In Flensburg begegnete der Grundrechte-Demo am 25. April 2020 kreativer Protest, der sich kritisch mit Querfrontbildung und Grundrechtseinschränkung auseinandersetzte.

Statt Querfront: Solidarischer und kreativer Protest gefordert

Kemptener Antifaschist_innen begrüßen die Motivation, für Grund- und Freiheitsrechte zu demonstrieren. Mit den sogenannten Grundrechte-Demos gehen sie aber hart ins Gericht. Sie legen konkrete Forderungen für eine solidarische Antwort auf Corona vor. Darunter: Eine konsequente Abgrenzung nach Rechts.

»Protest und Widerstand für Grundrechte und Freiheit – gegen einen autoritären Staat – sind grundsätzlich notwendig. Es ist wichtig Entscheidungen der Politik und mögliche Auswirkungen und Folgen abzuwägen, kritisch zu hinterfragen und (öffentliche) Debatten darüber anzustoßen und zu führen.« Das erklären das selbstverwaltete Jugendzentrum react!OR und die Initiative Kempten gegen Rechts in einem gemeinsamen Statement zu den seit einigen Wochen stattfindenden Grundrechte-Demos.

Außer der Empörung über die Corona-Maßnahmen insgesamt und explizit die Mund-Nasen-Schutzmasken-Pflicht im ÖPNV und beim Einkaufen, gäbe es dort aber »keine erkennbar konkret formulierte Kritik bezüglich der Einschränkungen, keine Forderungen, Vorschläge für Alternativen oder Ähnliches.« Es werde nichteinmal  zwischen den Maßnahmen differenziert.

Verschwörungsglaube als Ausdruck antisemitischer Ressentiments

Auf Alu-Hüten prangte in Kempten die Behauptung einer »Corona-Lüge«, bei der es »nur um Angst und Zwangsimpfung« gehe.
Auf Alu-Hüten prangte in Kempten die Behauptung einer »Corona-Lüge«, bei der es »nur um Angst und Zwangsimpfung« gehe.

Stattdessen werde der Protest geprägt von der Überzeugung, hinter den Corona-Maßnahmen stecke ein geheimer Plan der Regierung oder die Pandemie sei gar gänzlich eine Lüge, so die Kritiker_innen. Dazu kämen Warnungen vor vermeintlichen Zwangsimpfungen. Zum Zweck der hinter all dem stecken soll, grassierten unterschiedliche Spekulationen und Theorien, »die allesamt auf eine geheime Verschwörung mächtiger Eliten, die ›das Volk‹ unterdrücken und kontrollieren wollen, hinauslaufen.«

Zwar gelte es, die Verhältnisse zu kritisieren, finden react!OR und Kempten gegen Rechts, doch wer dahinter »mächtige Eliten wittert, die geheime Absprachen träfen, um das ›unschuldige Volk‹ hinters Licht zu führen, kippt Wasser auf die Mühlen der neuen und alten Rechten«, denn solche vereinfachten Welterklärungen und Verschwörugnsmythen seien strukturell Ausdruck antisemitischer Ressentiments.

Der Glaube an eine im Geheimen wirkende mächtige Gruppe finsterer Verschwörer_innen sei historisch aufs Engste mit der Vorstellung verwoben, Jüdinnen und Juden seien diese Gruppe. Sie sollen dazu dienen, die eigene Ohnmacht gegenüber einem mächtigen Staat, einer globalen Pandemie oder dem Kapitalismus zu überwinden, so das Statement. Außerdem böten sie »ein greifbares Feindbild«, so die Warnung aus Kempten.

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Gefährliche Rechte profitieren von Naivität und mangelnder Abgrenzung

Der Attentäter, der bei einem Anschlag im Februar in Hanau aus einem rassistischen Motiv heraus zehn Menschen ermordete, wies eine ideologische Nähe insbesondere zu QAnon auf. Auf die selbe Verschwörungsphantasien beziehen sich am Samstag in Kempten auch Teilnehmende in Warnwesten.
Der Attentäter, der bei einem Anschlag im Februar in Hanau aus einem rassistischen Motiv heraus zehn Menschen ermordete, wies eine ideologische Nähe insbesondere zu QAnon auf. Auf die selbe Verschwörungsphantasien beziehen sich am Samstag in Kempten auch Teilnehmende in Warnwesten.

Doch bei alledem dürfe man nicht pauschalisieren, so die antifaschistischen Kritiker_innen. Denn nicht alle der unterschiedlichen Menschen, die sich zu den Demonstrationen träfen, würden solchem Verschwörungsglauben anhängen. Grundsätzlich sei die Motivation für Grund- oder andere Rechte zu demonstrieren zu begrüßen, »einige ahnen allerdings nicht, dass sie hier gemeinsam mit Menschen demonstrieren, die mehr oder weniger dem rechten Spektrum zuzuordnen sind« oder würden eigene problematische Positionen nicht überdenken oder das gemeinsame Demonstrieren mit rechten und rechtsoffenen Menschen verteidigen und ließen keine klare Abgrenzung erkennen. Diesen werfen die Antifaschist_innen vor:

»Wer – ob nun wissentlich oder nicht – mit AfDler*innen, Reichsbürger*innen, Antisemit*innen, Verschwörungsideologie-Anhänger*innen und rechten Esoteriker*innen (oder auch mit Nazis) für ein vermeintlich gleiches ›Ziel‹ auf die Straße geht, bildet einen Schulterschluss mit Rechts, ignoriert oder erkennt nicht die Gefahr, die von Rechts ausgeht, treibt den Rechtsruck in der Gesellschaft voran und ermutigt andere Menschen dazu, sich einer solchen Querfront ebenfalls anzuschließen.«

Dadurch entstehe ein Gemeinschaftsgefühl und damit letztlich die Anfälligkeit der Teilnehmenden für rechte Inhalte und gefährliche Verschwörungsideologien. Und selbst den abstrusesten dieser Ideen seien bereits mehrfach blutige Taten gefolgt, wie etwa der rassistische Anschlag in Hanau gezeigt habe.

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Solidarischer und kreativer Protest

In Flensburg begegnete der Grundrechte-Demo am 25. April 2020 kreativer Protest, der sich kritisch mit Querfrontbildung und Grundrechtseinschränkung auseinandersetzte.
In Flensburg begegnete der Grundrechte-Demo am 25. April 2020 kreativer Protest, der sich kritisch mit Querfrontbildung und Grundrechtseinschränkung auseinandersetzte.

Wer sich für Rechte und Freiheit einsetzt, sollte das nicht nur für sich selbst tun, sondern für alle Menschen und das nicht nur im Zuge von vorübergehenden Einschränkungen während einer Pandemie, argumentieren die Kemptener Gruppen, die sich gegen Rechts engagieren. Denn auch unabhängig von den Corona-Maßnahmen gebe es Menschen, die Freiheit, Grund- und Menschenrechte in unterschiedlichem Maße genießen könnten. Als Beispiel nennt das Statement Menschen, die in Europa Schutz vor Diktaturen suchen, auf dem Weg dorthin zum Sterben im Meer oder in der Wüste zurückgelassen oder gezwungen würden, in Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen zu leben.

Wer Rechte nur für sich selbst einfordere und dabei auch noch außer Acht lasse, dass die Maßnahmen Andere schützen sollen, und wer diese Maßnahmen aufgrund von Mutmaßungen gezielt missachte, handle egoistisch und unsolidarisch. Mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit müsse sowohl mit Blick auf die Schutzmaßnahmen als auch auf problematische und gefährliche Inhalte verantwortungsbewusst umgegangen werden, um nicht das eigene Recht zulasten anderer durchzusetzen. Deshalb fordern react!OR und Kempten gegen Rechts in ihrem gemeinsamen Statement von den Demonstrierenden eine Auseinandersetzung mit ihrer Kritik sowie eine Distanzierung von Verschwörungsideologien und rechten Inhalten. Wer diese verbreite, sei konsequent auszuschließen.

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»Gesundheitsversorgung, Sicherheit und Freiheit für alle«

Aktivisten der Seebrücke brachten unter anderem an der Heiligenstatue auf dem Kirchplatz in Kempten eine Rettungsweste mit der Aufschrift »Seenotrettung ist kein Verbrechen« an.
Aktivisten der Seebrücke brachten im vergangenen Jahr unter anderem an der Heiligenstatue auf dem Kirchplatz in Kempten eine Rettungsweste mit der Aufschrift »Seenotrettung ist kein Verbrechen« an.

Zudem rufen die Antifaschist_innen »zu kreativem Protest (gegen die Querfrontbildung) auf, bei dem das Wohlergehen aller Menschen im Vordergrund steht«. Auch die Kritiker_innen der Grundrechte-Demos »sehen in der gegenwärtigen Krise viele Risiken, aber auch die große Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und sich für eine menschenfreundliche Welt einzusetzen«.

Deshalb fordern react!OR und Kempten gegen Rechts »Gesundheitsversorgung, Sicherheit und Freiheit für alle« und leiten daraus eine Reihe ganz konkreter Forderungen ab. Darunter ist ein gesicherter Zugang zu medizinischer Versorgung und Infektionsschutz etwa  für Menschen ohne festen Wohnsitz oder Krankenversicherung, Menschen in Lagern und Sammelunterkünften sowie Gefangene. Außerdem: Die Evakuierung der Geflüchtetenlager in Griechenland, die Entprivatisierung der Pflege und Krankenhäuser, sowie eine bedingungslose Sicherung des Lebensunterhalts.


Hilfe: Du hast selbst einen Übergriff erlebt?

Dann kannst du Hilfe bei B.U.D. Bayern bekommen. Das ist eine unabhängige Beratungsstelle für Betroffene von rechten, rassistischen und antisemitischen Übergriffen.

Zeug_innen können sich an B.U.D. Bayern wenden, dann wird der Vorfall registriert und Betroffenen geholfen – wenn sie das wollen.

Wenn du in Baden-Württemberg bist, ist dieLeuchtlinie für dich da.

Eltern, Angehörige und Freunde von Jugendlichen, die sich rechts orientieren, können Hilfe bei der Elternberatung bekommen.

Und wenn du selbst etwas gegen Rechts unternehmen willst, steht dir die Mobile Beratung zur Seite.

3 Gedanken zu „Statt Querfront: Solidarischer und kreativer Protest gefordert“

  1. Schämen sollten sich diese Journalisten.
    Wer natürlich einen „rechten Filter“ über alles legt, dann kann man das so sehen. Aber mit Wahrheit hat das nichts zu tun!
    Aber das sagte schon Goethe…

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