Die Resolution gegen rechte Hetze und Gewalt der Gemeinde Bad Grönenbach zeigt wie unter einem Brennglas, was es den Nazis im Allgäu so leicht macht und dass die Gesellschaft noch immer nichts aus rechtem Terror gelernt hat. Ein Kommentar unseres Chefredakteurs Sebastian Lipp, der zuerst als kurzes »Lehrstück in 9 Tweets« aut Twitter erschien.
Die Resolution gegen rechte Hetze und Gewalt der Gemeinde Bad Grönenbach ist der blanke Hohn. Wie unter einem Brennglas zeigt sie, was es den Nazis im Allgäu so leicht macht und dass die Gesellschaft noch immer nichts aus rechtem Terror gelernt hat.
Man bedauere zutiefst, schreiben Gemeinderäte und Bürgermeister Bernhard Kerler einleitend, die rechten Terrorakte von Hanau, Halle – »und den Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke«. Namentlich – und mit Amt! – wird nur der hessische CDU-Politiker genannt. Die anderen zwölf Toten aber bleiben eine anonyme Masse.
Die »Fremden« und die »Uns’ren«
Sie hießen: Ferhat Ünvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kalojan Welkow, Fatih, Saraçoğlu, Said Nessar El Hashemi, Vili Viorel Păun, Gabriele R., Jana Lange und Kevin Schwarze. Das hätten die Grönenbacher Ratsmitglieder in fünf Minuten recherchieren können. Unter dem Stichwort #SayTheirNames gibt es online eine Bewegung, die Namen und Gesichter der Toten von Hanau öffentlich sichtbar macht.
Ferhat Ünvar hat letzte Woche seine Ausbildung als Anlagemechaniker in einem Sanitärbetrieb abgeschlossen. Er kommt aus einer kurdischen Familie, die aus der Türkei nach Deutschland floh. Sein Vater sagt: »Er war unser ganzer Stolz.« Ferhat Ünvar wurde nur 22 Jahre alt. #Hanau pic.twitter.com/Z8ikUtPM13
— Frederik Schindler (@Freddy2805) February 21, 2020
Ihre Namen und wer sie waren ist in Grönenbach jedoch keine Erwähnung wert. Die meisten von ihnen sind eben »fremd«: Die »mit Migrations- oder Fluchthintergrund, einer anderen Religion oder Hautfarbe.« Sie sollen nach der Resolution der Ratsmitglieder weiter friedlich unter dem Dach »unserer« freiheitlichen Grundordnung mit »uns« zusammenleben können.
Den Tätern näher als den Opfern
Othering nennen Soziolog*innen diesen Prozess. Er manifestiert sich gesellschaftlich etwa in rassistischen, antisemitischen oder völkischen Einstellungen – den Grundlagen neonazistischer Ideologie. Indem die Mitglieder des Grönenbacher Gemeinderats so die Konstruktion des »Eigenen« und des »Fremden« zementieren, stellen sie sich den Tätern des rassistischen Terrors näher als ihren Opfern.
Der Resolution geht es auch gar nicht wirklich um die Betroffenen des rassistischen Terrors. Nicht ihretwegen positioniert sich der Rat gegen die hiesige Produktion und Verbreitung von Nazi-Propaganda. Und die ist eigentlich auch gar nicht das Problem. Erst aufgrund »der jüngsten Medienberichte, in denen auch unsere Gemeinde im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Aktivitäten genannt wird« ringt sich das Gremium zu seinem Beschluss durch. Zuvor wollte sich auf Anfrage keine Gemeinderatsfraktion und auch nicht der Bürgermeister klar gegen die Propagandaschmiede am Kurort positionieren.
Lippenbekenntnis aus Sorge um den Ruf des Örtchens
Noch im Februar ließ man sich auf einer Veranstaltung über die örtliche Neonaziszene im vollen Postsaal von Bad Grönenbach zur öffentlichen Verharmlosung der hiesigen Neonaziaktivitäten hinreißen. Nun sorgt man sich vor der unerwünschten medialen Aufmerksamkeit, die kommen wird und bringt sich aus der Schusslinie. Man will ja nicht die Kurgäste verschrecken.
Aber selbst in der Sorge um den Ruf des Örtchens beschränkt sich die Position der Ratsmitglieder auf ein reines Lippenbekenntnis: Man vertraue darauf, dass zuständige Stellen die Verbreitung rechtsradikalen und rassistischen Gedankenguts unterbinden mögen. In diesen Zeiten, in denen die extreme Rechte im Land erfolgreich ist wie kaum je zuvor, weist der Grönenbacher Gemeinderat jede Verantwortung von sich. Nichtmal einen Appell an Behörden oder Gesellschaft ist der Kommunalregierung die Sache wert.
Schlag ins Gesicht der Opfer rechter Gewalt
Und als Krönung definiert der Grönenbacher Gemeinderat sein Örtchen kurzerhand als »bunt, weltoffen, tolerant und solidarisch«. Das ist ein Schlag ins Gesicht derer, die von Nazis bedroht werden – und erneut vergewissert wurden, dass sie von dieser Gesellschaft wenig Schutz zu erwarten haben.
Wer dagegen ernsthaft solidarisch sein will, muss dem auch Konsequenzen folgen und Taten sprechen lassen. Denn wo eine falsch verstandene Toleranz auch für Nazis und ihre Mordphantasien gilt, kann es in Wirklichkeit weder Toleranz noch Solidarität geben. Dafür stehen mehr als 200 Menschen, an denen diese Menschenverachtung allein in Deutschland seit 1990 bereits exekutiert wurde.
Den Tätern kann man sich entschlossen entgegen stellen. Oder man kann es lassen, wegsehen, sich raushalten und nicht zuständig sein wollen. Dann macht man den Weg frei und lässt die Betroffenen alleine. Würde man aufrichtig versuchen, ihre Perspektive einzunehmen, man könnte nicht anders als das zu erkennen.
Die Neonaziszene indes wird die Resolution ebenfalls zur Kenntnis nehmen. Sie wird erneut feststellen, dass sie weiter rassistische und antisemitische Propaganda produzieren und international wird verbreiten dürfen – genauso ungehindert wie etwa nach den Razzien, bei denen die Polizei schon vor Jahren Photos fand, auf denen Anhänger seiner Skinheadkameradschaft Voice of Anger an einem Schießstand zu sehen sind. Als Ziele nutzen sie Bilder jüdischer Geistlicher.
Das braune Allgäu – mir ist ganz schlecht.
Haben wir es hier nötig, von rückgratlosen Menschen vertreten zu werden, die nur ihr „eigenes Hemd“ schützen (wollen)?!
Respekt!
Kein Platz für Rassismus!