Irritiert zeigen sich Kinder- und Jugendärzte nach der Rede ihres Ravensburger Kollegen Dr. Jochen Welte auf einer Veranstaltung der von Verschwörungsgläubigen geprägten Nicht ohne uns!-Bewegung. Die Ärztekammer schaltet sich ebenfalls ein.
Der Kinderarzt Dr. Jochen Welte erntet Kritik von Kolleg_innen für eine Rede, die er am 9. Mai 2020 bei der Nicht ohne uns!-Veranstaltung an der Oberschwabenhalle in Ravensburg hielt. Wie die Schwäbische Zeitung berichtet, sagte der Obmann der regionalen Kinder- und Jugendärzte, Frank Kirchner: »Wir wollen unseren Kollegen nicht denunzieren und keinen Grabenkrieg. Aber die Äußerungen sind nicht zu ertragen. Uns niedergelassene Kinderärzte hat es erschreckt, dass auf diesen Demonstrationen im ganzen Land – auch von Ärzten – medizinische Halbwahrheiten und Ideologien verbreitet werden.«
Weiter heißt es in einer Stellungnahme, die Dr. Wolf Gröner aus Ravensburg-Weißenau stellvertretend für die etwa 25 kassenärztlichen Kinder- und Jugendärzte im Kreis Ravensburg schrieb: »Aber wir sind Ärzte und stehen trotz der Erschwernisse unserer Arbeit hinter den derzeit geforderten Maßnahmen, weil wir sie für richtig halten. Es ist schwierig und ermüdend, auch in der Praxis auf populistisch gemischte Halbwahrheiten reagieren zu müssen, die derzeit zunehmend Verbreitung finden.«
Mit Blick auf Dr. Weltes Äußerungen bezüglich der angeblich besseren Situation in Schweden schreibt Gröner: »Eine unkontrollierte Durchseuchung der Bevölkerung mit einem unbekannten Virus ohne Wissen um die Folgen ist ethisch nicht vertretbar«. Die Schwäbische Zeitung führt dazu weiter aus: »Der Blick auf den bis vor kurzem lockeren Umgang in anderen Ländern wie in Schweden und der Schweiz zeige ein anderes Bild: Die Sterberate in Schweden (bei hochmodernem Gesundheitssystem) liege derzeit bei 3300 verstorbenen Patienten auf zehn Millionen Einwohner dreimal höher als in Deutschland.«
Dr. Welte ist regelmäßiger Teilnehmer
Bereits vor seinem Auftritt als Redner hatte Dr. Jochen Welte die Veranstaltungen am 25. April und am 2. Mai als Teilnehmer besucht. Er trat am 9. Mai als erster Redner ans Mikrofon und bedankte sich dafür, dass die Menschen gekommen seien und trotz Maskenpflicht ihr Gesicht zeigen würden. Wie er aus der Schwäbischen Zeitung entnommen habe, nehme der Verfassungsschutz diese Veranstaltungen genau unter die Lupe, deshalb begrüßte er diesen ebenfalls und erklärte, dass das was er sehe »ein ganzer Platz voll Verfassungsschützern« sei. Im Weiteren sprach er davon, dass eine Corona-Impfung den Menschen glaubhaft machen würde, ihre ungesunden Eigenschaften nicht ablegen zu müssen. Zu diesen Eigenschaften zählte er Übergewicht, Luftverschmutzung und die schlechte Bezahlung von Pflegekräften.
Man solle den Blick lieber auf das eigene Immunsystem werfen, denn dieses bräuchte kein Desinfektionsmittel, Abstand oder Masken. Dass Menschen nur bedingt die Möglichkeit haben darauf Einfluss zu nehmen, scheint für ihn irrelevant zu sein. Weiter führte er aus, dass der »Lockdown« unserem Immunsystem schaden würde und fragt wie viele Menschen in Altenheimen man durch den »Lockdown« ihres Immunsystems umbringen würde.
Anfängliche Berührungsängste mit Rechtsaußen verworfen
Aus einem Blick in die internen Kanäle der Organisator_innen geht hervor, dass Dr. Welte ursprünglich noch Sorge hatte, zusammen mit Pegida oder Ähnlichem auf einem Foto in der Zeitung zu landen. Sein Auftritt als Redner erweckt den Eindruck, als hätte er diese Sorgen verworfen. Und das trotz der Berichte über die wiederholte Anwesenheit von Rechtsradikalen und Verschwörungsgläubigen und der besorgniserregenden Ansichten die aus den internen Chats der regionalen Nicht ohne uns!-Bewegung hervorgehen.
Weil er bereits zu Beginn der Pandemie ein Schreiben an seine Patient_innen verteilt hatte, in dem der neuartige Corona-Virus mit einer herkömmlichen Grippe verglichen wurde, läuft derzeit ein Verfahren bei der Bezirksärztekammer Süd-Württemberg. Geprüft wird, ob die Weitergabe des Schreibens einen Verstoß gegen die Berufsordnung darstellt. Weitere Details konnte die Pressestelle der Landesärztekammer Baden-Württemberg mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht nennen. Ob und wie sich seine wiederholte Teilnahme an den Versammlungen und sein Auftritt als Redner auf dieses Verfahren auswirkt, wird sich zeigen.
Weitere Ärztin hielt eine Rede
Dr. Welte war nicht der einzige Mediziner, der an diesem Tag eine Rede hielt. Die Allgemeinärztin Dr. Silke Siethoff aus Friedrichshafen sprach ebenfalls. Sie ist der Meinung, dass »die Freiheit der gesamten Bevölkerung« nicht eingeschränkt werden darf, »um einige wenige zu schützen«. Der vor der Bühne anwesende Dr. Welte applaudiert ihr, wie viele der Teilnehmenden bei dieser an Sozialdarwinismus erinnernden Aussage. In der Antwort auf ihr Schreiben an das Kanzleramt habe sie erklärt bekommen, dass die Schutzmaßnahmen verhältnismäßig sind. Mit dem Kommentar »Maßnahmen werden aber nicht dadurch verhältnismäßig, dass der Verursacher betont, sie seien verhältnismäßig« machte sie, vermutlich unbeabsichtigt, auch auf ein grundlegendes Problem der Veranstaltung aufmerksam, auf der sie sprach.
Während Einblicke in die interne Kommunikation der Organisationsgruppen deutlich zeigen, wie stark rechtsradikale Verschwörungstheorien und Erklärungsmuster vorherrschen, stellen deren Anhänger dies unter den Teilnehmenden offen zur Schau. Neben dem allgegenwärtigen »Querdenkerbommel« waren wieder Neonazis vor Ort. Mehrere Personen trugen an diesem Tag Kleidung mit direktem Bezug zur stark von Rechtsradikalen geprägten QAnon-Bewegung und einem rechten YouTuber und Verschwörungstheoretiker. Kritik oder sogar einen Ausschluss aus der Veranstaltung mussten sie dabei nicht fürchten.
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