Ende März kam es in mehreren Bundesländern zu einer Razzia gegen die neonazistische Skinheadkameradschaft Voice of Anger – wegen »Hatespeech«. Jetzt ist klar, wo die Polizei zugriff.
Beamte der Kriminalpolizeiinspektion Memmingen durchsuchten am Mittwoch, dem 23. März 2022, mehrere Objekte in den Landkreisen Unterallgäu, Günzburg und Memmingen sowie in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Das geht aus einer Mitteilung der Polizei an die Presse vom darauffolgenden Freitag hervor. Hintergrund der Durchsuchung war demnach »die Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts in einer Messengerdienst-Gruppe durch Mitglieder der Skinheadgruppierung Voice of Anger.«
Razzia bestätigt Recherchen zur Expansion nach Westfalen
Die Ermittlungen führten zu insgesamt sieben männlichen Tatverdächtigen im Alter von 28 bis 46 Jahren. Ziel der Razzia war unter anderem auch das Clubhaus von Voice of Anger in einer Kleingartenanlage in Buxach-Hart bei Memmingen sowie die privaten Räume des Bauunternehmers Boris Gehrig, der dieses vor einigen Jahren für die Gruppe erwarb. Weitere vier Tatverdächtige traf es in der Region, die Räumlichkeiten von Oldschool Records waren laut Staatsanwaltschaft Memmingen nicht betroffen. Die Durchsuchung gegen einen Beschuldigten aus Württemberg fand im Bereich Kißlegg statt, wie die Staatsanwaltschaft Ravensburg auf Anfrage erklärte.
In Westfalen traf es erwartungsgemäß einen Anhänger von Voice of Anger aus Hamm. Das bestätigt die für dieses Verfahren zuständige Staatsanwaltschaft Dortmund. Auch hier werde »wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, § 86a StGB, ermittelt.« Damit bestätigen die Behörden erstmals implizit die Expansion von Voice of Anger nach Westfalen, über die Allgäu rechtsaußen bereits im Oktober vergangenen Jahres berichtete.
Geringe Ausbeute im militanten Nazi-Milieu
Obzwar es sich bei Voice of Anger um die größte Gruppierung ihrer Art in Süddeutschland handelt, die mit besten internationalen Kontakten ins militante Neonazimilieu glänzt, seine Wurzeln in gewalttätigen und teils verbotenen rechtsradikalen Skinheadgruppen der 90er Jahre hat und auch mal mit Waffen hantiert, geht es in diesem Verfahren nur »um das Posten von ›Memes‹ bzw. ›Stickern‹ mit nationalsozialistischen Inhalten«, präzisiert die Staatsanwaltschaft Memmingen die Vorwürfe auf Anfrage von Allgäu rechtsaußen. Dabei gehe es »im Wesentlichen um den Straftatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, wobei den fünf Beschuldigten, gegen die Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Memmingen anhängig sind, derzeit zwischen einer und drei strafbare Handlungen, d.h. Postings, vorgeworfen werden.«
Trotz des Hintergrunds der Gruppe konnten die Ermittler*innen lediglich einiger Mobiiltelefone, digitaler Datenträger sowie geringer Mengen Cannabis und einem verbotenen Messer habhaft werden. Zudem war einer der Beschuldigten im Besitz eines gefälschten Impfpasses und eines Blankodokuments, welche ebenfalls sichergestellt wurden.
Hatespeech-Razzia führt zu Hatespeech-Razzia
In der fraglichen Messenger-Gruppe hätten sich knapp 60 Personen befunden. Das ist exakt die Zahl, die der Verfassungsschutz als Anzahl der Mitglieder von Voice of Anger angibt. Dazu, ob sämtliche Mitglieder der Gruppe auch zu Voice of Anger gehören, liegen der Staatsanwaltschaft allerdings (noch) keine Erkenntnisse vor, wie diese einräumt.
Im Rahmen der Auswertung eines Mobiltelefons, welches Ermittler*innen in einem anderweitigen Verfahren sichergestellt hatten, stellten Beamte des Kommissariats Staatsschutz der Kripo Memmingen fest, dass von mehreren Personen rechtsradikales Gedankengut in einer Gruppe eines Messengerdienstes verbreitet worden war. Auch im vorhergehenden Ermittlungsverfahren ging es um das Posten von nationalsozialistischen Inhalten in einer Messenger-Dienst-Gruppe, präzisiert die Staatsanwaltschaft Memmingen auf Anfrage von Allgäu rechtsaußen.
Neonazi-Skins dürfen 20-jähriges Jubiläum feiern
Voice of Anger ist die größte noch aktive neonazistische Skinhead-Kameradschaft im Süden von Deutschland und bis zur Expansion hauptsächlich im Allgäu aktiv. Im Vorpandemiejahr machten sie das Allgäu als Konzertveranstalter zum bayerischen Hotspot dieser Events, als rund die Hälfte aller bayerischen Konzerte von ihnen ausgerichtet wurde. Dieses Jahr dürfen die Neonazis ihr 20-jähriges Jubiläum feiern. In dieser Zeit ist es Voice of Anger gelungen, sich weitgehend unbehelligt von staatlicher Repression und öffentlicher Aufmerksamkeit zu professionalisieren und ihre Vernetzung in die internationale militante Szene auszubauen. Ihre Wurzeln liegen in der gewalttätigen Skinhead-Szene und teilweise verbotenen Strukturen der 90er Jahre.
Doch obwohl sich das Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum des Bundes (GETZ) in den vergangenen Jahren mehrfach mit Voice of Anger beschäftigte, liegen den Behörden an entscheidenden Stellen kaum Informationen über die Allgäuer Neonazi-Kameradschaft vor. Seit Jahren berichten Antifaschist*innen und Fachjournalist*innen über beste internationale Verbindungen von Voice of Anger in das militante und terroristische Milieu von Blood&Honour, Combat 18 und den Hammerskins. Aber: »Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor«, schreibt diese 2018 in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP (Drs. 19/4188). Solange sich die Sicherheitsbehörden jedoch in ihrem Durchgreifen auf »Hatespeech« beschränken, dürfte sich daran auch nicht viel ändern.