Am Wochenende findet der völkische »1. Erntetanz« auf dem Hof von Bernd Widmer bei Altusried statt. Am Rande werden Journalist*innen angegriffen. Was als harmlose Tanzveranstaltung erscheint, erfüllt für die rechte Szene essentielle Funktionen.
Am vergangenen Wochenende trafen sich bis zu 40 Anhänger*innen der völkischen Szene im bayerischen Allgäu zu einem sogenannten »Erntetanz«.Insbesondere dieses akademisch geprägte, rechtsradikale Milieu scheut die Öffentlichkeit. Ein Teilnehmer griff anwesende Journalist*innen an, versuchte deren Abfahrt zu verhindern. Als Gastgeber fungierte der einstige Freibünder Bernd Widmer, auf dessen Hof zwischen Altusried und der württembergischen Grenze das Event ausgerichtet wurde.
In rund einem Dutzend Autos und mehreren vollbesetzten Kleinbussen reisten die »Erntetänzer*innen« zu Widmers Hof an. Ein Großteil der Teilnehmenden kam zwar aus dem Oberallgäu sowie den angrenzenden Kreisen Ostallgäu, Ravensburg und Neu-Ulm. Doch auch überregional fand die Einladung ins Allgäu Gehör.
So war etwa auch ein Fahrzeug aus der Ostprignitz in Brandenburg zugegen. In der Region pflegt die musikalische »Sippe« Widmer enge Kontakte zum Anastasia-Landsitz Goldenes Grabow. Familienmitglieder spielten dort 2016 während des Anastasia-Festivals auf.
»Fahrender Gesell« greift Journalistin an
* Harald B., Hartmut ist sein Bruder.
— Sebastian Lipp (@SebastianLipp) October 16, 2022
Harald B. reiste aus Reutlingen an. Gemeinsam mit den Söhnen aus dem Hause St. und Widmer hielt der Mann Wache am Parkplatz der Veranstaltung und griff außerdem die Journalistin Andrea Röpke an, die vor Ort war, um die Veranstaltung zu dokumentieren. Sie hatte B. bereits mit Familienangehörigen beim Querdenken-Protest 2021 in Kassel entdeckt, nicht zuletzt wegen der auffällig altmodischen Kleidung fielen sie auf. Er trug ein altes Musikinstrument dabei. Auch zum rechten »Maitanz« der Szene im Bürgersaal in Hüttlingen reiste B. mit Ehefrau an. Dort feierten Angehörige rechtsradikaler Bünde wie dem Sturmvogel gemeinsam mit Anhänger*innen der Identitären Bewegung. Der »Sturmvogel – Deutscher Jugendbund« wird anders als der Freibund oder die Fahrenden Gesellen vom Verfassungsschutz in Niedersachsen als rechtsextrem eingestuft. Mitbegründerin des »Sturmvogel-Deutscher Jugendbundes«, einer Abspaltung der Wiking-Jugend, war Edda Schmidt aus Bisingen.
Schmidt gilt als Brauchtumsexpertin der NPD und betont: »In unseren Festen ist trotz der Überfremdung die Weltanschauung des nordischen Menschen erhalten geblieben. Die Brauchtumspflege ist ein Bollwerk gegen Umerziehung«. 1998 liefen die Anmeldungen eines »Winterlagers« in Herboldshausen über Harald B. Im kleinen Ort Herboldshausen betreibt der antisemitische »Bund für Gotterkenntnis« ein Haus in dem sich auch andere Bünde treffen. Harald B. schwärmt von den Treffen im »wunderschönen Haus« der Ludendorffer. 1999 lief die Anmeldung eines »überbündischen Tanzfest« über ihn. In »Der Fahrende Gesell« berichtete er stolz über Kameraden, »Deutschritterhorte« und militärähnliche »Geländespiele«.
Gastgeber seit Jahrzehnten in rechtsradikalen Bünden
Im bündischen Lager engagiert sich auch Gastgeber Bernd Widmer seit Jahrzehnten für den Nachwuchs dieser politisch-kulturellen Szene. Anfang bis Mitte der 1990er Jahre führte dieser die Leitstelle Süd des Freibund – Bund Heimattreuer Jugend e.V., kurz Freibund genannt. Das Lexikon im Handbuch deutscher Rechtsextremismus verzeichnet den Freibund bereits 1996. Die ersten Gruppen des Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) gründeten sich demnach ab 1957. 1961 wird der BHJ-Standort Westberlin wegen Störaktionen und Herstellungsplänen von Blend- und Sprengkörpern aufgelöst. Nach staatlicher Repression und internen Konflikten wurde der BHJ 1962 in das Vereinsregister in Nürnberg eintragen. Der BHJ orientierte sich damals in seinem Auftreten und seiner Politik an der Hitler-Jugend und führte bis in die 1970er Jahre gemeinsame Lager mit der 1994 verbotenen Wiking-Jugend (WJ) durch. Neben der WJ entwickelte sich der BHJ zur wichtigsten Kraft innerhalb des Kameradschaftsringes Nationaler Jugendverbände.
Mitte der 1970er Jahre erfolgte eine Umorientierung des BHJ weg vom offenen Nationalsozialismus und hin zu den völkisch-bündischen Teilen der deutschen Jugendbewegung. Die Zusammenarbeit mit der WJ wurde aufgekündigt. Unter der verstärkten Bezugnahme auf bündische Traditionen und ein gemäßigteres Auftreten in der Öffentlichkeit wurde 1988 das Bundessymbol, die Odalrune, durch eine schwarze Fahne mit einer aufgehenden Sonne ersetzt. In den darauf folgenden Jahren gab sich der BHJ den Namenszusatz »Der Freibund«, aus dem Mitte der 1990er Jahre dann Der Freibund – Bund Heimattreuer Jugend e.V. wurde.
Vermeintlich unpolitischer Jugendbund als rechtsradikale Kaderschmiede
1991 reiste Widmer zum »Tag der Sachsen« und traf auf Frank Kaden von der sächsischen Wiking-Jugend, so berichtet es der in seinem Buch. Kaden bezeichnet Widmer in »Die sächsische Wiking-Jugend« als »Leitstellenführer« des »Freibund e.V.« Die Gruppe um den Mann aus dem Allgäu habe eine Kothe aufgebaut. Infomaterial verteilt und unterhielt die zahlreichen Besucher mit Volkstanz auf der Bühne, »was sehr gut ankam«. Unbemerkt von der Öffentlichkeit leisteten rechte Bünde Aufbauarbeit Ost.
Heute skizziert sich der Bund selbst als »heimatliebender Jugendbund« ohne politische Motivation. »Wir gehen auf abenteuerliche Fahrt in die Heimat und in ferne Länder, leben im Zeltlager, musizieren, singen am Lagerfeuer, tanzen, feiern wilde und feine Feste, spielen Theater…« So stellt sich der Freibund auf seiner Homepage vor und vermittelt auf den ersten Blick den Eindruck eines harmlosen Pfadfindervereins. Tatsächlich ist der Verein als Lebensbund darauf gerichtet, bereits im Jugendalter Seilschaften herauszubilden, die später in der Gesellschaft wirksam werden sollen. Das Individuum soll sich dem Bund vollständig unterordnen.
Bündische und Neonazis in der Allgäuer AfD
In diesem Sinne spielen auch die auf den ersten Blick unpolitischen Veranstaltungen wie der völkische Erntetanz eine große Rolle für die Bindung der Szene nach innen. Politisch ist der Freibund als AfD-nah zu verorten. Auf einem Freibund-Hof in Niedersachsen fand 2018 ein völkisches Sommerfest des damaligen Landesverbandes der AfD-Jugend Junge Alternative statt.
Bis heute ist Widmer der völkisch-bündischen und rechtsradikalen Szene treu. Er fungiert als Geschäftsführer des von ihm, sowie dem Vizepräsidenten der AfD-Fraktion im Bundestag, Peter Felser, und dem Neu-Rechten Vordenker Götz Kubitschek gegründeten wk&f-Filmverlag in Kempten, in dem unter anderem antisemitische Wahlwerbespots für die Republikaner und Videos, die schon im Titel die Kriegsschuld Hitlers in Frage stellen für rechtsradikale Verlage produziert wurden. Zeitweise arbeitete dort auch der aus der militanten Szene der 1990er Jahre bekannte Neonazi Jirka Buder; ebenso in Peter Felsers Kreisverband der AfD. Auch Jirka Buder engagierte sich eins bei der Wiking-Jugend.
Intensive Vernetzung völkischer und rechtsesoterischer Strukturen
Seine Kinder schickte Widmer sämtlich auf eine Waldorfschule im Landkreis Ravensburg – und bringt sie mit auf Veranstaltungen der Anastasia-Bewegung, einer Art anschlussfähiger Modernisierung der völkischen Szene. Gemeinsam mit der Familie St. aus dem Allgäu werden seit Jahren Kontakte ins Putin-freundliche Anastasia-Milieu gepflegt. Im Dezember 2021 soll ein Teil der Familie in russischer Abschiebehaft gesessen haben. 2016 spielte seine Familie auf dem Gelände des Anastasia-Landsitzes im brandenburgischen Grabow auf und auf dem virtuellen Markt von Weda Elysia in Wienrode wird Widmers Bandprojekt Die Birkler beworben.
Der »1. Erntetanz« im Allgäu dient demnach nicht nur der Ausbreitung von Brauchtum, sondern womöglich auch der intensiven Vernetzung völkischer und rechtsesoterischer Strukturen.