Antifeminismus als Schlüsselidelogie der extremen Rechten, Brückenkopf in Teile des konservativen Spektrums und Legitimation mörderischer Gewalt: Damit setzt sich am 8. Juli in München ein Fachtag der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern und einiger Hochschulen auseinander.
Antifeminismus gehört seit jeher zum Kernbestand extrem rechter Ideologien und politischer Praxen. Er zielt darauf, strukturelle Ungleichheiten zu verfestigen und Emanzipationserfolge zunichte zu machen. Antifeminismus ist dabei kein bloßer Teilaspekt, sondern steht, wie Antisemitismus, Rassismus, dem Hass auf soziale und politische Gleichheit, im Zentrum extrem rechter Ideologie und Politik. Er überschneidet und verbindet sich mit Antigenderismus, Misogynie und LGBTIQ*-Feindlichkeit.
Extrem rechter Antifeminismus zeigt sich in politischen Kampagnen gegen reproduktive Rechte und emanzipative Sexualpädagogik, im Kampf gegen die (sozial-)wissenschaftliche Geschlechter-Forschung und feministischer Politik. Er dient zugleich als Brückenkopf in Teile des konservativen Spektrums und als Legitimation mörderischer Gewalt. So bezogen sich die Täter der rechtsterroristischen Anschläge von Christchurch, Halle und zuletzt in Buffalo alle auf die antifeministische Verschwörungserzählung eines ‚Großen Austausch‘, in der sich antisemitische, rassistische und antifeministische Motive verbinden. Diese Verbindung ist gewiss nicht neu, sie war immer da, nur oft wurde sie vergessen. Auch bei jenen, die wissenschaftlich und politisch zur und gegen die extreme Rechte arbeiten.
Antifeminismus zwischen Alltag und Anschlag
Doch Antifeminismus zeigt sich nicht erst im Terror, er prägt die politischen und sozialen Alltagserfahrungen. Er steht zwischen Alltag und Anschlag.
Im Alltag von Beratungspraxis lässt sich Antifeminismus nicht immer sofort und leicht erkennen bzw. wird die Verbindung von Antifeminismus und Rechtsextremismus oft nicht hergestellt. Mit diesem Fachtag soll Antifeminismus als Schlüsselideologie der extremen Rechten beleuchtet und die Verbindung von Antifeminismus und extrem rechter Ideologie hergestellt werden. Dabei nehmen wir Antifeminismus aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick: sozialwissenschaftliche Forschung, zivilgesellschaftliche Beratungspraxis gegen die extreme Rechte sowie die Perspektive demokratischer und feministischer Zivilgesellschaft.
Der Fachtag der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern findet statt am Freitag, dem 8. Juli am Campus Pasing der Hochschule München. An dem Fachtag beteiligen sich auch die Fakultät für Sozialwissenschaften, Technische Hochschule Nürnberg; Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften, Hochschule München; Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg; Institut für Soziologie, Ludwig-Maximilians-Universität München.
Eine Anmeldung wenigstens zwei Tage vor der Veranstaltung ist notwendig. Das Tagungsprogramm im Einzelnen:
Antifeminismus in Geschichte und Gegenwart
Dr. Imke Schmincke
Zweifellos erlebt der Antifeminismus in den letzten Jahren eine Konjunktur. Er zeigt sich in Alltagshandlungen, Wahlprogrammen und Kampagnen gegen Geschlechterforschung, Sexualpädagogik oder sexuelle Vielfalt. Er ist global gut vernetzt und in Gestalt von Femiziden und (rechts-)terroristischen Anschlägen auch tödlich. Dabei ist der Antifeminismus kein neues Phänomen, er ist eine Reaktion auf den Feminismus von dessen Beginn an und gleichzeitig zentrales Element autoritärer Ideologien. Der Vortrag bietet einen Überblick über die Entwicklung des Antifeminismus, seinen Wandel im Laufe der Zeit sowie die aktuell zentralen Ausdrucksformen, Themenfelder und Akteur:innen.
Dr. Imke Schmincke ist akademische Rätin am Institut für Soziologie/LMU im Lehrbereich Gender Studies. Sie lehrt und forscht zu Themen aus den Bereichen soziale Ungleichheit, Körpersoziologie, Geschlechtersoziologie, politische Soziologie, Frauenbewegung und Antifeminismus.
Antifeminismus von rechts
Juliane Lang
Allen gesellschaftlichen Liberalisierungen zum Trotz, die auch an der extremen Rechten nicht spurlos vorbei gehen, gehören der Bezug auf die heterosexuelle Kleinfamilie und die Verteidigung eines traditionellen Familienbildes nach wie vor zum Kernbestandteil extrem rechten Denkens. Feminismus und die Infragestellung eindeutiger Geschlechterrollen werden abgelehnt. In antifeministischen Kampagnen beklagt die extreme Rechte den Verfall traditioneller Geschlechterrollen – und sucht aktiv den Schulterschluss mit Akteuren im organisierten Antifeminismus. Der Vortrag skizziert antifeministische Positionen in extrem rechtem Denken und diskutiert die Bezugnahmen extrem rechter Akteure auf antifeministische Themen, Kampagnen und Netzwerke.
Juliane Lang arbeitet wissenschaftlich und in der politischen Bildungsarbeit zu Themen rund um die extreme Rechte und Geschlecht. Sie studierte Gender Studies und Erziehungswissenschaft in Berlin und Buenos Aires mit dem Abschluss der Magistra Artium. Juliane Lang ist Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus und forscht an der Universität Gießen zu Selbstinszenierungen extrem rechter Frauen und Folgen für die politische Bildung. Sie ist Herausgeberin des Sammelbandes „Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt.“ im Verlag Marta Press, Hamburg (2018, hrsg. mit Ulrich Peters).
Zwischen ‚Großem Austausch‘ und Incel-Subkultur
Jan Nowak
Neben Rassismus und Antisemitismus gehört ein ausgeprägter Antifeminismus zu den zentralen Motiven des zeitgenössischen Rechtsterrorismus. Im Narrativ des ‚Großen Austausches‘ vereinen sich die drei rechten Ideologiefragmente. Die Vorstellung: Das völkisch-rassistisch definierte Volk sei durch eine Kombination aus Zuwanderung und Geburtenrückgang existenziell in seiner ‚biologischen Substanz‘ bedroht. Der Feminismus erscheint dabei als ein wichtiges Instrument ‚jüdischer Strippenzieher‘ im Hintergrund, um die Geburtenrate ‚weißer Frauen‘ zu senken. Immer wieder verbinden sich derlei Vorstellungen auch mit Elementen der Incel-Subkultur. Das Akronym incel steht für ‚involuntary celibate‘ (unfreiwillig zölibatär). Hinter dem Begriff verbirgt sich eine überwiegend online organisierte Szene meist junger Männer, die sich in einer Mischung aus Selbst- und Frauenhass als Opfer weiblicher Emanzipation inszenieren. Sie fühlen sich um ihr vermeintliches ‚Recht auf Sex‘ und männliche Dominanz betrogen, womit sie häufig Gewalt gegen Frauen rechtfertigen. Im Vortrag sollen beide Phänomene am Beispiel der rechtsterroristischen „Feuerkrieg Division“ verhandelt werden. Die Struktur steht für einen relativ neuen Typ des online organisierten Rechtsterrorismus. Mit Fabian D. aus dem Landkreis Cham kam einer ihrer maßgeblichen Akteure aus Bayern.
Jan Nowak ist Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern und schwerpunktmäßig für die Bezirke Niederbayern und Oberpfalz zuständig.
Antifeministische Allianzen
Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München – firm
„Wir stürzen in die Barbarei und nennen es Fortschritt.“
Mit diesen Worten kommentierte die Publizistin Gabriele Kuby die geplante Streichung des §219a StGB beim zweiten Münchner „Marsch fürs Leben“ 2022. Die antifeministische Demonstration mit knapp 2.000 Teilnehmer*innen gab spannende Einblicke in diejenigen Strukturen und Netzwerke, die gegen reproduktive Rechte mobilisieren und einst erkämpfte, feministische Errungenschaften wieder grundlegend in Frage stellen. Sie zeigte auch, Schwangerschaftsabbruch ist ein Thema, bei dem klassische „Lebensschutz“- Vereine Schulter an Schulter mit extrem rechten Akteur*innen stehen.
Der Workshop gibt einen Überblick über die derzeitige Situation ungewollt schwangerer Menschen in Deutschland, beleuchtet den von selbsternannten „Lebensrechtler*innen“ geführten Kulturkampf und die dahinterstehenden Ideologie und widmet sich anschließend einigen aktiven Gruppierungen sowie ihren Methoden und Netzwerken.
Die Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München (firm) ist seit 2009 Anlaufstelle für die Münchner Zivilgesellschaft, Multiplikator*innen der sozialen und politischen Bildungsarbeit, Fachnetzwerke, städtische Verwaltung und Kommunalpolitik. Sie informiert fortwährend über extrem rechte Entwicklungen in München, sensibilisiert für die Thematik und berät zu möglichen Handlungsoptionen. Die firm ist angesiedelt beim freien Träger Feierwerk e.V.
Antisemitismus, Sexismus, Antifeminismus
Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in Bayern (RIAS)
Bei 28 antisemitischen Vorfällen, die RIAS Bayern im Jahr 2021 bekannt wurden, wurde eine Überschneidung mit Sexismus und Antifeminismus dokumentiert. Christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner:innen setzen Schwanger-schaftsabbrüche mit der Schoah gleich und sprechen Frauen die Autonomie über den eigenen Körper ab, ‚jüdische Mächte‘ werden hinter dem Feminismus vermutet oder antisemitische und sexistische oder homophobe Schimpfwörter werden kombiniert. Solche Kombinationen sind kein Zufall, sondern folgen einer Logik der Ideologien, die die Welt eindeutig in Gut und Böse einteilen und so abgewertete und korrespondierende Bilder vom Weiblichen, Homosexuellen und Jüdischen produzieren. Anhand von Beispielen und Texten wird der Workshop sich mit diesen Logiken beschäftigen.
Annette Seidel-Arpacı hat in Bradford und Leeds studiert und promoviert und ist Leiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern.
Nikolai Schreiter hat in Wien und Jerusalem studiert und ist Mitarbeiter von RIAS.
RIAS Bayern dokumentiert antisemitische Vorfälle im Freistaat und erfasst dabei auch mögliche Verschränkungen mit anderen Ideologien.
Weiblich. Aktivistisch. Antifeministisch
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern
Yogastunden. Luftballons. Kinderwägen. Frauen als Sprecherinnen und Organisatorinnen. Diese Bilder gehören zur Außendarstellung der Proteste von Pandemie-Leugner:innen. Neben Reichsflaggen, Holocaustverharmlosung, Antisemitismus und rassistischen Anspielungen, sind sie Teil der gesellschaftlichen Wahrnehmung der verschwörungsideologisch und zum Teil rechts-extrem geprägten Corona-Protest-Bewegung.
Neben vielen anderen populären Themen geht es bei den Demonstrationen und in den Telegramm-Kanälen der Pandemie-Leugner:innen, um Kindererziehung, die Retraditionalisierung von Rollenbildern, oder die Verknüpfung von Verschwörungsideologien mit dem Feindbild Gender. Am Beispiel der Proteste zeigt sich die Scharnierfunktion von Antifeminismus. Er verknüpft die Ideen von „besorgten Eltern“ mit den Interessen extrem rechter Akteur:innen. Mütter rufen mit dem Verweis auf das Wohl ihrer Kinder zur Teilnahme an Aktionen auf, die keine Abgrenzung nach rechts kennen. Zeitgleich wirken Frauen in ihrer Rolle als Aktivist:innen und ihre Selbstdarstellung als besorgte Hüterinnen der Familie verharmlosend und verschleiern die radikalen Positionen der Bewegung.
Was also ergibt sich aus der Beteiligung von Frauen an den stark von rechts vereinnahmten Corona-Proteste und die Setzung von frauen- und familien-politischen Themen? In unserem Workshop wollen wir uns, über die gemeinsame Analyse von Inhalten und Teilnehmenden der Corona-Proteste, der Frage nach Widersprüchen und Fallstricken nähern. Und eine Analyse von Weiblichkeiten in der Pandemie-Leugner:innen-Szene wagen.
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern ist Ansprechpartnerin für alle, die sich gegen Rechtsextremismus und Ideologien der Ungleichheit einsetzen. Sie bietet Unterstützung bei Vorfällen mit rechten oder anderen menschenfeindlichen Hintergründen, Multiplikator:innenschulungen, Informationen zum Thema, sowie Workshops und begleitet bei Bedarf zivilgesellschaftliche Akteur:innen in ihrem Engagement gegen Rechts und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF). Alle Angebote der Mobilen Beratungsstelle sind vertraulich und kostenfrei.