»Hinter dem Reich steckt der Rechtsextremismus«, schematische Darstellung reichsideologischer Fragmente, aus: Broschüre »Wir sind wieder da« der Amadeu Antonio Stiftung

»Warnschuss« für waffenaffinen Reichsbürger

Ein Netzwerkadministrator schmeißt seinen Job, fälscht Dokumente, um das Arbeitsamt zu betrügen, bewaffnet sich und greift Polizisten an. Dafür kassiert der Reichsbürger vor dem Amtsgericht Kempten eine Bewährungs- und eine Geldstrafe.

Als Claus A. am Dienstag Morgen in Saal 185 auf der Anklagebank Platz nimmt, möchte man gar nicht recht glauben, was ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft. Im grauen Jackett, weißem Hemd und passender Hose wirkt er wie der Netzwerkadministrator, als den ihn eine Memminger Bank einst beschäftigte.

Job geschmissen, Arbeitsamt betrogen und Polizisten angegriffen

Doch im Jahr 2018 schmeißt er seinen Job, fälscht eine Urkunde, um das Arbeitsamt zu betrügen, missbraucht mehrfach den Notruf, beleidigt einen Richter und eine Nachbarin, bewaffnet sich und greift Polizisten an.

Konkret wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten etwa den Besitz einer Röhm 88 Schreckschusswaffe mit je 50 Platz- und Pfefferpatronen im Kaliber 9mm vor. Die hatte die Polizei im März 2018 bei einer Durchsuchung seiner Wohnung gefunden. Den Besitz solcher Waffen hatte ihm das Landratsamt Oberallgäu im Februar 2018 untersagt.

»Tötet die Drecksau«

Noch am Tag der Durchsuchung rief der Beschuldigte  mehrfach über den Notruf bei der Einsatzzentrale der Polizei in Kempten an. Jeweils meldete er sich mit seinem Namen und erkundigte sich nach verschiedenen Personen mit weiblichen Vornamen. In Verbindung mit diesen äußerte er sexuelle Wünsche und forderte etwa »tötet die Sau, tötet die Drecksau, gell«.

Im April 2018 folgte dann laut Staatsanwaltschaft der Angriff auf die Polizei. Beamte sprachen Claus A. an einer Ampel vor dem Hotel Peterhof in der Salzstraße in Kempten an. Gemäß eines Gerichtsbeschlusses sollten sie A. einem Arzt am Bezirkskrankenhaus vorführen. Doch der wehrte sich mit einem Schlag gegen die Maßnahme. Darauf brachte ihn die Polizei zu Boden, nahm in fest und führte ihn zwangsweise dem Arzt vor.

Angeklagter gilt bei Behörden als Reichsbürger

In so einem Fall wäre es eigentlich üblich, die Zielperson einfach zu Hause aufzusuchen. Aber in diesem Fall wurden besondere Maßnahmen ergriffen. Claus A. wurde zuerst von zivilen Kräften observiert und dann von den Uniformierten auf offener Straße gestellt. Das erklärte der Erste Polizeihauptkommissar, der den Schlag abbekommen hatte, am Dienstag vor Gericht. Denn es gäbe gewisse Vorerfahrungen mit Claus A., der bei den Behörden als Reichsbürger gilt, so der inzwischen am Flughafen Memmingerberg tätige Beamte. Da habe man »kein unnötiges Risiko« eingehen wollen.

Der Kubotan, den die Polizei bei der Durchsuchung in der Jackentasche von Claus A. fand, bestätigt die Einschätzung der Beamten.  Die Stichwaffe habe er sich extra nach dem Polizeieinsatz in seiner Wohnung besorgt »als Sicherungsmaßnahme zur Verteidigung«, erklärte Claus A. am Dienstag auf Nachfrage des Richters. Im Übrigen habe vor dem Hotel Peterhof nicht er die Polizei, sondern die Polizei ihn angegriffen. Sein Schlag folgte auf einen Tritt der Polizisten in seinen Rücken, versicherte der Angeklagte.

Feindbilder aus rassistischen rechten Kreisen

Die Anrufe beim Notruf räumt Claus A. ein. Er sei betrunken gewesen und habe »aus Wut über den SEK-Einsatz« gehandelt. Beim ersten Anruf sei es um eine Person gegangen, die an der Durchsuchung in seiner Wohnung beteiligt gewesen sei. In der Folge hätte sich sein Zorn gegen Angela Merkel und Claudia Roth gerichtet. Auf die Frage des Richters setzte er an, um den Zusammenhang zu erklären. Auf Anraten seines Rechtsanwaltes verstummte er jedoch sogleich wieder. Sowohl die Bundeskanzlerin als auch die Grünen-Politikerin sind inzwischen beliebte Feindbilder in rassistischen rechten Kreisen.

»Wenn jemand sich Waffen besorgt, um Polizeibeamte anzugreifen und das dann auch tut, kann es nicht sein, dass derjenige ohne Freiheitsstrafe davon kommt«, plädierte der Vertreter der Staatsanwaltschaft für eine Gefängnisstrafe von 15 Monaten ohne Bewährung. Das sei notwendig »zur Verteidigung der Rechtsordnung«. Alles andere sei »dem Bürger nicht zu vermitteln.

Frust und Trauma durch SEK-Einsatz?

Für Rechtsanwalt Ulrich Menth aus Kempten fiel das Verhalten des Angeklagten dagegen in eine »sehr schlechte Phase«, die sein Mandant 2018 erlebt habe. »Ein Stück weit« sehe Claus A. seine Fehler auch ein. Der Anwalt sehe keine Wiederholungsgefahr. Daher plädierte er für eine deutlich mildere »Freiheitsstrafe von keinesfalls mehr als sieben Monaten«. Und die sei als seine erste Haftstrafe zur Bewährung auszusetzen. Man müsse Verständnis dafür aufbringen, dass Claus A. frustriert und traumatisiert durch den SEK-Einsatz in seiner Wohnung gewesen war, so Menth.

Das Gericht hat dem Angeklagten schließlich »einen wirksamen Warnschuss verpasst«, so der Richter in seiner Urteilsbegründung.100 Tagessätzen zu je 15 Euro hat Claus A. nun zu begleichen und muss ein Jahr ins Gefängnis, wenn er innerhalb der nächsten drei Jahre wieder straffällig wird. Dann »werde ich nicht lange zögern, die Bewährung zu widerrufen«, so der Richter.  Die Staatsanwaltschaft mache es sich zu einfach, wenn sie davon ausgehe, dass der Angeklagte weiter Straftaten begehen werde, weil der den Ideen der Reichsbürger anhänge und deshalb auf eine Bewährung zu verzichten sei.

Das Urteil ist rechtskräftig, da sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft es noch im Gerichtssaal akzeptierten.

»Ich bin kein Reichsbürger«

Den Reichsbürger-Vorwurf der Behörden weist Claus A. auf Nachfrage von Allgäu ⇏ rechtsaußen von sich: »Ich bin kein Reichsbürger und habe noch nie mit denen zu tun gehabt«, erklärte er unmittelbar nach dem Urteil. Er wisse »aus der Presse, wer die sind«. Dennoch laufe hier einiges falsch: »Schauen Sie mal in Ihren Ausweis. Haben Sie schon Mal ein Land gesehen, das deutsch heißt? Das ist Besatzungsrecht, was hier läuft.«

Auf die Entgegnung, dass das doch sehr nach den Thesen der Reichsbürger klingt, bricht Claus A. das Gespräch ab. Plötzlich möchte er sich nicht mehr weiter mit dem Journalisten unterhalten. »Auch mit Ihnen habe ich meine Erfahrungen«, sagt er und geht.


(Titelbild: »Hinter dem Reich steckt der Rechtsextremismus«, schematische Darstellung reichsideologischer Fragmente, aus: Broschüre »Wir sind wieder da« der Amadeu Antonio Stiftung.)


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