Hitlergruß und doch kein Nazi?

Kempten, 23.06.17. Ein 42-jähriger Mann tritt an das Fenster seiner Wohnung in der Kemptener Stiftsstadt, schreit »Heil Hitler« und erhebt mehrmals seinen Arm zum Hitlgergruß. Obwohl er die Tat vehement bestreitet, wurde er dafür am Dienstag vom Amtsgericht Kempten zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.

»Ich lasse mich nicht als Nazi abstempeln«, sagte der gebürtige Schongauer während der Verhandlung am 24. Oktober immer wieder. Seine Nachbarn habe er durchaus mit lauter Musik und herumschreien gestört, das räumt Jürgen K. umstandslos ein. Weil ihn seine Frau kurzzeitig verlassen habe, sei er an diesem Tag im Juni »ausgeflippt«, wie er sagt. Der Kemptener zieht einen Kassettenrecorder aus seinem Rucksack und stellt ihn auf den Tisch vor ihm, zwei zwei CDs legt er dazu. »Das ist ganz schlimme Musik«, erklärt er dem Richter. In den Texten gehe es um Krieg, das habe ihn aufgestachelt, in einen »Rausch« versetzt. Er sei so wütend gewesen, dass er herumgeschrien und sich selbst beleidigt habe. Doch die Nazigrüße, die ihm der Staatsanwalt vorwirft, bestreitet er vehement.

Auf den Tonträgern, die Jürgen K. auf dem Richtertisch vorlegt ist auch kein Rechtsrock. Es ist ganz normaler Hardrock. Der Richter ist skeptisch und fragt nach bei dem Zeugen, der die Tat beobachtet hat. »Wie Iron Maiden«, bestätigt der Nachbar die Aussage des Betroffenen. Mehrere Hitlergrüße habe er den Angeklagten aber ohne Zweifel ausführen gesehen. Er saß in seinem Garten, von wo aus er das Fenster der Wohnung von Jürgen K. sehen könne. Als er »Heil Hitler« gehört hatte, habe er zum Fenster geblickt und den Angeklagten eindeutig erkannt.

Richter und Staatsanwaltschaft sind sich einig darüber, dass die Aussage des Zeugen glaubwürdig ist, die Einlassung des Angeklagten jedoch eine reine Schutzbehauptung darstellt. Der Vertreter der Anklage fordert 90 Tagessätze, der Richter ist etwas milder gestimmt und verhängt schließlich 60 Tagessätze für das Verwenden von Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen. Jürgen K. muss nun – wenn er nicht eine recht aussichtslose Berufung einlegt – 1200 Euro Geldstrafe entrichten. Der ist auf einmal nicht mehr so nett wie zuvor, als er sich als unschuldig darzustellen versuchte.

Der Angeklagte ist zwar bereits 17 mal vorbestraft wegen Delikten wie Körperverletzung, Diebstahl und Widerstand gegen die Polizei. Dafür saß er bereits eine Freiheitsstrafe ab, wurde aber dennoch immer wieder rückfällig. Volksverhetzung oder andere typische Straftaten von rechts sind aber nicht darunter.


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