Nur »gemeinsame Freizeitgestaltung«? Die Offenlegung der bei Oldschool Records abgehörten Kommunikation belegt erstmals, dass auch die Behörden wissen, wie gefährlich Voice of Anger wirklich ist.
»Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stehen die gemeinsame Freizeitgestaltung, interne Veranstaltungen und Feiern sowie die Veranstaltung bzw. der Besuch von Skinhead- Konzerten.« So harmlos formen Behörden seit Jahren die öffentliche Wahrnehmung von Voice of Anger.
Erstmals adäquate Einschätzung einer Behörde
Doch am Freitag zeichnete ein ehemaliger Staatsschützer ein ganz anderes Bild der immerhin größten bayerischen Skinheadkameradschaft. Erstmals kommt damit die öffentliche Einschätzung einer Behörde dem nahe, was die Recherchen von Allgäu ⇏ rechtsaußen seit Jahren zeigen: Voice of Anger gibt sich nach außen moderat. Doch wer genauer hinsieht, dem zeigt sich eine militante, zutiefst antisemitische Gruppe, die den Nationalsozialismus verherrlicht und Blood&Honour nahesteht.
»Voice of Anger gibt sich nach außen hin relativ moderat, weitestgehend unauffällig. Im Innenleben sieht es anders aus.« Das sagte der ehemalige Staatsschützer Jochen Glaser am Freitag vor dem Landgericht Memmingen. Als Zeuge in der Neuauflage des Berufungsprozesses gegen das Allgäuer Plattenlabel Oldschool Records sagte er zur Person des Neonaziunternehmers Benjamin Einsiedler und seiner Rolle in der extremen Rechten aus.
Szenegröße überwacht
Bei der Auswertung von Datenträgern, Mobiltelefon und der Kommunikation von Benjamin Einsiedler »sind wir auf umfangreiche Inhalte zu seiner Person gestoßen«, sagte der Ermittler während seiner Vernehmung am Freitag. Als Leiter des Kommissariat Staatsschutz war der 57-jährige Polizist Anfangs mit den Ermittlungen gegen das Neonaziplattenlabel Oldschool Records und dessen Betreiber befasst. Damals habe es eine Anzeige aus Berlin wegen des Vertriebs eines SS-Totenkopfs gegeben.
In der Szene ist Einsiedler »eine bekannte Größe«, so der damalige Ermittler. Bei der Auswertung der Asservate sei er auf eine Anfrage an Einsiedler gestoßen, wie man sich bei einem Vorwurf wegen SS-Runen verhalten solle. Einsiedlers Ratschlag laut Glaser: »Auf die Heidenschiene gehen, das sei eine Religion.«
Eine Übersicht über die Ämterverteilung bei Voice of Anger weise Benjamin Einsiedler, Spitzname »Bendel«, als Führungsmitglied aus der Vorstandschaft aus. Nach dieser Ämterverteilung habe Einsiedler »die Position des Aufsehers bei Voice of Anger inne«. Damit sei es »seine Aufgabe, für Recht und Ordnung zu sorgen«, so Glaser.
Vernichtungsphantasien und NS-Terror
Auffällig sei auch die Auswertung von Gruppenchats gewesen. Insbesondere auf WhatsApp sei Einsiedler in mehreren Gruppen mit Bezug zu Voice of Anger gewesen. Die hätten je zwischen fünf und 20 Mitglieder gehabt. Teilweise hätten die Gruppen nur aus Mitglieder von Voice of Anger (VoA) bestanden, manchmal waren aber auch Externe dabei. Meistens seien ein bis zwei Drittel der Gruppenmitglieder VoA-intern gewesen. In einer dieser Gruppen sei Einsiedler Administrator und wohl für die Mitglieder aus Memmingen verantwortlich. Dafür gäbe es »starke Hinweise«. Die Inhalte dieser Gruppen »lassen starke Rückschlüsse auf die Ideologie zu.«
So habe es 2014 eine Aktion der Piratenpartei zur Bombardierung Dresdens gegeben. Ein dabei entstandenes Bild einer Frau mit entblößtem Oberkörper und der Aufschrift »Thanks Bomber Harris« wurde retouschiert und in eine der Gruppen um Voice of Anger gepostet, wie Glaser im Gerichtssaal berichtet: Die Frau wurde vor die Tore von Auschwitz gestellt und statt »Bomber Harris« der Name Adolf Eichmanns aufgebracht. »Das ist ein Zeichen, wie man bei Voice of Anger denkt«, so Glaser. Die zentrale Dienststelle des SS-Obersturmbannführers organisierte die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von Juden und war mitverantwortlich für die Ermordung von Millionen Menschen im weitgehend vom NS-Staat besetzten Europa. Glaser zählte zudem perfide mit Vernichtungsphantasien gespickte antisemitische und rassistische Posts und Diskussionen auf. In den Chats feiern die Anhänger von Voice of Anger demnach den Vernichtungsterror der Nazis und wünschen dessen Wiederholung.
Benjamin Einsiedler zeigte Hitlergruß
Trotz seiner Funktion, für Recht und Ordnung zu sorgen, »hat Benjamin Einsiedler in keiner Weise zur Mäßigung beigetragen«, erklärte der Ermittler. Im Gegenteil habe er auch selbst entsprechende Chats versandt. Etwa am Tag der Geburt von Adolf Hitler ein Bild mit einem Hakenkreuz auf einer Geburtstagstorte. Oder eine metallene Grillplatte von Voice of Anger mit den SS-Siegrunen. »Himmler wäre stolz auf uns«, soll Einsiedler geschrieben haben. Schließlich legt Glaser ein Photo vor, das Benjamin Einsiedler zeigt, wie er selbst den Hitlergruß macht. Es gäbe Mitschnitte aus der Telefonüberwachung, wo mit »Sieg Heil« verabschiedet würde.
Vor diesem Hintergrund sei die Polizei zu dem Schluss gekommen, dass es ihm bei Oldschool Records um die Verbreitung rechtsradikaler Ideologie geht. Während des Ukrainekonflikts habe Benjamin Einsiedler Geld für den Rechten Sektor gesammelt.
Affinität zu Blood&Honour und Waffen
»Bei der Auswertung haben wir Unterlagen gefunden, die eine gewisse Affinität zu Blood&Honour (B&H) darlegen, eine in Deutschland verbotene rechte Organisation.« So habe Einsiedler Informationen von Blood&Honour Worldwide bezogen und Kontakt zu Frank Rennicke unterhalten, der 2011 ein B&H-Konzert in Deutschland organisiert habe. Benjamin Einsiedler selbst vertreibe Klamotten, die ein so abgewandeltes B&H-Logo zeigten, dass es nicht strafbar sei. Seit Jahren berichtet Allgäu ⇏ rechtsaußen von offenkundigen Blood&Honour-Aktivitäten im Umfeld von Voice of Anger und Oldschool Records. Jüngst besuchte eine britische B&H-Band die Skinheads, spielte ein Konzert und nahm ein neues Album bei Oldschool Records auf.
Auf dem Laptop von Benjamin Einsiedler fand die Polizei Bilder, von denen sie glaubt, dass sie in der Schweiz entstanden sind. Sie zeigen Voice of Anger bei Schießübungen. Darauf ist neben Waffen und Munition zu sehen, dass Voice of Anger offenbar nicht nur das Schießen auf Zielscheiben trainiert. Neben diesen sind Bilder jüdischer Geistlicher zu sehen.
Bereits Anfang des vergangenen Jahres veröffentlichte Allgäu ⇏ rechtsaußen das entsprechende Bildmaterial in Voice of Anger und der rechte Untergrund im Allgäu (ISBN: 978-3-00-062183-3). Inzwischen ist das preisgekrönte Buch in zweiter Auflage erscheinen und kann hier bestellt werden.
7 Gedanken zu „»Nach außen moderat, im Innern sieht’s anders aus«“