganze Land beschäftigt sei mit einem »Entwurf für ein menschen- und lebensfreundliches Deutschland.« Über’s Internet könne man eine neue Verfassung erarbeiten. »Die Parteien sind aufgelöst, die gibt’s nicht mehr«, so Koller. Für diesen Satz erhielt er erstmals Applaus. Dann könne man »seine Meinung sagen« und das »Mehrheitswahlrechtssystem« sei dann bereits ersetzt durch »eine Konsensgeschichte in einer gewissen Weise«, träumt Koller.
… und Kapitalismuskritik von rechts
Was man zunächst als linke Forderungen verstehen könnte, kippt dann plötzlich nach rechts: Zudem will Koller ein »neues Denk-, Geld-, Wert- und Wirtschaftssystem«, denn laut internationalem Währungsfond stehe man vor der größten Weltwirtschaftskrise seit 1929 – und das seien schließlich »keine Verschwörungstheoretiker, [sondern] Verschwörungspraktiker«. Im von ihm gewünschten System – er nennt es »natürliche Ökonomie« – werde »dem Raubtierkapitalismus die Grundlage entzogen«, schwärmt Koller. Denn das richte sich »am Gemeinwohl« aus und kenne durch die Einführung eines »Schwundgeldes« weder Zins noch Zinseszins. Ersterer mache Menschen abhängig, letzterer »bricht ihnen das Genick.« Damit zitiert Jochen Koller ein im Internet kursierendes Video darüber, wie mittels Geldverleih die Menschheit »versklavt« werde. Der Film kommt nett und harmlos daher, ist aber enorm anschlussfähig für eine antisemitische Weltverschwörungserzählung.
Ebenso wie Silvio Gesell’s Kapitalismuskritik von rechts und seine Idee des »Schwundgeldes«, auf die Koller sich bezieht. Damit trat der Freiwirtschaftstheoretiker um 1900 an, die »Zinsknechtschaft« zu brechen, wie der Journalist Peter Bierl in einem Band über Gesell schreibt. Demnach war Gesell unter anderem Sozialdarwinist, Eugeniker und vom Rassenwahn geradezu besessen: »Gesell definierte eine ›natürliche Wirtschaftsordnung‹ als Manchesterkapitalismus ohne Vorrechte und soziale Absicherung, in dem ökonomisch erfolgreiche Männer als Samenspender und Frauen als Gebährmaschinen fungieren. ›Minderwertige‹, deren schlechtere Erbmasse sich im ökonomischen Scheitern zeige, würden von Frauen verschmäht und ihre Zahl in den kommenden Generationen abnehmen. Die Degeneration wäre gestoppt und in eine ›Hochzucht der Menschheit‹ umgekehrt«, schreibt Bierl.
Die »Ausmerze« der Verlierer sei bei Gesell ein natürlicher, geradezu gottgewollter Vorgang. Seine »Freiwirtschaft« beseitige entsprechende Hindernisse. Durch diesen »veredelt die Münzreform auch die Race, indem sie die Mißgeburten des Geistes und des Körpers an der Fortpflanzung hindert. Die Münzreform läßt jeder Frau freien, selbstständigen Willen bei der Wahl ihres Lebensgefährten.«
»Den Rechtsstaat BRD gibt es nicht«
Koller dürfte das bekannt sein. Vertiefen möchte er das Thema auf der Bühne nicht: »Dieses Schwundgeld, da will ich jetzt nicht näher darauf eingehen.« Wer mehr dazu wissen wolle, könne gerne am Infostand von Nachhaltiges Allgäu mit ihm ins Gespräch kommen. Neben seinen Magazinen lag dort am Samstag auch eine »Werkausgabe« zu Silvio Gesell’s 150. Geburtstag aus. Das von Koller herausgegebene Nachhaltige Allgäu enthält neben Anzeigen, Terminen und Artikeln vornehmlich zu Permakultur und Ökologie immer wieder auch politische Texte.
Bereits in Ausgabe Nr. 6 veröffentlichte Jochen Koller etwa einen Bericht über eine Veranstaltungsreihe auf dem von Robert Briechle betriebenen Mutterhof in Unterthingau. Darin berichtet Koller über »die Vorstellung von Robert Briechle über die Umwandlung von Bauernhöfen in »Mutterhöfe mit Familienlandsitzen« a 1 Hektar, auf denen Familien leben und sich selbst erhalten können, ohne Eigentümer der Flächen zu werden.« Bis heute beschreibt auch Koller diese Idee aus der völkischen und antisemitischen Anastasia-Buchreihe als maßgeblich für seine »Vision«. Dann geht er im Text im Nachhaltigen Allgäu nahtlos zur Beschreibung eines Reichsbürger-Vortrags auf dem Mutterhof über: »Quintessenz: Den Rechtsstaat BRD gibt es nicht und damit auch keine Demokratie in Deutschland«.
Antisemitische Verschwörungsliteratur
An einem weiteren Infostand ist einschlägige Literatur zu finden, die zum Teil antisemitische Verschwörungsideologien in die Welt setzen oder die Existenz des Corona-Virus überhaupt in Frage stellen und ihn als »Waffe« zur Unterwerfung der Bevölkerung deuten. Des Weiteren liegt dort etwa die Ausgabe einer Zeitschrift, in der verschwörerische Geheimbünde, Homöopathie und andere Magie, Impfgegner_innenschaft, sowie ein Interview mit einem antisemitischen und geschichtsrevisionistischen extrem rechten Esoteriker enthalten sind. Weitere Ausgaben behaupten in antisemitischer Manier eine Verschwörung zum Erringen der »Weltherrschaft« mittels einer »Neuen Weltordnung« (NWO) oder deuten eine »Flüchtlingswelle« als »geplante Invasion«, deren Urheber_innen »Soros & Co.« seien.
Unbekannte versuchten, die Reden mittels in Bäumen am Hildegardplatz versteckten »Störsendern« zu stören. Das berichtet die Polizei, die die Bezeichnung als »Störsender« offenbar von den Veranstaltern übernahm. Tatsächlich gaben die Geräte lediglich ein lautes akustisches Signal von sich, ehe sie die Polizei entfernte.
Dann müsste ja jeder Christ ein rechter Verschwörungstheoretiker sein. In der Bibel wird auch die Abschaffung des Zins angemahnt
Ich weiß nicht woher Sie das haben. In diesem Artikel steht das jedenfalls nicht, dass es die Zinskritik als solche sei, die einen Verschwörungsphantasten ausmacht oder Gesell zu einem rechten Kapitalismuskritiker macht. Wenn Sie’s genauer wissen wollen, können Sie auch dort nachlesen: https://allgaeu-rechtsaussen.de/2020/09/22/schwundgeld-freiwirtschaft-und-rassenwahn/
Es ist die Aufmachung des Artikels. Er liest sich irgendwie tabellarisch aufgezählt und alles in einen Topf geworfen.
Kritiker =
Reichsbürger =
Nazi =
Anastasia =
AfD =
Verschwörungstheoretiker =
Coronaleugner usw.
Das ist sehr schlecht geschrieben. Ich habe eher den Eindruck, dass sie gar keine journalistische Ausbildung haben, bei so vielen Fehlern, die ich entdeckt habe.
Langsam muss ich mich fragen, ob Sie den Artikel überhaupt gelesen haben. Nicht eine dieser Gleichsetzungen findet dort statt. Aber welche Fehler Sie gefunden haben wollen interessiert mich dann doch. Klären Sie mich auf, sodass ich den Artikel korrigieren kann?