»Gemeinsam gegen rechten Terror« gingen am Wochenende auch im Allgäu Hunderte auf die Straße, gedachten der Opfer von Hanau und übermittelten den Betroffenen ihre Solidarität. Bei der AfD sieht man sich dagegen als Opfer einer »Hanau-Verschwörung«.
Am 19. Februar 2020 ermordete ein Rechtsextremist zehn Menschen in #Hanau, davon neun Menschen aus rassistischen Gründen in und vor zwei Shisha-Bars in der Innenstadt. Viele ihrer Namen und Gesichter sind bekannt. Wir werden sie nicht vergessen.
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— Frederik Schindler (@Freddy2805) February 21, 2020
»Wir trauern um die Ermordeten, unser Mitgefühl gilt den Überlebenden, Angehörigen und Freund*innen. Wir sind schockiert, haben Angst und sind wütend. Wir klagen den rassistischen Terror in diesem Land an.« Diesem spontanen Aufruf des Cafe Konnex folgten am Freitag mehr als 100 Menschen. Sie bildeten ab 17 Uhr am Marktplatz eine Mahnwache für die Opfer von Hanau.
Eine Stunde später sprach Oberbürgermeister Manfred Schilder nach einem Bericht der Memminger Zeitung in der Rathaushalle, um ein Zeichen des Mitgefühls, der Solidarität und für multikulturelle Vielfalt in Deutschland zu setzten. Dort lag auch ein Solidaritätsbuch aus, in das sich Bürger am Wochenende eintragen konnten. Das haben nach Schätzung der Stadt rund 300 Personen getan. Bis das Buch im Laufe der Woche als Zeichen des Zusammenstehens nach Hanau geschickt wird, können sich auch Mitarbeiter der Stadt eintragen.
Mercedes K. arbeitete in einem Kiosk neben einer der Shisha-Bars. Sie kommt einer deutsch-polnischen Roma-Familie und war Mutter von zwei Kindern. Mercedes K. wurde nur 35 Jahre alt. #Hanau pic.twitter.com/r3pDtzn8Rz
— Frederik Schindler (@Freddy2805) February 21, 2020
Etwa 150 Menschen haben sich am Freitagabend auf dem Rathausplatz in Kempten versammelt, schreibt die Allgäuer Zeitung (AZ) am Samstag. Ilknur Altan vom Dachverband türkischer Vereine in Kempten sagte demnach: »Wir schauen schon zu lange zu.« Zuletzt hätten Angriffe gegen Muslime zugenommen. Kemptens Oberbürgermeister Thomas Kiechle habe dazu aufgerufen, entschieden gegen Hass säende Parolen einzutreten. Es sei immer die Sprache, die den Weg zur Tat ebne.
Sedat Gürbüz lebte in Dietzenbach. Sein guter Freund Navid sagt: »Sedat war ein geliebter Bruder. Er hat immer gelacht, konnte keiner Fliege etwas zuleide tun.« Sedat Gürbüz wurde nur 30 Jahre alt. #Hanau pic.twitter.com/pYYpppKOHj
— Frederik Schindler (@Freddy2805) February 21, 2020
In Oberstdorf riefen Bergith Hornbacher-Burgstaller und Hülya Dirlik zu einer Mahnwache auf. »Wir wollen ein Zeichen fürs friedliche Zusammenleben in Oberstdorf setzen«, zitiert die Zeitung Hornbacher-Burgstaller, die Ortssprecherin der Grünen ist. 100 Menschen, darunter viele Schüler, seien mit Blumen und Kerzen zum Bahnhofsvorplatz gekommen. In Oberstdorf lebten viele Zugereiste, Menschen mit Migrationshintergrund, Hotel-Mitarbeiter aus dem europäischen Ausland und Asylbewerber, sagten die Initiatorinnen laut der Zeitung. Da gelte es, für einen respektvollen Umgang einzustehen. »Hass ist tödlich. Wir wollen in Frieden leben«, habe auf einem Plakat gestanden.
Gemeinsam und bestimmt dem Rassismus entgegen treten
Zeitgleich mit der bundesweiten Demonstration in Hanau fand am Samstag, dem 22. Februar 2020, ab 14:00 Uhr in der Kaufbeurer Fußgängerzone eine Mahnwache statt. Rund 200 Personen kamen dort zusammen, um der Opfer des rassistisch motivierten Terrors in Hanau zu gedenken. Das Bündnis Gemeinsam gegen Rechts hatte wie schon nach den Morden in Halle kurzfristig die Mahnwache organisiert.
Kolayan Velkov kam aus Bulgarien nach Deutschland. In #Hanau wurde er ermordet. Kolayan Velkov wurde nur 32 Jahre alt. pic.twitter.com/ySHLi9gGJL
— Frederik Schindler (@Freddy2805) February 21, 2020
Auf der Mahnwache seien die Namen der Getöteten verlesen und auf Schildern gezeigt worden, darunter auch vier Klassenkameraden und Freunde von ehemaligen Kaufbeurer Flüchtlingen. Nach einem stillen Gedenken rief das Bündnis dazu auf, nicht im Schweigen und der Ohnmacht zu verharren.
Bevor aus Worten erneut Taten würden und es noch mehr Morde gäbe, wolle man gemeinsam und bestimmt dem Rassismus entgegen treten. Menschenfeindliche Äußerungen dürften nie unwidersprochen bleiben, man dürfe nicht abstumpfen und sich daran gewöhnen, dass immer mehr Ressentiments geschürt und Hetze betrieben werde.
Vili Viorel Păun kam vor sieben Jahren mit seinen Eltern aus Rumänien nach #Hanau. Dort holte er seinen Schulabschluss nach und arbeitete als Kurier. Am Mittwoch wollte er sich einen Saft in einem Kiosk holen und wurde davor erschossen. Vili Viorel Păun wurde nur 23 Jahre alt. pic.twitter.com/rBxZOHXrVl
— Frederik Schindler (@Freddy2805) February 22, 2020
Weitere Redebeiträge machten vor allem deutlich, dass man die Getöteten nicht als »Fremde« oder »Ausländer« begreife, sondern »Menschen« – Nachbarn, Klassenkameraden und Freunde – und die Begriffe »Fremden-« oder »Ausländerfeindlichkeit« das rassistische und menschenfeindliche Schema des Täters fortschrieben.
Und: Für mehr als Empörung reicht es nicht? Schon wieder? Nach #NSU, #OEZ, #Kassel, #Halle,… und den mehr als 200 Toten durch rechte Gewalt seit 1990 immer das gleiche.
Was ist das für eine #Solidarität? Welchen Schutz sollen die Betroffenen von so einer Gesellschaft erwarten?
— Sebastian Lipp (@SebastianLipp) February 22, 2020
Die gemeinsame Trauer und die hohe Beteiligung an der Mahnwache zeige für das Bündnis, dass eine Mehrheit diese Denkweisen nicht teile. Es gäbe aber noch eine schweigende Mehrheit, die sich noch deutlicher solidarisieren müsse.
Polizei: »Schutzmaßnahmen erhöht«
Das Polizeipräsidium Ravensburg habe »nach der schrecklichen Tat von Hanau umfassend reagiert« und »Schutzmaßnahmen für türkische/muslimische und jüdisch/israelische Einrichtungen« erhöhnt. Das teilte die Behörde am Sonntag in einer Meldung an die Presse mit. Mit den meisten Verantwortlichen der Moschee- und Kulturvereine, der israelitischen Religionsgemeinschaft sowie der Gesellschaft für christlich-jüdische Begegnungen habe die Polizei Kontakt aufgenommen und stehe den Gläubigen für Gespräche zur Verfügung.
Fatih Saraçoğlu war erst vor drei Jahren aus Regensburg nach #Hanau gekommen, um sich selbstständig zu machen. Auch in Regensburg hatte er noch viele Freunde. Seine Familie kommt aus İskilip bei Çorum. Fatih Saraçoğlu wurde in der Bar Midnight ermordet und wurde nur 34 Jahre alt. pic.twitter.com/dPeRoBTNQZ
— Frederik Schindler (@Freddy2805) February 22, 2020
Zudem seien die Streifentätigkeit und Schutzmaßnahmen individuell erhöht und zahlreiche Informationsgespräche geführt worden, »um den Sorgen der Migranten Rechnung zu tragen und das Sicherheitsempfinden sowie das Vertrauen in den Staat und die Polizei zu stärken.« Bei einzelnen Objekten zeige die Polizei aktuell während der Gebetsstunden sowie der Ankunft und Abreise Präsenz und stehe den Besuchern für Gespräche zur Verfügung.
Wie sich die Sicherheit von Einrichtungen, die häufig von Menschen muslimischen, jüdischen oder alevitischen Glaubens besucht werden weiter verbessern ließe und welche weiteren Maßnahmen möglich seien, werde im Laufe der nächsten Woche entschieden. Polizeipräsident Uwe Stürmer: »Wir wollen, dass alle Menschen – ganz gleich welcher Herkunft und welchen Glaubens – hier in Oberschwaben sicher und ohne Angst leben können.«
Und: Ihr fasst Jüdinnen und Juden pauschal als Migrant*innen auf. Ernsthaft? In Deutschland?? Nach der #Shoa?! (3/3)
— Sebastian Lipp (@SebastianLipp) February 25, 2020
Das für den bayerischen Teil des Allgäus zuständige Polizeipräsidium Schwaben Süd/West äußerte sich bislang nicht zu Hanau.
AfD zwischen Entpolitisierung und Verschwörungsglauben
Der Allgäuer Bundestagsvize der AfD-Fraktion, Peter Felser, stellt den rassistisch motivierten Terror von Hanau auf Twitter in einen rein pathologischen, unpolitischen Kontext: »Ein offenbar schwer geistesgestörter Mann, der lt. eigenem Manifest an gedankensteuernde Geheimgesellschaften und unterirdische Teufelskapellen des US-Militärs glaubte, tötete in #Hanau 10 Menschen.« Kein Wort verliert Felser über den auch aus seinem Manifest sprechenden Rassismus, der den Täter offenbar Antrieb und zur Auswahl seiner Opfer führte. »Meine Gedanken und Gebete sind bei den Opfern dieser Wahnsinnstat«, schreibt Felser weiter. Auf Facebook äußerte er sich nicht zu Hanau.
Der Vorsitzende des Lindauer Ortsverbands der AfD geht noch einen Schritt weiter und deutet Hanau als Verschwörung gegen die AfD. Statt Worten des Bedauerns heißt es im einzigen Facebook-Post des ehemaligen Unions-Politikers zu Hanau: »Wie schnell die Hetz-Maschinerie auf Hochtouren läuft, wenn man dem Lieblingsfeind des Mainstreams – der AfD – die Verantwortung an den Kittel flicken könnte…«
Der Verfassungsschutz werde »jetzt wohl als nächste Keule instrumentalisiert, so lange das unbelegte Mainstream-Narrativ vom politisch motivierten „rassistischen Täter“ noch hält.« Weiter spekuliert Rothfuß, ob »der kollektive öffentliche Irrtum zulasten der AfD« nicht »eigentlich ganz nützlich ist« und in einem Kommentar zu seinem eigenen Post: »Wer wollte da was vertuschen und wozu instrumentalisieren?« Sein Ortsverband, der Peter Felsers Kreisverband untersteht, schürt ähnliche Verschwörungstheorien.
In einem Facebook-Post benutzte auch AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen Felsers Begriff von einer »Wahnsinnstat« und sprach wie Rothfuß von einer politischen Instrumentalisierung. Weiter behauptete er, es handele sich nicht um einen politisch motivierten Terrorakt, sondern um »die wahnhafte Tat eines offenkundig irren.« So versucht die AfD offenbar, die Tat zu entpolitisieren. Denn der AfD wird zunehmend eine Mitverantwortung für die Zunahme derartiger Taten zugesprochen.
AfD als Stichwortgeber für rassistische Vernichtungsphantasien
"Mein Sohn sollte nicht umsonst gestorben sein" sagt die Mutter des in Hanau getöteten Ferhat Ünvar, Serpil Ünvar. Sie will, dass man Rassismus bekämpft. pic.twitter.com/QUR7AlUyTz
— COSMO (@COSMO__ARD) February 24, 2020
Tatsächlich enthält das Bekennerschreiben des Täters, das Allgäu ⇏ rechtsaußen vorliegt, auch dessen rassistische Vernichtsungsphantasien. Diese Vernichtungsphantasien fehlten allerdings nach Aussagen der Bundesanwaltschaft, als diese bereits im November 2019 eine führe Version des Schreibens erhielt – und nicht reagierte. In dem auf den 6. November datierten Dokument beschrieb der spätere Mörder allerdings detailreich seine Wahnvorstellungen und auch seine rassistische Abneigung gegen Menschen, denen er eine andere Herkunft zuschrieb. Das berichtet t-online.de, der das damalige Schreiben vorliege.
»Im selben Monat, wenige Tage nach dem Eingang des ersten Schreibens hielt Andreas Kalbitz, AfD-Vorstandsmitglied, in Hanau eine rassistische Rede«, so der Soziologe Andreas Kemper. In der Woche darauf habe Kalbitz beim Flügel-Treffen der AfD das Narrativ der »Degeneration« bedient und Gegendemonstranten als »Degenerationsausschlag« bezeichnet. Neben Kalbitz habe auch Björn Höcke immer wieder vom »degenerierten Volk« gesprochen, so Kemper weiter.
Kalbitz ist für Kemper »mit dem Narrativ des ›degenerierten Volkes‹ nicht nur Wortgeber« für den Attentäter von Hanau gewesen, sondern habe diese »Degeneration« auch verortet: Wenn die Gegendemonstranten protestierten, würden sie zumindest nicht in »Shisha-Bars« abhängen. Später sprach der Attentäter in seinem Bekennerschreiben von einem Schlag gegen die »Degeneration des Volkes« – und schlug nur zwei Straßen vom Veranstaltungsort der rassistischen Kalbitz-Rede in einer »Shisha-Bar« zu.
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