Die Hälfte aller Neonazi-Konzerte in Bayern gehen im vergangenen Jahr auf das Konto von Voice of Anger. Damit ist das Allgäu der Hotspot der braunen Musikszene in Süddeutschland.
Im Allgäu fanden 2019 sechs von zwölf Neonazikonzerten statt, die die Behörden in Bayern registrierten. Das geht aus den Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der Linksfraktion im Bundestag hervor.
Drei Konzerte im ersten Quartal
Gleich am 26. Januar eröffnete Voice of Anger das Konzertjahr mit einem Auftritt von Kommando Skin. Wie wir berichteten, spielten die Württemberger vor rund 60 Gästen im Kameradschaftseigenen Clubhaus bei Memmingen. An der Polizei ging die Veranstaltung damals vorbei.
Auch die nächste Veranstaltung in dem ehemaligen Schankbetrieb der Kleingartenanlage in Buxach-Hart ging an der Polizei vorbei. Am 2. März traten dort Unbeliebte Jungs und Der Kahlkopf Metzger auf. Wie der Verfassungsschutz heute weiß, waren rund 50 Neonazis anwesend. Noch vor Ende des Monats folgte am 30. März der Auftritt eines Liedermachers vor abermals 60 Neonazis. Diese als Geburtstagsfeier deklarierte Veranstaltung begleitete die Polizei.
»Führergeburtstag« und »Schanddiktat«
Am »Führergeburtstag« trafen sich wieder Neonazis am Clubhaus von Voice of Anger. Während die Polizei an diesem 20. April keine Präsenz zeigte, patroullierten die Neonazis in der Gegend und griffen Journalisten an. Mehr als 40 Hitler-Verehrer folgten dem Auftritt von David Allan Surette alias Griffin, der nicht zum ersten Mal den Nazi-Treff in der Memminger Schrebergartenanlage besuchte.
Im August verhinderten die Behörden ein Konzert der Band Schanddiktat, die dem Umfeld von Voice of Anger zuzurechnen ist, zuerst in Wertingen und dann in Benningen. Dennoch durften die Neonazis am Ende in der Memminger Innenstadt feiern.
Blood&Honour-Gründer zu Besuch bei Voice of Anger
Schließlich teilte sich am 11. Oktober die Allgäuer Band Kodex Frei mit der internationalen Szenegröße Brutal Attack die Bühne im Clubhaus von Voice of Anger. Das Bayerische Innenministerium macht »keine Angabe« zur Anzahl der Konzertbesucher.
Die seit 1979 bestehende Band Brutal Attack gehört zu den Gründungsmitgliedern des militanten und in Deutschland verbotenen Blood&Honour-Netzwerkes und genießt in der Szene Kultstatus. Die Engländer besuchten das Allgäu, um über Oldschool Records ihren neuesten Tonträger zu veröffentlichen. Das Neonazi-Plattenlabel aus Bad Grönenbach ist eng mit Voice of Anger verwoben. Der Musik-Unternehmer Benjamin Einsiedler ist zugleich Führungsfigur der Skinhead-Kameradschaft. Photos zeigen deren Anhänger auf Veranstaltungen von Blood&Honour in Großbritannien, etwa Arm in Arm mit einem Mitglied von Brutal Attack.
Allgäuer Bands international auf Tour
International auf Tour sind auch die Bands aus dem Umfeld von Voice of Anger. So reiste etwa Smart Violence im Februar 2019 für einen Auftritt nach Puerto Mont im Süden Chiles und spielte laut Bundesregierung im Juli im westfälischen Hamm. Voice of Anger trat dort später als Torsteher und Veranstalter auf. Am 3. August verschlug es Kodex Frei nach Kieselbronn in Baden-Württemberg und am 2. November spielten Naked But Armed unter anderem mit Uwocaust im sächsischen Torgau-Staupitz, wie die Bundesregierung zu berichten weiß.
Auch das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz weiß von den Konzerten im Neonazi-Clubhaus bei Memmingen. Das geht aus einer Antwort der Staatsregierung auf eine Anfrage der Landtags-Grünen hervor. Irritierend allerdings ist, wie der Inlandsgeheimdienst die Veranstaltungen der Neonaziszene klassifiziert. Von den fünf oben genannten Veranstaltungen führt die Behörde nur die beiden Events mit Brutal Attack beziehungsweise Unbeliebte Jungs als Konzert auf. Den Rest zählt der Verfassungsschutz demnach als »sonstige Musikveranstaltung« – und damit nicht als Konzert.