Ehemalige des Project Peace e.V. mit Sitz im Allgäuer Ökodorf Sulzbrunn kritisieren die Offenheit des Friedensprojekts für völkische Positionen und fordern eine »klare Haltung« gegen Rechts.
In einem Offenen Brief von Montag vergangener Woche kritisieren ehemalige Teilnehmende des Project Peace e.V. dessen Offenheit für rechte Positionen und fordern »eine klare Haltung gegen Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Queerfeindlichkeit und andere gruppenbezogene Diskriminierungsformen«.
Bisher hat sich das Projekt Peace mit Sitz im Allgäuer Ökodorf Gemeinschaft Sulzbrunn noch nicht zum Brief geäußert. Beim nächsten Treffen von Verein und »Hütekreis« soll das Schreiben allerdings Thema sein, doch es sei auch jetzt »schon einiges in Bewegung«, heißt es aus dem Vorstand. Im Folgenden dokumentieren wir den Brief im leicht redaktionell überarbeiteten Volltext, der nicht zwingend der Auffassung der Redaktion von Allgäu rechtsaußen entspricht.
Offener Brief zum Project Peace e.V.
An den Vereinsvorstand, die ehemaligen Teilnehmenden, Leitungen, Pat*innen und bisherigen Referent*innen des Project Peace, sowie an die Öffentlichkeit.
Kontext
Das Project Peace ist ein Verein, der ein begleitetes Orientierungsjahr für junge Erwachsene ermöglicht. Der inhaltliche Fokus liegt dabei auf Frieden, Ökologie und Spiritualität. Seit der Gründung 2011 nahmen über 100 junge Menschen daran teil.
Wir sind Ehemalige aus verschiedenen Jahrgängen dieses Projekts, die diesen Brief zusammen verfasst haben.
Obwohl wir als Teilnehmende im Project Peace vieles wertgeschätzt haben, möchten wir hiermit vor allem auf Schattenseiten und problematische Aspekte hinweisen. Bei aller Kritik wünschen wir uns, dass das Projekt weitergeht und sich positiv weiterentwickelt.
Anlass
Seit Dezember 2019 entspann sich im Mailverteiler der Ehemaligen ein Gespräch über den Umgang mit rechten bzw. völkischen Positionen und Gruppierungen. Dabei wurde gefordert das Project Peace solle sich u.a. mit einem Statement von rechten Tendenzen abgrenzen.
Eine Person aus dem ehemaligen Leitungsteam sprach sich jedoch für eine Offenheit gegenüber Personen aus, die rechtes Gedankengut vertreten. Außerdem wurden Reichsbürger, sowie die rechts-esoterische Anastasia-Bewegung verharmlost. Von einer Positionierung oder ernsthaften Auseinandersetzung mit der Problematik bekamen wir seitdem nichts mit.
Ab Januar 2021 wurden in einer größeren Chatgruppe Ehemaliger von Einzelnen massiv Verschwörungserzählungen, rechts-esoterische Fantasien und ein Post eines verschwörungsideologischen, antisemitische Stereotype verbreitenden Chat-Kanals geteilt.
Dies wurde von Seiten der meisten Teilnehmenden und Mitglieder, darunter auch dem damaligen Leitungsteam, einige Monate unkommentiert stehen gelassen oder relativiert. Im Mai wurden dann auch eine nationalistische Quelle, weitere Verschwörungserzählungen und Falschinformationen aus ebensolchen Kreisen verbreitet.
Darüber hinaus sehen wir auch problematische Aspekte innerhalb des Project-Peace-Programms, z. B. die rechte Kapitalismuskritik von Silvio Gesell, die als „grüne Kapitalismuskritik“ gehandelt wurde, oder die spirituell-esoterische Tiefenökologie.
Exemplarisch seien hier Auszüge aus Silvio Gesells Werken angeführt: „Hochzucht des Menschengeschlechts“, „Zuchtwahlrecht der Frauen“, „Erlösung von all dem Minderwertigen, mit dem die seit Jahrtausenden von Geld und Vorrecht geleitete Fehlzucht die Menschheit belastet hat“.
Die Problematik an der Tiefenökologie sehen wir sowohl an deren Begründer Arne Næss, der seine Einwanderungsfeindlichkeit ökologisch begründete, als auch die heutige Leitfigur der Bewegung, Joanna Macy, die teils in ihren Werken durch unangemessene Vergleiche den Holocaust relativierte (World As Lover, World As Self, 2007).
Absicht der Ehemaligen gegen Rechts
Die genannten Vorfälle machen uns sehr betroffen und haben uns entsetzt. Wir leisteten Gegenrede. Der Vorstand und die Leitung des Project Peace wurden zu einer Positionierung aufgefordert. Dies wollen wir hiermit wiederholen und bestärken.Da das Project Peace Bildungs- und Friedensarbeit beabsichtigt, halten wir es für unabdingbar, dass die Vorfälle adäquat aufgearbeitet werden.
Die teilnehmenden jungen und orientierungssuchenden Menschen kommen in Kontakt mit Themen aus der ökologischen und esoterischen Szene, die sich teils problematisch mit völkisch-nationalistischen oder anderen rechten Inhalten und Ideologien überschneiden.
Wir sehen die pädagogische Begleitung und den das Projekt tragenden Verein in der Pflicht, Raum für kritische Reflexionen zu schaffen und Aufklärungsarbeit zu leisten.
Forderungen der Ehemaligen gegen Rechts
- Der Verein Project Peace e.V. muss eine klare Haltung gegen Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Queerfeindlichkeit und andere gruppenbezogene Diskriminierungsformen annehmen. Diese Abgrenzung sollte in Form einer Positionierung auf der Website und einer Satzungserweiterung vorgenommen werden.
- In die Satzung muss ein Bekenntnis zu demokratischen, sowie den Werten Menschenrechte und Antirassismus aufgenommen werden. Weitere Werte sollten im Rahmen eines angemessenen Prozesses erarbeitet werden. Es soll ein Passus ergänzt werden, in dem sich auf die demokratischen Grundwerte des Grundgesetzes bezogen wird.
- Der Vereinsvorstand muss sich zu den Vorfällen äußern und positionieren.
- Der Vereinsvorstand muss sich klar von der „Querdenker-Szene“ abgrenzen. Diese fiel wiederholt durch Offenheit für Verschwörungsnarrative, extrem Rechte und deren Inhalte sowie durch Gewalt gegen Pressevertreter*innen auf. Des Weiteren wird die Querdenkerszene seit diesem Jahr bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet; vor allen Dingen wegen der Verbindungen zur Neonazi- und Reichsbürgerszene.
- Für alle folgenden Jahrgänge muss eine Auseinandersetzung mit völkischen, nationalistischen, reaktionären und anderen gefährlichen Tendenzen innerhalb der Öko-, Spirituellen- und Friedensbewegungen erfolgen.
- Thematisch muss das Programm um eine kritische Reflexion der politischen Dimensionen von Spiritualität, damit überschneidender Esoterik und anderen Programminhalten erweitert werden und insbesondere auch auf faschistoide, völkische, (öko-)rassistische und anderweitig menschenverachtende Ideologien und deren Verstrickung mit der eigenen Ausrichtung des Programms eingehen.
- Für die Ehemaligen sollen offene Bildungsangebote geschaffen werden, um sich mit Verschwörungserzählungen und dem Versuch der Vereinnahmung ökologischer Bewegungen durch die extreme Rechte zu befassen.
- Ein folgendes Leitungsteam sollte sich professionell antirassistisch begleiten lassen und sich dringend hinsichtlich Antisemitismus und Verschwörungserzählungen fortbilden. Auch zu anderen gesellschaftlichen Macht- und Unterdrückungsverhältnissen sollte sich das Leitungsteam kontinuierlich fortbilden und Supervision einholen.
- Mit der Auswahl von Referent*innen und Lernorten muss verantwortungsvoller umgegangen werden. Diese, bzw. deren Inhalte, sollten genauer und kritischer betrachtet und im Zweifel sollte Abstand von diesen genommen werden.
- Das Project Peace sollte sein Verhältnis zur Wissenschaft klären/benennen. Dazu gehört, Wissenschaftsfeindlichkeit in Form von irrationalen und esoterischen Weltbildern entgegenzutreten. Es sollte die Postulierung des sog. „Studienjahres“ überdacht werden, da dieser eine Wissenschaftsnähe suggeriert, die wir bisher eher vermissen.
Die Position der Ehemaligen gegen Rechts
Wir sind der festen Überzeugung, dass es in einer Welt, in der strukturelle Macht- und Unterdrückungsmechanismen wirksam sind und Ungleichheiten beständig reproduzieren, keine neutrale Position geben kann. Wer für sich Neutralität beansprucht, stellt sich auf die Seite der Unterdrücker*innen und schließt indirekt die Menschen mit aus, die strukturell marginalisiert werden.
Die von uns beobachtete „Alles darf sein“-Mentalität hat also dort Grenzen, wo sie als entpolitisierte und entpolitisierende Ideologie dazu beiträgt, Diskriminierung unsichtbar zu machen. Deshalb sollte sich das Project Peace, als Projekt mit innerer und äußerer Ausrichtung auf Frieden, repolitisieren und klar Stellung gegen Verschwörungsideologien, faschistoides, sexistisches, antisemitisches und rassistisches Gedankengut beziehen.
An dieser Stelle möchten wir auch kurz auf das Toleranzparadoxon eingehen. Wir sind überzeugt, dass es nicht zielführend ist, mit intoleranten und menschenverachtenden Ansichten in einen Diskurs zu treten. Denn wer einem Menschen etwa durch Antisemitismus seine Existenzberechtigung aberkennt, der erkennt das Grundgesetz nicht an, dem darf keinerlei Handlungsspielraum zugesprochen werden. Toleranz überwindet Grenzen, doch eine braucht sie selbst: Sie muss verhindern, dass die Intoleranten die tolerante Gesellschaft ausnutzen, um sie in ihr Gegenteil zu verkehren.
Abschließende Bemerkung
Das Project Peace war für viele von uns eine prägende Zeit. Wir können das Potenzial, das das Project Peace birgt, um junge Menschen in ein verantwortungsvolles Erwachsensein zu begleiten, erkennen oder erahnen.
Jedoch halten wir die geforderten Kurskorrekturen für unverzichtbar, um den selbstgesteckten Ansprüchen zu genügen. Wir hoffen, dass sie gelingen.
Eure Ehemaligen gegen rechts
Ein Gedanke zu „Friedensprojekt mit Schattenseiten“