Gekonnt spielt Rainer Rothfuß auf der Klaviatur der Demagogie. Die politische Drecksarbeit überlässt er aber meist lieber Anderen. Umso aufmerksamer sollten wir dem Lindauer AfD-Chef zuhören – und vom gesellschaftlichen Diskurs ausschließen. Das fordert Doris Hog von den Omas Gegen Rechts Bodensee in einem Gastkommentar.
Vorausgeschickt sei, dass der Begriff »Demagoge« hier nicht in seinem ursprünglich positiven Sinn verwendet und verstanden werden soll. Vielmehr ist er an der folgenden Definition angelehnt: »Demagogie betreibt, wer bei günstiger Gelegenheit öffentlich für ein politisches Ziel wirbt, indem er der Masse schmeichelt, an ihre Gefühle, Instinkte und Vorurteile appelliert, ferner sich der Hetze und Lüge schuldig macht, Wahres übertrieben oder grob vereinfacht darstellt, die Sache, die er durchsetzen will, für die Sache aller Gutgesinnten ausgibt, und die Art und Weise, wie er sie durchsetzt oder durchzusetzen vorschlägt, als die einzig mögliche hinstellt.« (Martin Morlock, 1977)
Es ist etwas stiller geworden um den Direktkandidaten der AfD im Wahlkreis Oberallgäu, seit er den Einzug in den Bundestag verpasst hat. Untätig war und ist Rainer Rothfuß jedoch keineswegs. War er im Wahlkampf schon in allen entlegenen Ecken Bayerns unterwegs, so zeigte seine Wahl zum ersten Stellvertreter des neuen AfD-Bayern-Chefs Protschka, dass er hier offensichtlich sein Netz zum persönlichen Fortkommen weitergesponnen hat: Der Bayern-Parteitag war kein Delegierten-Parteitag, jedes anwesende AfD-Mitglied hatte Stimmrecht – da nutzen zuvor geknüpfte Kontakte.
Rothfuß lässt hetzen…
Bei Protschka stellt sich Rothfuß an die Seite eines klar positionierten Flügelmannes, der auch mal gerne gemeinsam mit Neonazis eine Anti-Corona-Demo organisiert und sich in den sozialen Medien als Rassist zeigt. Außerdem fiel Protschka durch die Beteiligung an der Stiftung eines Kriegsdenkmals in Polen auf, das auch der »Selbstschutzkämpfer« gedachte, die an der Ermordung von Polen und Juden beteiligt waren. Aber das ficht einen Rainer Rothfuß nicht an. Er bezeichnet sich und Protschka als »Brückenbauer«, die sich keiner der aktuellen Strömungen innerhalb der AfD zurechnen.
Hier offenbart sich ein Muster, das bei Rothfuß auch im Wahlkampf schon deutlich zum Tragen kam. Für die wirklich extremen Positionen lädt er sich entsprechende Redner ein. So geschehen bei einer Veranstaltung in Kempten, als er aus Baden-Württemberg Christina Baum und Heinrich Fiechtner geladen hatte. Christina Baum ist eine bekennende Höcke-Anhängerin, Fiechtner mittlerweile gut verankert in der Querdenken-Szene. Im Wahlkampf gab Rothfuß bei seinen Veranstaltungen lieber den Moderator und ließ seine Gäste die Stimmungen und Emotionen seines tatsächlichen oder auch imaginierten Publikums aufgreifen und bearbeiten. So ließ Rothfuß Fiechtner mit rassistischen Sprüchen zur Corona-Pandemie, (dis-)ableistischen (= behindertenfeindlichen) Beleidigungen, Forderungen nach Abschaffung der parlamentarischen Demokratie und perfider Widerstands-Rhetorik kurz vor der Wahl – und unter dem Eindruck von Idar-Oberstein – in Kempten hetzen.
… und wettert selbst von Impf-Verschwörung und Corona-Diktatur
Bei früherer Gelegenheit war er weniger zurückhaltend und hatte auch selbst schon unhaltbare Aussagen, gerade zur Corona-Krise, getätigt, so z.B. beim von Max Otte veranstalteten »neuen Hambacher Fest« im Juli 2020. Hier raunte er von der Absicht, mit dem Impfstoff unser menschliches Genom zu verändern – so, als wäre er nicht in der Lage, den Unterschied zwischen einem gentechnisch hergestellten Impfstoff und einer Genmanipulation zu erfassen. Weiter malt er eine Gefahr durch die Impfung an die Wand, die mit der eines Atomschlages vergleichbar sei.
All dies bildet dann die Grundlage seiner Erzählung von der vermeintlichen »Impfapartheit«, eine unglaubliche Verhöhnung der Opfer der wahren Apartheit in Südafrika. Gerne spricht er auch vom Corona-Autoritarismus und den kommenden (schon fast) diktatorischen Maßnahmen gegen Ungeimpfte. Er stilisiert die AfD zur wahren Verteidigerin der Freiheit, blendet aber nicht nur an dieser Stelle aus, dass zur Freiheit untrennbar auch die Verantwortung gehört.
Mut zur Spaltung!
Der Begriff der Freiheit wird hier verbogen und missbraucht – so lange, bis er zu den egoistischen Bedürfnissen des Einzelnen passt. Als würde es unsere Freiheit infrage stellen, wenn wir aus Rücksichtnahme und Solidarität Masken tragen?! Wir brauchen keine Freiheit, die uns erlaubt, uns unsolidarisch und unsozial zu verhalten. In seinem Beitrag als Stadtrat in der Bürgerzeitung vom 20. November 2021 prangert Rainer Rothfuß die »Spaltun2G« der Gesellschaft an und argumentiert wiederum mit schlichten Falschbehauptungen. – Vielleicht wäre es an dieser Stelle gar nicht so schlecht, uns zu spalten von jenen, die versuchen, die Pandemie als Vehikel zu nutzen für ihre ganz eigenen Pläne mit unserer demokratisch verfassten Gesellschaft?
Ein weiteres Lieblingsthema der AfD: Geflüchtete, die bei uns Schutz suchen. Auch hier spielt der Demagoge gekonnt auf der Klaviatur vorhandener oder zuvor geschürter Ängste. Auf der Facebookseite von Rainer Rothfuß liest man dann von einer »Migrantenflut«, die aus Belarus über Polen auf uns zurolle. Er gibt dazu RT Moscow ein Interview. Sanktionen gegen den Diktator in Belarus hält er für »oberlehrerhaftes Abstrafen«. Die sogenannte Wahl 2020 erkennt er an und spricht folglich von der »Präsidentenwahl« 2020. Die allein Schuldigen macht er in den Geflüchteten aus.
Genau hinhören
In einem Gespräch mit Elisabeth von Thadden sagt die im Exil lebende Philosophin Olga Shparaga aus Minsk auf die Frage nach den Gemeinsamkeiten zwischen der belarussischen Opposition und den Migrant*innen: »Beide Gruppen bestehen aus Menschen, deren Schicksale in der Hand eines Mannes liegen, der sie foltert und über ihr Leben entscheidet. Deshalb muss, wenn nun gesprochen wird, über beide Probleme zugleich diskutiert werden.« Hier könnte die AfD, könnte Rothfuß sehen, was eine echte Diktatur ausmacht – aber man ist ja russlandtreu und folglich an einer echten Lösung der in erster Linie humanitären Krise an der belarussisch-polnischen Grenze nicht interessiert – ganz im Gegenteil, man erhofft sich eine Destabilisierung durch eine eventuelle Aufnahme von einigen tausend Menschen. Die Flüge nach Belarus hinein müssen gestoppt werden, sicher – was Lukaschenko tut, ist Erpressung. Aber es ist ganz bestimmt kein Weg, sich gegen eine solche Erpressung mit der Preisgabe von Menschenleben zu wehren.
Wir sollten also genau hinhören, welche Positionen Rainer Rothfuß proklamiert. Er spricht so gerne und oft von »faktenbasierter Sachpolitik« und arbeitet mit Falschbehauptungen und Verschwörungserzählungen. Er gibt den bürgerlichen Saubermann und lässt sich mit den Flügelanhänger*innen in seiner Partei ein. Betrachtet man seine bisherige politische Karriere, so reiht sich ein Scheitern an das andere. Von der AfD erwartete er sich den endgültigen Aufstieg – möge es nie so weit kommen!