»Farbe bekennen für eine solidarische Gemeinschaft«: Rund 220 Menschen demonstrieren am 21. April in Memmingen.

220 demonstrieren in Memmingen gegen Nazis und ihre Umtriebe

Vor zehn Jahren wurde Peter Siebert in Memmingen von einem Neonazi erstochen. Daran erinnerten am Samstag rund 220 Menschen mit einer Demonstration. Sie  zeigten Flagge für ein weltoffenes Memmingen und eine solidarische Gemeinschaft.

»Peter Siebert das war Mord«, riefen Antifaschisten ihr Anliegen Samstag Nachmittag vielfach durch die Memminger Innenstadt. Getreu dem Motto der Demonstration sind viele davon überwiegend rot gekleidet: »Memmingen sieht rot«, hieß es in einem Aufruf zur Versammlung.

Denn: Deutschland rücke insgesamt nach rechts, erklärte einer der Organisatoren während der Auftaktkundgebung am Bahnhofsvorplatz. Das sei auch im Allgäu zu spüren. Rund 220 Menschen kamen nach Polizeiangaben am 21. April zusammen. Sie wollen aktiv für ein weltoffenes Memmingen und eine solidarische Gemeinschaft einstehen. Zugleich richtete sich der Protest der überwiegend jugendlichen Versammlungsteilnehmer gegen ein im Allgäu aktives Netzwerk der extremen Rechten.

Erinnern an Todesopfer rechter Gewalt

Peter Siebert wurde in Memmingen von einem Nachbarn mit einem Bajonett erstochen. Das ist jetzt zehn Jahre her, erinnerte ein Kundgebungsredner. Der Täter – ein polizeibekannter Rechtsextremist – drang nach einem Bericht des Tagesspiegel am 26. April 2008 in Sieberts Wohnung ein, nachdem dieser sich über die braune Hassmusik des Angreifers beschwert hatte, mit der der Hitlerfan in voller Lautstärke das Haus beschallte. Für die Demonstranten ein Mord, den sie auf die neonazistische Ideologie des Täters zurückführen.

Das Gericht, das den Täter später zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten – wegen Totschlags – verurteilte, habe allerdings ein rechtsextremes Motiv nicht erkannt, so die Organisatoren der Demo. Obwohl selbst der Vizepräsident des Landgerichts später einen entsprechenden Tathintergrund als »wahrscheinlich« einschätzte, taucht Siebert nicht in den offiziellen Listen der Opfer rechtsradikaler Gewalt auf. Das müsse sich ändern, fordert das Bündnis Links im Allgäu (LiA), das die Demonstration organisiert hatte.

Ebenso fände Konstantin M., der in Kaufbeuren nach einem Angriff durch einen Neonazi verstarb, in der offiziellen Statistik keine Erwähnung. Im Juli jährt sich diese Tat zum fünften Mal.

Polizei kontrolliert Versammlungsteilnehmer

Nach der Auftaktkundgebung am Bahnhofsvorplatz sollte der Aufzug gegen 14 Uhr durch die Innenstadt ziehen. Doch das verzögerte sich erheblich. Die Polizei kontrollierte Versammlungsteilnehmer bei der Anreise und durchsuchte Taschen. Die Kontrollierten befürchteten, dass ihre Teilnahme an der Versammlung registriert würde und verweigerten teils erfolgreich die Angabe ihrer Personalien.

Für Ärger sorgte zunächst auch eine Fahne mit der Aufschrift »Love Music Hate Fascism« und eine Arznei. Die Polizei hielt den Besitzer des Medikaments zunächst fest. Nach längerer Überprüfung gab die Polizei Patient und Tablette wieder frei. Einige Versammlungsteilnehmer halten das Vorgehen der Polizei für »völlig überzogen« oder »Schikane«.

Über Jahrzehnte gewachsene Neonazistrukturen

Mit rund 45 Minuten Verspätung konnte der Demonstrationszug dann starten. Mit Parolen wie »Peter Siebert, das war Mord«, »Flüchtlinge bleiben, Nazis vertreiben« oder »es gibt kein Recht auf Nazipropaganda« trugen die Versammlungsteilnehmer ihre Anliegen lautstark nach außen, als sie durch Bahnhof- und Kalchstraße zogen.

Am Marktplatz wurde eine erste Zwischenkundgebung abgehalten. Allgäu ⇏ rechtsaußen lieferte auf Anfrage von LiA einen Kommentar zu aktuellen Entwicklungen in der örtlichen Neonaziszene, der als Redebeitrag verlesen wurde.

Demnach wirken die Behörden recht zahnlos gegenüber dem Plattenlabel Oldschool Records, das RechtsRock produziert aus dem Unterallgäu massiv rechtsradikale Propaganda verbreitet während die Allgäuer Kameradschaft Voice of Anger die über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen der neonazistisch ausgerichteten Skinheadszene in der Region weiter ausbaue. Gleichzeitig werde das Problem in der Öffentlichkeit verharmlost, so die Kritik der Szenebeobachter.

»Keine Rückzugsräume für Nazis« fordern Antifaschisten während der Demonstration am 21. April 2018.
»Keine Rückzugsräume für Nazis« fordern Antifaschisten während der Demonstration am 21. April 2018.

Solidarität mit kurdischer Bevölkerung

Aus Protest gegen die türkische Militäroffensive in Nordsyrien bei der nach Informationen des Spiegel auch deutsche Panzer eingesetzt werden, entrollten Unbekannte von einem angrenzenden Gebäude ein Banner: »Waffenexporte stoppen! Deutsche Panzer raus aus Kurdistan!« Ein Redner erklärte sich solidarisch mit den Bewohnern der kurdischen Gebiete in Nordsyrien und verwies auf deren Leistungen im Kampf gegen den Islamischen Staat.

»Deutsche Panzer raus aus Kurdistan«: fordert ein Banner während der Demo am 21. April am Marktplatz mit Bezug auf deutsche Waffenexporte an die Türkei.
»Deutsche Panzer raus aus Kurdistan«, fordert ein Banner während der Demo am 21. April am Marktplatz mit Bezug auf deutsche Waffenexporte an die Türkei.

Vom Marktplatz schlängelte sich der Protestzug über Kramer-, Maximilian- und Waldhornstraße zum Schrannenplatz. Unterwegs drückten die Teilnehmer ihre Solidarität mit Flüchtlingen aus und skandierten »Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall!«

Gegen Rassismus und rechte Hetze im Wahlkampf

Am Schrannenplatz sprach ein Vertreter der Initiative Keine Stimme für Rassismus. Es sei notwendig, »dass die AfD mit ihrer Hetze und ihren teils menschenverachtenden Forderungen keinen Platz in unserer politischen Landschaft haben darf.« Die Partei weise personelle und inhaltliche Überschneidungen in rechtsradikale und neonazistische Bereiche auf.

»Farbe bekennen für eine solidarische Gemeinschaft«: Rund 220 Menschen demonstrieren am 21. April in Memmingen.
»Farbe bekennen für eine solidarische Gemeinschaft«: Rund 220 Menschen demonstrieren am 21. April in Memmingen.

Aber auch »durch weite Teile der CSU« werde »das Grundrecht auf Asyl immer offener und rücksichtsloser angegriffen.« Nach Auffassung der Initiative, die sich bereits kritisch in den Bundestagswahl einmischte, etwa durch verfassungswidrige Forderungen nach einer Obergrenze für die Aufnahme von Asylsuchenden. Deshalb wolle man nicht nur die AfD »genau im Blick behalten.«

Die Initiative ruft dazu auf, sich im Rahmen einer jüngst gestarteten Kampagne in den Landtagswahlkampf in Bayern einzumischen und »überall dort einzuschreiten, wo Rassismus und rechte Hetze im Wahlkampf in die Öffentlichkeit drängen. Man wolle »zeigen, dass es hier in Bayern eine Vielzahl von Menschen gibt, die sich eine Gesellschaft wünschen, in der für jeden Menschen unabhängig von seiner Herkunft, seinem Geschlecht oder seiner sexuellen Orientierung ein gutes Leben möglich ist.«​

Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus

An der Gedenkstätte der von den Nazis zerstörten Synagoge am Schweizerberg machte der Demonstrationszug einen weiteren kurzen Stop und erinnerte mit einem Redebeitrag daran, dass rechte Ideologie, Rassenwahn und insbesondere Antisemitismus schon einmal zur gezielten Vernichtung von Millionen von Menschenleben geführt haben.

Über Königsgraben und Buxacher Straße zog der Aufzug schließlich noch einmal durch die Innenstadt Memmingens. Am Bahnhof wurde die Versammlung gegen 16:30 ohne nennenswerte Zwischenfälle aufgelöst.


Hilfe: Du hast selbst einen Übergriff erlebt?

Dann kannst du Hilfe bei B.U.D. Bayern bekommen. Das ist eine unabhängige Beratungsstelle für Betroffene von rechten, rassistischen und antisemitischen Übergriffen.

Zeug_innen können sich an B.U.D. Bayern wenden, dann wird der Vorfall registriert und Betroffenen geholfen – wenn sie das wollen.

Wenn du in Baden-Württemberg bist, ist dieLeuchtlinie für dich da.

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