Auf eine Anfrage der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg zur Identitären Bewegung liefert der Verfassungsschutz lückenhafte Angaben – die auf der Selbstdarstellung der rechtsradikalen Aktionsgruppe beruhen.
Der Grünen-Abgeordnete Alexander Maier sieht in der Identitären Bewegung (IB) im Ländle eine Gefahr, die in jüngster Zeit vermehrt in der Öffentlichkeit durch Aktionen auffalle. Deshalb forderte Maier im Stuttgarter Landtag Auskunft zu den Erkenntnissen der Regierung über die rechtsradikale Gruppierung. Nun liegt die Antwort vor. Doch für Maier ist sie unbefriedigend.
Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Baden-Württemberg geht nach der Antwort für die beiden Regionalgruppen der IB Baden und Schwaben »aktuell noch von einer Mitgliederstärke von ca. 80 Personen aus«. Doch die sei »tendenziell leicht ansteigend.« Im Raum Oberschwaben treten die Ortsgruppen Ravensburg und Bodensee auf. Wobei die Ravensburger Gruppe nach Erkenntnissen von Allgäu ⇏ rechtsaußen auch von Mitgliedern aus der Ortsgruppe Bodensee unterstütz wird. So etwa bei einem großen Infostand in der Innenstadt der Kreisstadt vor rund drei Wochen.
Aktionen und Straftaten auch in Oberschwaben
Auf die Frage nach Erkenntnissen über Aktivitäten der IB in Baden-Württemberg seit August 2017 legt die Regierung eine Liste mit rund 100 Vorfällen bis September 2018 vor. Nur einer davon liegt im Raum Oberschwaben: Eine Flyer-Verteilung in Ravensburg, datiert auf »ca. 10.06.2018«.
Von rund 30 der Identitären Bewegung zugeordneten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in Baden-Württemberg habe es ebenfalls nur eine in Oberschwaben gegeben. Am 9. April sollen Unbekannte eine Sachbeschädigung in Ravensburg begangen haben. Damals schmierten wie wir berichteten Aktivisten der rechtsradikalen Identitären Bewegung Schriftzüge an mehreren Schulen.
Nach der Löschung verschiedener Seiten der IB und teilweise auch der Seiten ihrer Aktivisten in sozialen Netzen Ende Mai/Anfang Juni 2018 propagierte die IB nach der Antwort des Ministeriums einen »massiven Ausbau unserer Kommunikativen Infrastuktur«. Das scheine jedoch bisher nicht gelungen zu sein, so die Behörde.
Lückenhafte Angaben
Doch die Angaben – die die Sicherheitsbehörden des Landes vornehmlich auf Berichten der Identitären selbst stützen – weisen Lücken auf. Im fraglichen Zeitraum berichtete Allgäu ⇏ rechtsaußen allein im Landkreis Ravensburg von zwei Vorfällen, die das Innenministerium nicht listet:
- Berg, 9. Oktober 2017. Unbekannte verschaffen sich gewaltsam Zugang zu einer ehemaligen Unterkunft für Geflüchtete. Die Eingangstüre wird mit Aufklebern der Identitären beklebt. Das Verfahren wurde ergebnislos eingestellt.
- Weingarten, 20. September 2017. Eine Vielzahl von Aufklebern der Identitären Bewegung und einer der NPD wird neben dazugehörigem Müll aus einem Waldstück entfernt.
Geheimdienst setzt auf Angaben der Identitären selbst
Auch im Hinblick auf ein schwerpunktmäßiges Auftreten der IB und deren Strukturen gibt die Antwort des Verfassungsschutzes im Ländle wenig her. Bei der Identitären Bewegung Deutschland (IBD) handele es sich um einen bundesweit tätigen eingetragenen Verein mit Sitz in Paderborn.
In Baden-Württemberg gliedere sich die IB in vier Regionalgruppen, die »nach Darstellung der IB« 14 Orstgruppen unterhalten. Auch dabei stützt sich die Behörde auf die Angaben der Identitären selbst. Regionale Schwerpunkte ließen sich keine ausmachen. Zu konkreten Strukturen wie Räumen und Immobilien will die Regierung keine öffentlichen Angaben machen. Sie sollen dem Landtag vertraulich als Verschlusssache vorgelegt werden.
Abgeordneter widerspricht Innenministerium und fordert Strukturaufklärung
»Anders als das Innenministerium sagt, sind durchaus regionale Schwerpunkte zu sehen, die zeigen wie strukturiert die Identitäre Bewegung ist«, erklärt Alexander Maier dazu auf Anfrage. Seine Fraktion fordere »vom Innenministerium Aufklärung, wer hinter den Strukturen steckt und welche Gefahr sich dahinter verbirgt.«
Nichteinmal den Schwäbischen Kulturverein der Identitären Bewegung am Bodensee nennt das Ministerium. Der Verein wurde nach Recherchen von Allgäu ⇏ rechtsaußen am 7. Oktober 2017 in Konstanz gegründet und unter der Nummer 702088 beim Registergericht in Freiburg eingetragen.
Verbindungen zu anderen extrem rechten Organisationen
Zu bestehenden personellen Überschneidungen zwischen der IB und den extrem rechten Parteien Die Rechte, Der Dritte Weg oder der NPD in Baden-Württemberg lägen dem LfV laut Innenministerium keine Erkenntnisse vor. Später schreibt die Behörde aber, Mitglieder der IB im Ländle verfügten »über einen Vorlauf in der rechtsextremistischen Szene, z. B. bei der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NPD) oder deren Jugendorganisation, den Jungen Nationalisten (JN)«, die sich früher Junge Nationaldemokraten nannten.
Die AfD sei zwar kein Beobachtungsobjekt des LfV, »gleichwohl liegen einzelne Erkenntnisse zu personellen Überschneidungen zwischen IB und AfD bzw. deren Jugendorganiastaion Junge Alternative (JA) vor«, so das Ministerium. Einzelne Mitglieder der AfD seien zur Bundestagwahl 2017 durch Mitglieder der IBD bei ihren Veranstaltungen unterstützt worden. Mitglieder der IB und der AfD würden gemeinsam an asyl- und fremdenfeindlichen Demonstrationen teilnehmen.
Darüber hinaus lägen dem Inlandsgeheimdienst keine Erkenntnisse über Verbindungen zu extrem rechten Zusammenhängen vor. Die in der Fragestellung erwähnte Identitäre Aktion (IA) sei »kein Beobachtungsobjekt« des Landesverfassungsschutzes. Die IA soll sich als noch radikalere Gruppierung von der Identitären Bewegung abgespalten haben.
Abgeordneter will flächendeckendes rechtsradikales Netzwerk »nicht zulassen«
Ebenfalls hat das LfV keine Erkenntnisse zu Mitgliedschaften der IB-Aktivisten in Kampfsport- oder Schützenvereinen. Allerdings fänden intern regelmäßig sogenannte »Selbstverteidigungskurse« während Aktivistenwochenenden statt. Bekannt sei, dass Mitglieder der IB im Besitz des Kleinen Waffenscheins sind, zu tatsächlichem Waffenbesitz aber »liegen keine Erkenntnisse vor.«
»Selbstverteidigungskurse, Waffenbesitz und mehr als 30 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten innerhalb eines Jahres machen deutlich: Die Identitären sind für die Demokratie eine gefährliche Gruppierung«, meint Alexander Maier. »Die offengelegten Verbindungen zwischen Identitärer Bewegung NPD und AfD zeigen wessen Geistes Kind sie sind«, so der Grüne Landespolitiker. Deshalb dürfe man seiner Auffassung nach »nicht zulassen, dass sich die Rechtsextremen ein flächendeckendes Netzwerk im Land aufbauen können.«
Ein Gedanke zu „Verfassungsschutz zeigt Erkenntnislücken zur Identitären Bewegung im Ländle“