»Es gibt kein recht auf Nazipropaganda«, skandieren Nazigegner zum Prozessauftakt gegen Oldschool Records am 17. April 2018 vor dem Landgericht Memmingen.

Freispruch für Nazi-Propaganda

Einen glatten Freispruch und den Anspruch auf Entschädigung für eine Razzia und die dabei beschlagnahmten Produkte sprach die 3. Strafkammer des Landgerichts Memmingen am Donnerstag dem Betreiber des Neonaziunternehmens Oldschool Records zu.

Damit ist das Gericht dem Antrag der Verteidigung gefolgt. Allgäu ⇏ rechtsaußen hatte bereits Wochen zuvor damit gerechnet, dass sich der Betreiber von Oldschool Records am Ende über einen Freispruch würde freuen können. Nun darf er der Staatsanwaltschaft sogar den seiner Meinung nach an seinem Plattenlabel entstandenen Schaden in Rechnung stellen.

Laut seiner mündlichen Urteilsbegründung war der vorsitzende Richter in der Berufung zwar überzeugt, dass der Angeklagte Benjamin Einsiedler »im Rahmen eines professionell betriebenen Onlinehandels« massenweise »sogenanntes rechtes Liedgut« vertrieben habe. Im Einzelnen zu klären sei allerdings gewesen, ob er sich damit gemäß dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig gemacht habe.

Rechtsanwalt Alexander Heinig und Plattenproduzent Benjamin Einsiedler zum Prozessauftakt gegen Oldschool Records am 17. April 2018 vor dem
Rechtsanwalt Alexander Heinig und Plattenproduzent Benjamin Einsiedler zum Prozessauftakt gegen Oldschool Records am 17. April 2018 vor dem Landgericht Memmingen.

Rechte Hetze mit »besonderer Sorgfalt«

»Schließlich hat er sich auch sorgfältig informiert, ob da Inhalte sind, die Straftatbestände erfüllen«. Zurückliegende Verfahren hätten den Angeklagten »zu besonderer Sorgfalt getrieben«. Zudem habe der Angeklagte einen zuvor beanstandeten Titel von einem Tonträger entfernt, um ihn weiter zu verbreiten. Das zeige, »dass er sich schon viele Gedanken gemacht hat über die Versendung und Verbreitung dessen«.

Auf Zuschauer im Saal wirkt die Begründung von Richter Herbert Krause wie ein Lob für das bewusste Ausloten der Grenze der straffreien Verbreitung rechtsradikaler Musik. Freilich um gerade so weit zu gehen, dass strafrechtliche Konsequenzen unwahrscheinlich scheinen, die intendierten Inhalte – Neonazipropaganda – aber weiter verbreitet werden können.

Einsiedler habe sich Rechtsgutachten vorlegen lassen, so der vorsitzende Richter. Erstellt hat sie Gisa Pahl aus Hamburg, deren »Deutsches Rechtsbüro« (DRB) zu den Empfängern von Spendenbriefen des NSU gehören soll. Pahl bescheinigt darin etwa juristische Unbedenklichkeit und macht teils Vorschläge, wie kritische Textstellen entschärft werden könnten.

Rechtsanwalt Alexander Heinig und Oldschool Records Plattenproduzent Benjamin Einsiedler zum Prozessauftakt gegen Oldschool Records am 17. April 2018 vor dem Landgericht Memmingen.
Rechtsanwalt Alexander Heinig und Plattenproduzent Benjamin Einsiedler zum Prozessauftakt gegen Oldschool Records am 17. April 2018 vor dem Landgericht Memmingen. ©N. Kelpp

HJ-Pflichtlied kein verbotenes NS-Kennzeichen?

Etwa habe Pohl beim Titel Ein junges Volk steht auf der Band Hauptkampflinie (HKL) die Streichung einer Textstelle vorgeschlagen, die auch erfolgte bevor Einsiedler den Tonträger vertrieb. Das wertete das Gericht zu Gunsten des Angeklagten, der damit selbst im Falle einer Erfüllung des Straftatbestandes einem »unvermeidbaren Verbotsirrtum« unterläge. »Wir müssen also gar nicht entscheiden, ob es ein verbotenes Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation ist«, so der Richter.

Das von einem führenden Funktionär der Hitler-Jugend (HJ) geschriebene Original habe zwar im Nationalsozialismus zum »Pflichtliederkanon« gehört und sei auf zentralen Parteiveranstaltungen gesungen worden, aber nicht für Laien als verbotenes Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation zu erkennen. Auch das Gericht könne das »nicht aus eigener Sachkunde entscheiden«. Wenn man erst durch Gutachten eine Strafbarkeit feststellen könne, »wie sollen es dann potentielle Täter tun?« Deshalb sei das Gesetz, das die Verwendung solcher Kennzeichen unter Strafe stellt, selbst »problematisch«, so der Richter.

Dem Pflichtete der Verteidiger des Szeneunternehmers bei. Gerne betont Alexander Heinig seine Kritik an den Gesetzen gegen die Verwendung belasteter Symbole und der Volksverhetzung, die er offenbar gerne gestrichen sähe. Einst stand der Stuttgarter Rechtsanwalt selbst als Rechtsrocker auf der Bühne.

»Es gibt kein recht auf Nazipropaganda«, skandieren Nazigegner zum Prozessauftakt gegen Oldschool Records am 17. April 2018 vor dem Landgericht Memmingen.
»Es gibt kein recht auf Nazipropaganda«, skandieren Nazigegner zum Prozessauftakt gegen Oldschool Records am 17. April 2018 vor dem Landgericht Memmingen.

»Beschreibung der Lebensart der Skinheads«

Eine während der Hauptverhandlung am Landgericht Memmingen viel diskutierte Textzeile, wo es darum gehen soll Schwarze und Türken umzulegen, könne man laut Richter als »Beschreibung der Lebensart der Skinheads« werten. Daher könne er dem keine Aufforderung zur Gewalt entnehmen, das wäre zu weit interpretiert.

Zudem dürfe man die Sorgfaltspflicht des Neonazihändlers bei der Aufnahme neuer Titel nicht zu hoch anlegen. »Er hat es sich vielleicht zweimal angehört, wir haben ein Dutzend Mal gehört und waren uns nicht einig ob der Text so zu hören ist.« Dann wäre es »maximal fahrlässig« – und nicht strafbar.

Mit »alten Schwerten« für »germanisches Erbgut«

Gegenstand der Anklage war auch ein Titel der Band Nordfront, in dem ein »germanisches Erbgut« besungen wird, das von einem »Vielvölkerbrei« bedroht werde, wogegen sich »alte Schwerter« wieder erheben müssten. »Wie man das als jugendgefährdende Formulierung ansehen soll, ist nicht nachvollziehbar«, so die Begründung für den auch hier erfolgten Freispruch. Das Lied ziele auf einen Diskurs der »Überfremdung«. In dem Song sei lediglich von »Erbgut« die Rede, ein Bezug auf »irgendeine Rassenlehre« kann die Kammer nicht erkennen.

Der Richter am Memminger Amtsgericht, der Benjamin Einsiedler in erster Instanz verurteilte, sah in dem Titel noch einen klaren Bezug auf eine »rassische Überlegenheit der Germanen« und einen Aufruf zur Gewalt. Die damalige Anklage ging von einem Waffen- und 88 Propagandadelikten aus, die sich aus mehr als 900 Einzeltaten zusammensetzten.


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