Krumbach, 18. Dezember 2020. Unbekannte brechen die Türe am Taharahaus des ehemaligen Friedhofs der von den Nazis ausgelöschten jüdischen Gemeinde Hürben auf und beschädigen einen Fensterladen. Die Polizei stuft die Tat als antisemitisch ein.
Am Freitag stellte ein Spaziergänger gegen 15:30 Uhr eine offen stehende Türe am Haus des jüdischen Friedhofs fest und teilte dies der Stadt Krumbach mit. Das berichtet die Polizei in einer Mitteilung an die Presse. Die Mitarbeiter_innen der Stadt stellten anschließend Beschädigungen an zwei Türen und einem Holzfensterladen fest und informierten die Polizei. Dadurch entstand laut Polizei ein geschätzter Sachschaden in Höhe von 500 Euro. Mögliche Zeugen, die in den letzten drei Wochen diesbezüglich etwas am jüdischen Friedhof bemerkt haben, sollen sich bei der Polizeiinspektion Krumbach melden.
Polizei stuft Tat als antisemitisch ein
Zu Täter oder Motiv liegen der Polizei derzeit noch keine Hinweise vor, heißt es auf Anfrage. Demnach drückten Unbekannte die Eingangstüre auf und beschädigten einen Fensterladen. Entwendet worden sei nichts und keine Schriften oder Symbole hinterlassen worden. Der alte jüdische Friedhof sei nicht als solcher erkennbar und wird schon lange nicht mehr als Friedhof genutzt. Eine politische Motivation des Täters erscheine der Polizei daher fraglich, dennoch meldete sie die Tat als antisemitisch an das Bayerische Landeskriminalamt. Hinweise, die auf einen Zusammenhang zu anderen Taten schließen lassen, sind der Polizei bislang nicht bekannt.
»Das ist der zweite Vorfall am ehemaligen jüdischen Friedhof in Krumbach innerhalb weniger Monate, bei dem ein antisemitischer Hintergrund naheliegt.« Das erklärte Annette Seidel-Arpacı, Leiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern, am Montag auf Anfrage von Allgäu rechtsaußen. Auch hieran werde »einmal mehr deutlich, dass Antisemitismus ein Alltagsphänomen ist. Orte des ehemals sichtbaren und vielfältigen jüdischen Lebens in Bayern, das von den Nationalsozialisten zerstört wurde, werden dabei immer wieder zum Ziel. Der Logik des Antisemitismus folgend können aus antisemitischen Sachbeschädigungen, die diese Erinnerung angreifen, auch Angriffe auf lebende Jüdinnen und Juden werden.«
Nazis löschten jüdische Gemeinde aus
Der Friedhof gehört zur 1675 gegründeten jüdischen Gemeinde Hürben, die Krumbach 1902 eingemeindete. Bis 1628 bestattete die jüdische Gemeinde Hürben ihre Toten in dem zentralen jüdischen Friedhof in Burgau. Erst dann erhielt sie die Genehmigung für den eigenen Friedhof zwischen Hürben und dem Krumbad. Das betroffene Taharahaus kam 1898 zur Waschung und Einkleidung der Toten hinzu.
Nach 1933 sahen sich die Hürbener schon bald Boykottaktionen gegen Juden ausgesetzt. Außerdem schmiss man in den Jahren bis 1938 Fensterscheiben von Wohnhäusern ein und warf im jüdischen Friedhof Grabsteine um. Im Frühjahr 1938 schließlich musste das Erholungsheim für jüdische Kinder schließen. Die Nationalsozialisten richteten, nachdem sie das Gebäude beschlagnahmt hatten, eine Schulungsstätte für das Nationalsozialistische Fliegerkorps ein.
Nach der sogenannten Reichspogromnacht brachten die Nazis am 10. November 1938 alle noch dort lebenden jüdischen Bürger Hürbens ins Günzburger Gefängnis, vier von ihnen gleich weiter in das KZ Dachau. Am folgenden Tag wurden die Wertgegenstände aus der Synagoge durch die Gestapo weggebracht. Gut ein Jahr später, am 26. November 1939, setzte ein Unbekannter die Synagoge in Brand. Dann nutzte sie die Wehrmacht als Heulager, bevor die Stadt Krumbach die Ruine auf Geheiß der Gauleitung kaufte und sie durch Kriegsgefangene abgerissen wurde.
Bis zum Jahr 1941 konnten 27 Personen auswandern, weitere 18 zogen in andere Städte und die letzten 16 erfuhren im Jahr 1942 von Hürben aus ihre Deportation und Ermordung. Damit löschten die Nazis die jüdische Gemeinde 267 Jahre nach ihrer Gründung aus. Insgesamt fanden in der Zeit des Nationalsozialismus 38 Juden den Tod, die in Hürben beziehungsweise Krumbach geboren wurden oder längere Zeit hier wohnten.
Ein Gedanke zu „Taharahaus des jüdischen Friedhofs aufgebrochen“