Das Verfahren wegen der Verbreitung von Neonazi-Propaganda durch Oldschool Records kommt nach über fünf Jahren und einem äußerst milden vorläufigen Urteil noch immer nicht zu einem Ende. Ein Termin zur Neuverhandlung auf Grund der eingelegten Berufung wird nicht vor Anfang des nächsten Jahres festgelegt werden. Das teilte ein Behördensprecher heute auf Anfrage mit.
Für den Verkauf von Tonträgern mit gewaltverherrlichendem, neofaschistischem Inhalt musste sich Benjamin Einsiedler bereits Ende letzten Jahres als Betreiber des Neonaziunternehmens verantworten.
900 Straftaten und 88 Anklagepunkte
Ein Berliner Politiker hatte 2012 Anzeige wegen eines SS-Pullovers erstattet. Erst im Jahr 2014 durchsuchte die Polizei Privaträume und Produktionsstätten des Betreibers. Anhand der umfangreichen Sicherstellungen – insgesamt 23.500 Tonträger mit 2.100 verschiedenen Werken, fünf Gigabyte Daten und Gegenstände wie Hakenkreuzfahnen, Taser und Schlagstöcke – ermittelte die Polizei über 900 Einzelstraftaten durch Verkäufe von Musik, die teils zum Mord an Juden, Kommunisten oder Schwulen aufruft oder bei der die Verpackungen mit verbotenen Kennzeichen von Naziorganisationen »geschmückt« waren. Zudem wurden die Adressen der Käufer, darunter auch Anschriften aus dem Ausland, ermittelt. Andere Szenehändler nahmen teils große Mengen einzelner Produktionen ab.
Bis zur Eröffnung des Gerichtsverfahrens im September 2016 dauerte es nocheinmal mehr als zwei Jahre. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen zu einigen Taten bereits im Vorfeld wieder ein und fasste mehrere Verkäufe derselben Tonträger zu je einem Anklagepunkt zusammen. Schließlich wurde in genau 88 Punkten wegen des Verkaufs von Tonträgern und in einem Fall wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz Anklage erhoben.
Szeneanwalt drängt Staatsanwaltschaft in Defensive
Rechtsanwalt Alexander Heinig forderte bereits zur Eröffnung der Gerichtsverhandlung eine Einstellung. Damals gaben sich die Vertreter der Staatsanwaltschaft noch überzeugt von ihrer Arbeit und forderten die Zurückweisung des Antrages, das Gericht folgte dem. Im Laufe der acht Verhandlungstage drängte Heinig die Anklagebehörde allerdings zunehmend in die Defensive. Das ging soweit, dass die Staatsanwaltschaft einzelne Anklagepunkte bereits vorauseilend relativierte, ohne dass ein Angriff Heinigs nötig war. In Teilen ihrer eigenen Anklage war für die Behörde plötzlich doch »keine Strafbarkeit erkennbar«, wodurch sich einige Vorwürfe formaljuristisch erledigten.
Im Gegensatz zur schlecht vorbereiteten Staatsanwaltschaft kann Heinig eine gewisse Expertise in Sachen rechte Musik und dazugehöriger Ideologie nachgesagt werden. Er stand selbst einst mit seiner Band Ultima Ratio auf der Bühne und spielte vor Neonazis. Als er in Waiblingen auftrat, gröhlte Heinig »Nigger, nigger, out, out« von der Bühne.
Heinig brachte »Rechtsgutachten« ins Verfahren ein, die eine Strafbarkeit verschiedenster Anklagepunkte widerlegen sollten. Die entsprechenden Schriftsätze sind unterschrieben von seinen ebenfalls als Szeneanwälte geltenden Kollegen Gisa Pahl und Steffen Hammer. Hammer sang einst bei »Noie Werte«, unter Neonazis eine der ältesten und bekanntesten Bands. Sowohl Hammers als auch Heinigs CDs werden von Oldschool Records vertrieben. Beide Bands sind inzwischen nicht mehr aktiv.
Im Sortiment: Verherrlichung des NSU
Im April 2015 wurden im gesamten Bundesgebiet 16 Objekte wegen der Veröffentlichung der CD Ehrbarer kämpfe des Liedermachers FreilichFrei von der Polizei durchsucht. Darunter waren auch die Räumlichkeiten von Oldschool Records (OSR). Gegen den im November 2014 bei OSR erschienen Tonträger sollte wegen Verherrlichung des NSU ein Beschlagnahmebeschluss durchgesetzt werden. In einem der Songs heißt es mit unverkennbarem Bezug auf Beate Zschäpe:
»Ein Haus, halb explodiert, eine Frau war’s, eine Neonazifrau. Und weil die Frau für uns alle Vorbild ist, wallfähren wir die nächsten Jahre zu dem Haus, dass sie mir nichts dir nichts kaputt gemacht hat und wir, wir huldigten ihr, der hübschen Nazimaus.«
Gigi & die braunen Stadtmusikanten besangen ebenfalls die Mordserie des NSU. Bereits 2010 – zu einem Zeitpunkt, als die Öffentlichkeit noch nichts von der Neonazi-Terrorgruppe wusste – veröffentlichte die Combo den Song Döner-Killer. Die CDs der Band wurden von Einsiedler vertrieben, eine davon ist Gegenstand im laufenden Verfahren.
Verurteilt für 7 von 88 Tonträgern
Einige Produktionen nahm das Gericht inhaltlich gar nicht zur Kenntnis. Teilweise sollen die gesungenen Texte schon für die Polizei nicht verständlich gewesen sein. Hinsichtlich dieser Anklagepunkte wurde das Verfahren kurzerhand eingestellt. Obwohl objektiv strafbar, könne das Gericht dem Angeklagten aus einigen der verbleibenden 19 Anklagepunkte keinen Vorwurf machen, da ihm der Vorsatz fehle, hieß es. Die Polizei lieferte das Argument: Nach einer früheren Hausdurchsuchung habe er die Tonträger zurückbekommen, weshalb er von einer Nichtstrafbarkeit habe ausgehen können. Bei einer Reihe von Medien fehlte der Nachweis, dass sie tatsächlich verkauft wurden. In lediglich vier Fällen folgte das Gericht der Argumentation der Verteidigung, dass diese von der Meinungsfreiheit gedeckt seien, verurteilt wurde Benjamin Einsiedler schließlich für nur sieben von 88 in der Anklageschrift aufgeführten Tonträgern.
Wäre keine Berufung anhängig, müsste Einsiedler, der als Führungsfigur der örtlichen Skinheadkameradschaft Voice of Anger gilt,120 Tagessätze (4.800 Euro) Strafe und ein Bußgeld wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zahlen. 1.600 Euro seines durch die Straftaten erzielten Gewinns sollen nach dem Willen des Amtsrichters eingezogen werden.
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