Die Konzerte der Neonazi-Kameradschaft Voice of Anger in Oberschwaben sorgten für Wirbel auf kommunaler Ebene. Jetzt schaltet sich der Landtag ein.

Konzerte »seit jeher das wichtigste Propagandamedium«

Die Regierung von Baden-Württemberg stützt die Befürchtung, dass sich im Landkreis Ravensburg ein neuer Treff- und Rekrutierungspunkt für eine rechtsradikale und gewaltbereite Szene etablieren könnte.

»Skinheadkameradschaften und Rechtsextreme Organisationen stellen eine Gefahr für unsere offene und demokratische Gesellschaft dar. Sie schaffen ein Klima der Angst und Gewalt«, erklärte Petra Krebs am Dienstag auf Anfrage von Allgäu ⇏ rechtsaußen. Unmissverständlich sei, dass »wir deshalb handeln müssen«, so die Abgeordnete für den Wahlkreis Wangen im Landtag von Baden-Württemberg. Denn eines sei für die Grünen-Politikerin klar: »Wangen und das Allgäu bleiben bunt.«

Darum habe Krebs eine Kleine Anfrage an das Innenministerium im Ländle gestellt. Sie und ihre Fraktion möchten wissen, was die Sicherheitsbehörden über die Rekrutierung von Nachwuchs durch Voice of Anger im Wahlkreis Wangen, im württembergischen Allgäu und Oberschwaben wissen.

Konzerte »seit jeher wichtigstes Propagandamedium und Rekrutierugnsmittel«

»18«, »88«, »NW«, ... Als Ausdruck der Ideologie der zum Konzert am 14. Juli 2018 in Stockbauren anreisenden Neonazis verwiesen manche der Kennzeichen nicht nur auf die örtliche Herkunft der Gäste.
»18«, »88«, »NW«, … Als Ausdruck der Ideologie der zum Konzert am 14. Juli 2018 in Stockbauren anreisenden Neonazis verwiesen manche der Kennzeichen nicht nur auf die örtliche Herkunft der Gäste.

Die rechtsradikale Skinheadkameradschaft Voice of Anger hatte innerhalb einiger Monate zwei große Konzerte im Landkreis Ravensburg veranstaltet. Zuerst auf dem Gehöft eines Kameradschaftsanhängers in Seibranz im Bereich der Gemeinde Bad Wurzach und zuletzt Mitte Juni in Stockbauren bei Aichstetten. Fans der braunen Musik und die Musiker selbst reisten teils aus dem Ausland an. Viele fürchten jetzt eine Etablierung von Neonazitreffpunkten und einen Anstieg rechter Gewalt im Landkreis Ravensburg,

Die Antwort des Innenministeriums liegt nun vor. Daraus geht hervor, dass Musikveranstaltungen tatsächlich »seit jeher das wichtigste Propagandamedium und Rekrutierugnsmittel der rechtsextremen Szene« sind. Denn dort können laut Innenministerium »insbesondere für jüngere Menschen Anreize zum Einstieg in die Szene gesetzt sowie Radikalisierungsprozese gefördert werden. Über die Musik wird rechtsextremistisches Gedankengut verbreitet. Rechtsextremistische Konzerte können ein Forum zum Knüpfen von Kontakten und Austausch von Informationen bilden. Die Vernetzung der Szene wird hier vorangetrieben.«

Landesregierung: Keine neuen Erkenntnisse, keine Maßnahmen geplant

Dennoch werden auf die Frage der Grünen keine Maßnahmen genannt, die die Landesregierung ergreift, um die Ausbreitung der Skinheadkameradschaft Voice of Anger und deren Rekrutierung von Nachwuchs zu verhindern. Krebs will nun mit Mandatsträgern Amtsinhabern und anderen Akteuren vor Ort »entscheiden, welche Strategien wir wählen werden.«

Auch neue Erkenntnissezu den Aktivitäten von Voice of Anger in der Region kann das Innenministerium nicht liefern: »Zur Rekrutierung neuer Mitglieder können die Polizei Baden-Württemberg und das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (LfV) keine Angaben machen«, schreibt die Behörde in der Antwort. Es sei davon auszugehen, dass bei der Mitgliederrekrutierung in erster Linie Kennverhältnisse eine entscheidende Rolle spielen, zumal es sich bei den bereits aktiven Mitgliedern zumeist um langjährige Szeneangehörige handelt.

Meist langjährige Szeneangehörige aktiv

Ein Deutscher Schäferhund bewacht das Anwesen, auf dem bis zu 200 Neonazis aus ganz Europa feierten.
Ein Deutscher Schäferhund bewacht das Anwesen, auf dem bis zu 200 Neonazis aus ganz Europa feierten.

Das Innenministerium verweist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, nach der rechtsextremistische Skinheadkonzerte regelmäßig mit einer politischen Botschaft verbunden und daher als Versammlung einzustufen seien. In Abstimmung mit dem LfV würden regionale Behörden im Einzelfall ein Versammlungsverbot prüfen. Bei Bekanntwerden von Sachverhalten in Bezug auf  Voice of Anger, die das Land Baden-Württemberg betreffen, würden »Maßnahmen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sowie zur Aufklärung von Straftaten […] getroffen.«

Doch welche Maßnahmen das konkret sind, bleibt das Geheimnis der Behörden. Petra Krebs und ihre Kollegen hätten gerne gewusst, wie bei dem mehrstündigen Konzert Mitte Juli in Stockbauren sichergestellt wurde, dass keine Straftaten geschehen. Das Innenministerium gibt nur an, dass das Polizeipräsidium Konstanz keine Straftaten feststellte.

Konzert in Bayern verboten, in Württemberg kein Problem

Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Bayern und Baden-Württemberg sind nach der Antwort nicht geplant. Die Zusammenarbeit der Landesämter für Verfassungsschutz Bayern und Baden-Württemberg verlaufe bereits »reibungslos«. Auch die Polizei arbeite »stets eng und vertrauensvoll« mit den Behörden anderer Länder zusammen.

Bei dem Konzert in Stockbauren war die Polizei erst etwa eine Stunde nach Ankunft eines Reporters von Allgäu ⇏ rechtsaußen in finaler Stärke vertreten. Anfangs waren lediglich Staatsschützer der Kriminalpolizei sowie zwei Streifenwagen vor Ort. Auch die Bayerischen Behörden, die das Konzert verboten, erfuhren erst kurz zuvor vor dem genauen Ort, an dem das Konzert auf bayerischer Seite stattfinden sollte und verhinderten den Aufbau. Darauf wichen die Neonazis in den Landkreis Ravensburg aus. Allgäu ⇏ rechtsaußen ging schon Tage zuvor davon aus, dass die Neonazis in dieses Gebiet ausweichen würden.

Auf diesem Gehöft bei Seibranz fand eines der Konzerte statt, das andere wurde von hier logistisch unterstützt. Das Gebäude gehört einem Anhänger von Voice of Anger.
Auf diesem Gehöft bei Seibranz fand eines der Konzerte statt, das andere wurde von hier logistisch unterstützt. Das Gebäude gehört einem Anhänger von Voice of Anger.

Zwei Tage später teilte das Polizeipräsidium Konstanz mit, dass das Konzert in Stockbauren »störungsfrei verlaufen« war, wie es in einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion zu Voice of Anger heißt. Der Landresregierung von Baden-Württemberg ist laut ihrer Antwort zur Skinheadkameradschaft »nicht bekannt«, ob die Räumlichkeiten für die beiden Konzerte von Voice of Anger im Landkreis Ravensburg »vermietet/verpachtet oder anderweitig überlassen wurden.

Weiter Sorge über Verbindungen zu internationalen militanten Netzwerken

Mistreat gilt als erste finnische Band, die ein Musikalbum mit rassistischen Texten veröffentlichte und genießt innerhalb der neonazistischen Musikszene einen hohen Status . Am 14. Juli spielten die Nazi-Rocker auf Einladung von Voice of Anger im Landkreis Ravensburg.
Mistreat gilt als erste finnische Band, die ein Musikalbum mit rassistischen Texten veröffentlichte und genießt innerhalb der neonazistischen Musikszene einen hohen Status . Am 14. Juli spielten die Nazi-Rocker auf Einladung von Voice of Anger im Landkreis Ravensburg.

Die Grünen-Abgeordneten im Landtag von Baden-Württemberg sorgen sich zudem über Verbindungen von Voice of Anger zu anderen, militanten Neonazigruppierungen, insbesondere den international agierenden Netzwerken Blood&Honour (B&H), Combat 18 (C18) und der Hammerskins. 

Strukturen von Blood&Honour, Comabt 18 und den Hammerskins sind der Landesregierung in der Region allerdings »nicht bekannt.« Deshalb lägen weder der Polizei noch dem Landesamt für Verfassungsschutz »Hinweise auf mögliche Kontakte entsprechender Gruppen zu Voice of Anger vor.

Die Hammerskins besitzen einen hohen Organisationsgrad und verstehen sich als Elite militanter Naziskinheads. B&H organisiert ein Millionengeschäft mit der Verbreitung von neonazistischer Musik und Terrorkonzepten. Mit Combat 18, was so viel heißt wie »Kampftruppe Adolf Hitler« unterhält die seit 2000 in Deutschland verbotene aber weiter aktive Vereinigung einen bewaffneten Arm. Auf dem Konzert in Stockbauren traten Bands aus beiden Netzwerken auf, zu denen Allgäuer Bands und Anhänger aus dem Umfeld von Voice of Anger Kontakte unterhalten.

Kontakte zu anderen Rechtsradikalen?

Über Kontakte zwischen Voice of Anger und der Identitären Bewegung oder der NPD, die beide in der Region aktiv sind, gebe es ebenfalls keine Informationen, so das Innenministerium von Baden-Württemberg. Nach der Neonazipartei Der Dritte Weg hatten die Grünen nicht gefragt. Sie tritt in der Region ebenfalls immer wieder in Erscheinung, zuletzt am vergangenen Sonntag. Eine Auflistung extrem rechter Veranstaltungen seit 2016, die das Innenministerium vorlegt, weist Lücken auf und basiert offenbar zum größten Teil auf den Veröffentlichungen der Rechtsradikalen selbst.

 


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