Memminger Antifaschist*innen rufen dazu auf, am Vorabend des Gedenkens an die Novemberpogrome gegen Querdenken, deren Antisemitismus und Verschwörungsglauben zu demonstrieren.
Gerade wird die heutige Kundgebung gegen #Querdenken abgesagt: "In Anbetracht der steigenden Fallzahlen und den unübersichtlichen Infektionsketten wollen wir kein Risiko eingehen." Doch bleibe man weiter aktiv gegen die Szene in #Memmingen und will den Protest nachholen. pic.twitter.com/2tZF4wwnVe
— Sebastian Lipp (@SebastianLipp) November 8, 2021
Unter dem Motto »Verschwörungserzählungen – Basis des Antisemitismus« rufen Antifaschist*innen aus Memmingen für Montag zur Gegendemonstration zu Querdenken auf. Die Aktion, deren Aufruf wir im Folgenden im Originaltext dokumentieren, soll um 18:30 Uhr am Marktplatz Memmingen auf Höhe des Stadtbachs stattfinden.
Alljährlich am 9. November gedenken wir der Reichspogromnacht. In der Reichspogromnacht 1938 wurden auf Geheiß der Nationalsozialist*innen zahlreiche Synagogen zerstört, jüdische Geschäfte verwüstet und Gewalttaten an deutschen Jüdinnen und Juden verübt, auch hier in Memmingen. Diese Gewalttaten werden auch als Beginn der offenen, systematischen Judenverfolgung bezeichnet. Doch der Antisemitismus in Deutschland und Europa wurde nicht an diesem Tag erfunden. Europaweit lässt er sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Jüd*innen war es verboten bestimmte Berufe auszuüben, und wenn sich ansteckende Krankheiten verbreiteten oder Kinder verschwanden, wurden sie vielerorts mittels Verschwörungserzählungen dafür verantwortlich gemacht. Zahlreiche Vorurteile und Anschuldigen, bis hin zu Vorstellungen einer jüdischen Weltverschwörung, hielten sich über viele Jahrhunderte und fanden ihren Höhepunkt in der »Rassentheorie« und dann dem Holocaust.
In der heutigen Zeit erleben wir eine erneute Präsenz von Verschwörungsideologien die häufig antisemitische Züge haben. Unter anderem dann, wenn die Covid-19 Pandemie als Verschwörung von Bill Gates, gemeinsam mit den mächtigsten Regierungen der Welt, mit dem Ziel der absoluten Kontrolle über die Weltbevölkerung, bezeichnet wird. Dies geht einher mit einem Mangel an gesellschaftlicher Solidarität und einem Zustrom für extrem rechte Bewegungen. Es liegt an uns als Gesellschaft nicht zuzusehen, nicht zuzulassen, dass die gefährliche Zusammenkunft von Verschwörungsideolog*innen und Rechtsextremen mehr und mehr Raum in Deutschland und Europa gewinnt.
Gedenken und Handeln
Deswegen ist es wichtig nicht nur am 9. November dem Vergangenen zu gedenken sondern sich auch neuen Verschwörungserzählungen aktiv entgegen zu stellen. Seit gut einem Jahr versammeln sich auf dem Memminger Marktplatz selbsternannte Querdenker*innen bzw. die Bewegung »Memmingen leuchtet« und verbreiten gefährliches Geschwurbel. In anderen Städten & Ortschaften ist es durch starke Gegenproteste gelungen die Querdenken-Bewegung wieder aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben, in Memmingen leider nicht. Stattdessen sind jede Woche über 100 Personen auf dem Marktplatz und schwadronieren von einer Diktatur, ziehen NS-relativierende Vergleiche, rufen zu Gewalt an Gegner*innen auf oder geben wirres und wissenschaftsverleugnendes zur Corona-Pandemie von sich. Oft bedienen sich die Verschwörungserzählungen antisemitischer Bilder oder bauen auf alten antisemitischen Verschwörungsbehauptungen auf. Der Gegenprotest hierzu war/ist leider meist sehr klein.
Deswegen wollen wir am Vorabend des Gedenkens an die Reichspogromnacht mit euch gemeinsam auf dem Marktplatz ein Zeichen gegen Antisemitismus und Verschwörungsideologien setzen. Nie wieder darf nicht nur eine rituell aufgesagte, leere Worthülse bleiben, sondern muss Teil von aktivem und entschlossenen Handeln und gesellschaftlichem Grundverständnis sein!