Anhaltender Trend zu immer mehr antisemitischen Taten

Im ersten Halbjahr 2021 nahmen die antisemitisch motivierten Straftaten in Bayern massiv zu. Doch nicht alle Taten werden richtig erfasst. Auch das Allgäu ist betroffen. Das geht jetzt aus der Antwort der Bayerischen Staatsregierung auf eine Parlamentarische Anfrage des SPD-Abgeordneten Florian Ritter (Drs.18/18735) hervor. 

Im ersten Halbjahr 2021 erfasste die Polizei in Bayern demnach bisher insgesamt 262 antisemitische Straftaten im Kriminalpolizeilichen Meldedienst als politisch motivierte Kriminalität. Bei vier dieser Straftaten handelt es sich um politisch motivierte Gewaltdelikte. 243 der Fälle ordnete die Polizei dem Phänomenbereich der rechten politisch motivierten Kriminalität zu, keinen der linken. Hinter sieben der Straftaten sahen die Ermittler*innen »religiöse Ideologie« als Motiv, vier sollen »ausländischer Ideologie« entspringen, weitere sieben konnten sie nicht zuordnen.

Kempten mit Abstand am schwersten betroffen

Eine Memmingerin erhät eine antisemitische und misogyne Nachricht, in der sie mit dem Tode bedroht wird.
Eine Memmingerin erhät eine antisemitische und misogyne Nachricht, in der sie mit dem Tode bedroht wird.

Das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West in Kempten erfasste 22 der Straftaten und liegt damit hinter München (54), Oberbayern Nord (47), Oberbayern Süd (29) und Unterfranken (24) im Mittelfeld. Mit elf Delikten erfasste die Polizei in Kempten die meisten antisemitischen Straftaten in Schwaben, je zwei waren es in Marktoberdorf und Oberstdorf. Ebenfalls erfasst sind Dietmannsried, Hergatz, Krumbach, Memmingen, Senden, Sonthofen und Weitnau. Nur zwei waren demnach nicht rechts motiviert. Die Memminger Tat sei aus »religiöser Ideologie« entsprungen, In Senden vermochte die Polizei die Bedrohung durch einen 54-Jährigen Tunesier »nicht zuzuordnen«. Es ist auch der einzige der 22 Fälle in Süd-West-Schwaben, der nicht als Volksverhetzung erfasst ist.

Doch diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Zum einen handelt es sich um vorläufige Zahlen, zu denen noch Nachmeldungen anfallen könnten. Zum anderen trifft die ermittelnde Polizei die Entscheidung, ob und in welcher Kategorie eine Straftat gemeldet wird oder nicht. Und das führt mitunter zu irritierenden Entscheidungen. So erhielt eine jüdische Memmingerin am 21. Mai 2021 eine misogyne Privatnachricht, die sie mit dem Tode bedroht. In dieser heißt es auf Englisch: »F*** dich. Ich will dir den Kopf abschneiden. Zionistenstaat zur Hölle. Wir werden alle Juden überall töten für die Freiheit Palästinas. Freiheit für Palästina. Palästina nur für Araber und Palästinenser. Freiheit für Palästina. Ich will dir den Kopf abschneiden, Sch*****. Fahr zur Hölle.« Für Memmingen ist allerdings nur eine Volksverhetzung aus »religiöser Ideologie« erfasst.

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Stetige Zunahme antisemitischer Straftaten

Mit dem »Tatmittel Internet« seien 129 der 243 antisemitischen Taten begangen worden. Zu den vier erfassten Gewalttaten ermittelte die Polizei drei Opfer. Davon entfallen sechs auf »religiöse«, eine auf »ausländische Ideologie« und drei konnte die Polizei nicht zuordnen. Zwei der Betroffenen sollen rechter, eines »religiöser Ideologie« zum Opfer gefallen sein. Zwei Personen wurden leicht verletzt, eine blieb unverletzt.

Der Vergleich mit den Zahlen aus den Vorjahren zeigt eine stetige Zunahme der erfassten antisemitischen Straftaten in Bayern. Mit 243 Fällen liegt sie bereits beinahe 30 Prozent über dem Wert des Vorjahreszeitraumes mit 191 Straftaten. Im ersten Halbjahr 2019 waren es noch 157 Straftaten. In der zweiten Jahreshälfte meldete die Polizei jeweils etwas weniger antisemitisch motivierte Straftaten als in der Ersten. Doch auch hier zeigt sich derselbe Trend: Von 109 Straftaten im ersten Halbjahr 2018 stieg die Zahl 2019 auf 153 und 2020 auf 162. Erfasste Bayerns Polizei 2018 darunter noch kein Gewaltdelikt, liegt deren Zahl seither relativ stabil zwischen vier und sechs.

»Antisemitismus weiterhin eine Bedrohung«

Für die steigenden Zahlen sieht RIAS Bayern verschiedene mögliche Ursachen: »Zum einen spitzen sich gesellschaftliche Konflikte im Zuge der andauernden Coronakrise zu und Antisemitismus floriert in unsicheren Zeiten. Zum anderen kann die im Vergleich zu früher erhöhte Aufmerksamkeit dem Thema Antisemitismus gegenüber dazu führen, dass auch die Strafverfolgungsbehörden den antisemitischen Gehalt von Straftaten besser erkennen«, erklärte der Mitarbeiter der Monitoringstelle, Felix Balandat, auf Anfrage von Allgäu rechtsaußen.

Auch wenn schwer zu sagen sei, was genau die Ursachen für den Anstieg der Zahlen sind: »Sie zeigen, dass Antisemitismus weiterhin eine Bedrohung darstellt, insbesondere wenn man bedenkt, dass nichtstrafbare antisemitische Vorfälle, das berüchtigte ›Das muss man doch noch sagen dürfen‹, in der polizeilichen Statistik nicht aufgeführt werden.« Um dem zu begegnen fordert RIAS: »Antisemitische Straftaten müssen konsequent verfolgt und die Sicherheitsbedürfnisse der jüdischen Gemeinden und Einrichtungen ernstgenommen werden.« Im Bildungsbereich müsse das Thema Antisemitismus und insbesondere seine gesellschaftlichen Ursachen stärker in den Blick genommen werden.


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