Über die Mahnwachen für den Frieden in Kempten, Peter Felsers Unternehmen und seinen AfD-Kreisverband im Allgäu schaffte Jirka B. den Sprung in die »Abteilung für strategische Kommunikation« der AfD-Landtagsfraktion in Thüringen. Dass sein Weg aus der militanten Neonaziszene zur Neuen Rechten taktisch angelegt sein könnte, zeigen Chatprotokolle, die Allgäu ⇏ rechtsaußen exklusiv vorliegen.
Jirka B. arbeitete als Grafiker in Peter Felsers Unternehmen in Kempten und schaffte den Sprung in die »Abteilung für strategische Kommunikation« der Thüringer AfD-Landtagsfraktion unter Björn Höcke. Recherchen von Thüringen rechtsaußen zeigen, dass B. über Jahrzehnte eng mit der militanten Neonazi-Szene verbunden war. Allgäu ⇏ rechtsaußen liegen Chatprotokolle vor die zeigen, dass er sich längst nicht in jeder Situation von seiner Vergangenheit distanziert.
Hat sich B. gar aus taktischen Gründen vom Neonazismus weg hin zur sogenannten Neuen Rechten orientiert?
Die Jahre in der militanten Nazi-Kaderschmiede: Wiking-Jugend, FAP, Nationalistische Front
Schon als junger Bursche beginnt B. seine Karriere in der Neonaziszene. Anfang der 1990er Jahre marschiert der junge Neonazi im Trommlerzug der heute verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) an der Spitze eines Trauermarsches für den verstorbenen Neonazi Rainer Sonntag, wie ein Photo belegt. 1991 wird er bei einem Neonazi-Aufmarsch als Fackelträger in der Uniform der Wiking-Jugend (WJ) photografiert. Beide Abbildungen erscheinen 1992 in einer umfangreichen Recherche über damalige Drahtzieher im braunen Netz, so der Titel des Buches.
Bereits 1996 erscheint eine aktualisierte und erweiterte Neubetrachtung der Drahtzieher im braunen Netz als zu der Zeit »aktueller Überblick über den Neonazi-Untergrund in Deutschland und Österreich«. Diesmal hat es Jirka B. als Fackelträger der Wiking-Jugend mit einem Photo bis aufs Cover geschafft. Ein eigenes Kapitel ist der WJ gewidmet, die beschrieben wird als streng hierarchisch und nach dem Führerprinzip organisierte detailgetreue Weiterführung der Hitler-Jugend (HJ), die über 40 Jahre zu den bedeutendsten Gruppen der Neonazis in Deutschland gehörte. Schon die programmatische Schrift Wiking-Jugend: Idee und Gestalt ist ganz offen an den Buchtitel Die Hitlerjugend: Idee und Gestalt des Hitlerjugendführers Baldur von Schirach angelehnt. Der Name leitet sich vom Regiment Wiking ab, das auf Befehl Hitlers zur Division Wiking – einer der mörderischsten Truppen der Waffen-SS – ausgebaut wurde.
Der Journalist Dirk Gerhard, der sich 1976 in ein Lager der neonazistischen Kaderschmiede eingeschlichen hatte, berichtet aus dem Inneren der verschworenen Rassistengemeinschaft:
»Wir sahen Kinder, die in Betonröhren oder Bodenmulden hockten und sich gegenseitig mit Stöcken bewarfen, die Handgranaten darstellten, die versuchten, den ›gegnerischen Graben‹ zu stürmen. Und eine Sechsjährige bekundete auf die Frage, was sie spiele, freimütig: ›Wir üben für den Krieg‹. Wir erlebten, wie eine Gruppe kleiner Mädchen, die angefangen hatte, ein Liedchen zu trällern, von ihrer Mädelführerin angeherrscht wurde ›Wer hat euch befohlen zu singen? Lied aus!‹. Und eingeschüchtert schweigen die Kleinen. Wir erleben, daß Kinder geschlagen und getreten wurden, wenn sie nicht auf der Stelle parierten. Wir erlebten ständigen Drill und militärischen Zwang schon für die Kleinsten.«
Für die Autoren von Drahtzieher im braunen Netz sind diese Kriegsszenarien Bestandteil einer Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen. In den Lagern der WJ sei »ein Großteil der später verurteilten rechtsterroristischen Prominenz« etwa aus der NSDAP/AO, der Wehrsportgruppe Hoffmann und der Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands aus den 1970ern ausgebildet worden. »Die bekanntgewordenen Aktivitäten von WJ-Mitgliedern«, heißt es in dem Standardwerk zur damaligen Neonaziszene weiter, »scheinen nur die Spitze des Eisberges einer größeren paramilitärischen Untergrundstruktur zu sein.« Bei mehreren Mitgliedern habe die Polizei Kriegswaffen, Sprengstoffe und Selbstbauanleitungen für Sprengsätze gefunden.
Auf einer internen Organisationsliste aus dem Parteiarchiv der später ebenfalls verbotenen Nationalistischen Front (NF) sei der Name Jirka B. mit der Ergänzung »Status 88« (»ST88«) versehen gewesen, berichtet Thüringen rechtsaußen unter Berufung auf die alten Recherchen. Dort heißt es, dieses Kürzel bezeichne nicht nur die bekannte Anlehnung an den achten Buchstaben im Alphabet, wonach die 88 für »Heil Hitler« steht. Mutmaßlich diene die Bezeichnung in der Liste als Kennzeichnung der Mitglieder der paramilitärischen Struktur in der Nationalistischen Front. Die militante Kaderpartei habe sich offen am Nationalsozialismus orientiert und sei der Versuch gewesen, eine Kopie der SS aufzustellen.
Weiter heißt es, dass B.s Name auch im Zusammenhang mit dem Deutschen Hochleistungs-Kampfkunstverband auftauchte. Der Verband trainierte in den frühen 1990er Jahren Neonazis im Kampfsport; »kanackenfreies Training«, hieß es in der Szene. Mitglieder der Organisation waren es, die im Mai 1993 ein Haus in Solingen anzündeten und damit fünf Menschen ermordeten. Offenbar war die Tat rassistisch motiviert.
Später: Artgemeinschaft und NSU
Mehr als zehn Jahre später treibt sich B. noch immer auf einschlägigen Nazi-Treffen herum. Während der Sommersonnwendfeiern der Artgemeinschaft 2003 und 2004 hat die Staatsschutzabteilung der Polizei in Thüringen kontrolliert, wer dort am Ausflugs- und Ferienhotel Hufhaus nahe Ilfeld in den Wäldern Nordthüringens auftaucht. In beiden Jahren ist Jirka B. auf den Allgäu ⇏ rechtsaußen vorliegenden Kontrolllisten vermerkt.
Sonnwendfeiern sind dem historischen Nationalsozialismus entlehnt, heißt es im aktuellen Verfassungsschutzbericht für Bayern. Insebsondere die SS habe damals die angeblich altgermanischen Sonnwendfeiern wiederbelebt und als offizielle Feiertage in die Symbolik von »Volk, Blut und Boden« integriert. In diesem Sinne führen Neonazis bis heute (auch im Allgäu) Winter- und Sonnwendfeiern durch.
Neben B. tauchen auch die mutmaßlichen Terrorhelfer des NSU Maik, Susann und André Eminger auf diesen Festen auf. Früher, als die Artgemeinschaft sich noch in der Lüneburger Heide zu germanischem Sechskampf, Feuer und Schulungen traf, nahm nach einer Recherche der Journalistin Andrea Röpke sogar die wegen der Taten des NSU angeklagte Beate Zschäpe 1997 an einem Treffen aus dem Umfeld der Artgemeinschaft teil.
Abseits einer fehlenden öffentlichen Aufmerksamkeit ist die seit 1951 bestehende Artgemeinschaft in der radikalen Rechten von hoher Bedeutung. Bei dem völkischen Sippenverband, der auch im Allgäu Aktivitäten entfaltete, verschmelzen die Verherrlichung des Nationalsozialismus mit einem religiösen Überbau. Als Äquivalent zu einem christlichen Glaubensbekenntnis und den »Zehn Geboten« gilt in der Artgemeinschaft ein rassistisches »Artbekenntnis« und »Sittengesetz«.
Heute harmlos?
Was Jirka B. heute macht, erscheint weit weniger aufregend als seine Vergangenheit. 2014 taucht Jirka B. zwischen Verschwörungsideologen, Holocaustleugnern, Esoterikern und verirrten Linken auf den sogenannten Mahnwachen für den Frieden in Kempten im Allgäu auf. Hier singt er Friedenslieder, spielt auf seiner Gitarre, hält Reden und ist an Organisatorischem beteiligt.
Ab spätestens Anfang 2016 bewegt er sich im Umfeld der AfD und übernimmt Aufgaben innerhalb des Kreisverbands, der das Oberallgäu, Kempten und Lindau abdeckt. Dessen Vorsitzender Peter Felser ist inzwischen zum Vizefraktionschef der Bundestagsfraktion seiner Partei avanciert. Felser leitet einen kleinen Nischen-Filmverlag in Kempten, der wegen der Produktion rechtsradikaler Propagandavideos in die Schlagzeilen geriet.
Jirka B. leitete in Felsers Unternehmen nach eigener Aussage die Grafikabteilung und habe sogar Praktikanten ausgebildet. Tatsächlich wurde B. bis März 2017 auf der Homepage des w|k|&|f Filmverlag unter »Unser Team« gelistet. Inzwischen ist der Eintrag verschwunden und es werden noch neun Mitarbeiter genannt, während in der Online-Selbstdarstellung des Unternehmens weiterhin von zehn Mitarbeitern die Rede ist. Unternehmenschef Felser sagt auf Nachfrage, dass B. nicht mehr für ihn arbeite.
Auf der Liste der Teilnehmer des AfD-Parteitages am 30. April und 1. Mai 2016 in Stuttgart steht der Name des ehemaligen Kempteners. Seit Frühjahr 2017 ist er offiziell Mitarbeiter der Thüringer AfD-Landtagsfraktion unter Björn Höcke als »Art-Director« in der »Abteilung für strategische Kommunikation«, wie es auf der Fraktionshomepage heißt. Inzwischen ist er offiziell von Kempten nach Erfurt-Herrenberg verzogen.
Bereits seit dem Herbst 2016 verwendet der AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke laut Thüringen rechtsaußen einen neuen Stil sogenannter »Sharepics«. Das sind Grafiken die zur besonders populären Verbreitung in sozialen Netzwerken produziert werden. Diese bei Höcke verbreiteten »Sharepics« wiesen häufig ein ähnliches Grundmuster auf, teilweise sehen die Figuren wie in Comics aus. Der Inhalt sei dabei zum Teil deutlich aggressiver und diffamierender als frühere Werbegrafiken der Thüringer AfD. Manche der Bilder stellen insbesondere Muslime und aus dem Nahen Osten vor dem IS-Terror geflohene Menschen böswillig verächtlich dar. Diese Grafiken werden tausendfach geteilt.
Am 6. Februar 2017 veröffentlichte Höcke ein Bild, das den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz beim Sprung in ein Bad voller Goldmünzen zeigt. Dabei wurden Schulz Goldzähne verpasst und seine Nase auffällig hervorgehoben sowie zu einer Harkennase deformiert. Ein klassisches antisemitisches Stereotyp vom »Geldjuden«, der angeblich die Welt beherrsche. Ob die Bilder, die sich stilistisch sehr stark ähneln, von B. erstellt wurden, konnte Thüringen rechtsaußen nur spekulieren. Allgäu ⇏ rechtsaußen liegt ein Dokument von Februar 2017 vor, in dem Jirka B. als Copyright-Inhaber einer Grafik genannt wird, die genau die selbe antisemitisch überzeichnete Figur Martin Schulz’ in einem anderen Setting zeigt.
Wie steht B. zu seiner Vergangenheit?
Wir hätten von Jirka B. gerne erfahren, wie er heute zu seiner Vergangenheit steht. Aber der 47-Jährige reagierte nicht auf entsprechende Presseanfragen.
Doch Allgäu ⇏ rechtsaußen wurden Chatprotokolle zugespielt, die zeigen, dass er sich in persönlichen Gesprächen während seiner Zeit bei der Kemptener Friedensmahnwache mit Teilen seiner Vergangenheit brüstet. In einem sozialen Netzwerk lernt er jemanden kennen und erzählt bereits drei Tage später ohne Aufforderung, er habe in Wuppertal gelebt. »War damals in dieser Kampfsportschule dann im Zusammenhang mit dem Brandanschlag in Solingen durch die Presse ging.«
Später schreibt er als online Photos von ihm auftauchen: »Das war jetzt das erste Bild, das du von mir gesehen hast, nicht wahr?« – und sendet Bilder. »Psst, nicht verraten – hier mal alte Jugendbilder von mir«, tippt er dazu. Eines davon zeigt ihn in Uniform, die er auf Nachfrage als die der Wiking-Jugend identifiziert. Auf das Verbot der WJ angesprochen, schreibt B. stolz: »Ich mochte das Soldatische sehr und war auch später gern in der Bundeswehr«. Dennoch sei er gegen Gewalt. »Aber ich weiß, daß es sehr widersprüchlich klingt«, relativiert er auf kritische Nachfrage seines Gesprächspartners.
Im Chat teilte B. Stücke extrem rechter Musiker und schwärmte von »Rechtsrock mit ein bißchen Niveau«.
In dem Allgäu ⇏ rechtsaußen vorliegenden Chatauszug offenbart Jirka B. ebenfalls, dass er flexibel ist, was die »proklamierten Ansichten« betrifft, die nur vorgespielt (»Bigotterie«) sein können. Auf die dahinter stehende Haltung komme es ihm an:
»Umgekehrt gehen mir auch gewisse rechte Dogmatiker auf den Sack […] Überhaupt habe ich mit den Jahren festgestellt, daß es letztlich mehr auf Charakter und Haltung ankommt, als auf die proklamierten Ansichten (das kann eben auch oft Bigotterie sein).«
Aus dem »Schatten Hitlers« heraustreten
Eine Frage drängt sich anhand solcher Aussagen auf: Hat B. sich innerlich wirklich von seiner Vergangenheit gelöst?
Offiziell will er sich nicht zu seiner Vergangenheit äußern. Dokumentiert ist aber, dass Jirka B. mit der Wiking-Jugend brach. 1994 ist er – noch vor deren Verbot – ausgetreten. Der ehemalige sächsische WJ-Gauleiter, Frank Kaden, hatte 1999 seine Innensicht aus der Szene in einem Buch veröffentlicht und dort auch Auszüge aus einem Brief von Jirka B. präsentiert. »Man machte sich auch wenig Mühe, meine zahllosen Verbesserungsvorschläge ernsthaft zu überdenken«, zitiert Thüringen rechtsaußen das Schreiben. »Der Erfolg der WJ erschöpft sich lediglich in der Tatsache, daß sie noch besteht. Wäre alles gut und richtig gelaufen, müßte der prägende Einfluß der WJ größer sein. Wo sind die 15 000 Jugendlichen, die nach den Worten des Altbundesführers durch die Schule der WJ gegangen sind?! – Auf der 40-Jahrfeier sah man sie… Daran muß sich die WJ messen lassen.« Demnach ist B. wegen einer für ihn mangelnden gesellschaftlichen Wirkmächtigkeit der WJ ausgetreten. Ein kritisches Wort zur faschistischen Ideologie der Wiking-Jugend ist dagegen nicht zu lesen.
Ein Teil der deutschen Neonaziszene hatte in den 70er und 80er Jahren erkannt, dass mit der offenen Werbung für den Nationalsozialismus nicht an einen Erfolg bei breiten Bevölkerungsschichten zu denken war. Deshalb wurden szeneintern Debatten geführt, wie man aus dem »Schatten Hitlers« heraustreten könne, ohne sich wirklich von den alten Ideen zu lösen. In der im November 1990 unter dem Titel Thule Seminar – Spinne im Netz der Neuen Rechten erschienenen Recherche sind diese Debatten eindrücklich nachgezeichnet.
Die Autoren des Buches zitieren einen für die beabsichtigte Transformation hin zur Neuen Rechten richtungsweisenden Beitrag. So schrieb Thora Ruth bereits 1973 in der von Wilfried von Oven, einem ehemaligen hochrangigen Pressereferenten in Joseph Goebbels NS-Propagandaministerium, herausgegebenen Zeitschrift LA-PLATA-RUF:
»Wir müssen unsere Aussagen so gestalten, daß sie nicht mehr ins Klischee des ›Ewig-Gestrigen‹ passen. Eine Werbeagentur muß sich auch nach dem Geschmack des Publikums richten und nicht nach dem eigenen. Und wenn kariert Mode ist, darf man kein Produkt mit Pünktchen anpreisen. Der Sinn unserer Aussagen muß freilich der gleiche bleiben. Hier sind Zugeständnisse an die Mode zwecklos. In der Fremdarbeiter-Frage erntet man mit der Argumentation ›Die sollen doch heimgehen‹ nur verständnisloses Grinsen. Aber welcher Linke würde nicht zustimmen, wenn man fordert: ›Dem Großkapital muß es verboten werden, nur um des Profits willen ganze Völkerscharen in Europa zu verschieben. Der Mensch soll nicht zur Arbeit, sondern die Arbeit zu den Menschen gebracht werden‹. Der Sinn bleibt der gleiche: Fremdarbeiter raus! Die Reaktion der Zuhörer aber wird grundverschieden sein.«
Das 1980 gegründete Thule-Seminar entwickelte als Teil der frühen Neuen Rechten Möglichkeiten, ihren völkischen Nationalismus unter Umgehung des historischen Nationalsozialismus neu zu verkaufen. Dafür bedient sich die in Fachkreisen als »geistige Wehrsportgruppe« bezeichnete Gruppierung auch den Ideen der sogenannten Konservativen Revolution. Diese »Denkströmung war faktisch die intellektuelle Wegbereitung des Nationalsozialismus«, schreibt der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn dazu. Daran wollen diese Neuen Rechten offenbar anknüpfen.
Die Neue Rechte verdrahtet aber nicht nur ihre geistigen Bezugspunkte neu um den Nationalsozialismus zu umgehen. Auch neue politische Handlungskonzepte werden diskutiert. Was dabei herauskommt – und auf das sich etwa auch die Identitäre Bewegung bezieht – nennen sie »Meta-Politik«. Nach diesem Konzept sei es notwendig, die Gesellschaft kulturell von rechts zu prägen, bevor eine politische Machtergreifung in Frage käme. In der Recherche zum Thule-Seminar wird Pierre Vial zitiert, der dazu in Heft 2 der Zeitschrift Elemente unmissverständlich klarstellt, wie diese Machtergreifung letztlich doch wieder auf klassische Konzepte der »alten Rechten« zurückgreift: »Zwangsläufig tritt nämlich früher oder später der Zeitpunkt ein, wo man die Feder gegen das Gewehr tauschen muß, um sich nicht selbst zu belügen.«
Auch in diesen Kreisen ist Jirka B. unterwegs. Bereits Anfang der 90er Jahre zeigte B. sich für Grafikentwürfe eben jener Zeitschrift Elemente des Thule-Seminar verantwortlich, das mit an der Modernisierung faschistischer Ideologie arbeitete. Später schließt Jirka B. an diese Arbeit etwa mit der Herausgabe von Hörbüchern an. Zum 100. Geburtstag von Ernst von Salomon verlegt er eine Neuvertonung eines 1930 erschienen autobiografischen Romans von Salomon, in dem einem soldatischen Geist und einer nationalistischen Aufbruchsstimmung gehuldigt wird. Ernst von Salomon gehörte zu den Denkern der Konservativen Revolution, an die die Neue Rechte Anschluss sucht.
Hat der Nazi-Wolf Kreide gefressen?
Jirka B. trainierte wie er selbst sagte mit der Neonazigruppe Kampfsport, die mit einem Brandanschlag am 29. Mai 1993 in Solingen fünf Menschen ermordete und ließ sich in der an die Hitler-Jugend angelehnte verbotenen Wiking-Jugend schulen. Die Polizei kontrollierte ihn im Umfeld der Sommersonnwendfeiern der Artgemeinschaft, auf denen Deutschlands Neonazi-Elite von Jürgen Rieger bis zu Figuren aus dem NSU-Komplex wie Maik, Susann und André Eminger, einem engen Vertrauten der NSU-Kernzelle aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, völkische Feste feierte. Eine Distanzierung von seiner Vergangenheit hat es nicht gegeben. Stattdessen arbeitete Jirka B. viele Jahre mit an einer Modernisierung faschistischer Ideen im auf den ersten Blick unverfänglichen Gewand – und taucht später auf sogenannten Friedensdemos und in der AfD auf, wo er in Thüringen für die »Abteilung für strategische Kommunikation« arbeitet.
Zeigt sich darin die »Bigotterie«, die Scheinheiligkeit, auf die B. im privaten Chat anspielte und die so oft in den Reihen der AfD anzutreffen ist?
13 Gedanken zu „Gesinnungswandel oder Kalkül? Der Weg vom militanten Neonazi zur AfD“