Als am 9. Oktober 2021 rund 500 Neonazis in Dortmund zu Ehren des verstorbenen »SS-Siggi« Borchardt aufmarschieren, sind unter den Teilnehmenden auch Anhänger von Voice of Anger aus dem Allgäu - und aus Westfalen.

Voice of Anger expandiert

Ein gescheiterter Hammerskin baut in Westfalen ein Chapter der Allgäuer Skinhead-Kameradschaft Voice of Anger auf. Die Behörden tappen im Dunkeln.

Am 9. Oktober 2021 zogen rund 500 Rechtsradikale und Hooligans in einer als »Trauermarsch« angekündigten Demonstration durch Dortmund. Der Aufmarsch galt dem wenige Tage zuvor verstorbenen gut vernetzten Neonazi Siegfried »SS-Siggi« Borchardt. Neben Szenegrößen wie Thorsten Heise und Christian Worch marschierten nicht nur etliche Mitglieder der »Borussenfront« mit, sondern auch Teile von verbotenen neonazistischen Netzwerken, wie Combat18 (C18) oder Blood&Honour (B&H) – unter anderem Stanley Röske, William Browning und Marco Gottschalk, Sänger der Rechtsrockband Oidoxie. Röske gilt laut der Rechercheplattform EXIF als Chef der deutschen C18-Sektion und Browning als Europa-Chef. Zudem vor Ort: Die Neonazi-Skinheadkameradschaft Voice of Anger (VoA) aus dem Allgäu. Das berichtet der Fachdienst bnr.de.

Allerdings haben nicht alle Voice of Anger-Anhänger die rund 600 Kilometer lange Reise aus der südbayerischen Heimatregion der Gruppe angetreten, um »SS-Siggi« zu gedenken. Einige der jungen Neonazis, die Aufnäher als »Prospects«, also Anwärter für die Mitgliedschaft bei Voice of Anger ausweisen, sind Westfalen. Bereits Ende 2019 berichtete Allgäu rechtsaußen, dass die Nazi-Kameradschaft in Hamm als Torsteher und Veranstalter von Konzerten mit Teilnehmenden aus dem Umfeld von B&H auftrat.

Ex-Hammerskin expandiert Voice of Anger nach Westfalen

Als am 9. Oktober 2021 rund 500 Neonazis in Dortmund zu Ehren des verstorbenen »SS-Siggi« Borchardt aufmarschieren, sind unter den Teilnehmenden auch Anhänger von Voice of Anger aus dem Allgäu - und aus Westfalen.
Als am 9. Oktober 2021 rund 500 Neonazis in Dortmund zu Ehren des verstorbenen »SS-Siggi« Borchardt aufmarschieren, sind unter den Teilnehmenden auch Anhänger von Voice of Anger aus dem Allgäu – und aus Westfalen. (Beide Photos aus Dortmund ©David Peters)

Unter den westfälischen Voice of Anger-Anhängern ist immer wieder Jörn Kaiser zu sehen. Der 1986 geborene Sauerländer Nazi-Skin aus Neuenrade bei Iserlohn ist nach Recherchen von EXIF bereits in den 2000er Jahren als rechter Schläger aufgefallen und bewegte sich kurzzeitig im Kreis der Oidoxie Streetfighting Crew – die Unterstützergruppe der Dortmunder Combat 18-Band Oidoxie. Bekanntheit erreichte er allerdings erst als Illustrator. Seine Zeichnungen »schmücken« etliche CD-Cover diverser RechtsRock-Bands und Fanzines, wie das For the Love of Oi!. In einem Interview mit dessen Herausgeber Andreas Moos bezeichnete er sich selbst als »Labelzeichner« des Allgäuer RechtsRock-Labels Oldschool Records, das eng an Voice of Anger angebunden ist.

Mit Gründung des Chapter »Westfalen« 2014 tauchte Jörn Kaiser laut EXIF auf einmal bei den Hammerskins auf. Er nahm an zentralen Events wie dem »Hammerfest« 2016 in Frankreich oder noch im Oktober 2018 beim »Joe Rowan Memorial« in Kirchheim teil, bei dem auch »Voice of Anger« auffiel. Nachdem es bei den Hammerskins offenbar nicht geklappt hat, widmet sich Kaiser nun wohl dem Aufbau eines Ablegers von Voice of Anger in Westfalen.

Sicherheitsbehörden ahnungslos

Bei Voice of Anger geht es auch um antisemitische Gewalt. Das zeigt Material aus Akten der Polizei, das Allgäu ⇏ rechtsaußen bereits Anfang vergangenen Jahres veröffentlichte.
Bei Voice of Anger geht es auch um antisemitische Gewalt. Das zeigt Material aus Akten der Polizei, das Allgäu ⇏ rechtsaußen bereits Anfang vergangenen Jahres veröffentlichte.

Doch obwohl sich das Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum des Bundes (GETZ) in den vergangenen Jahren mehrfach mit »Voice of Anger« beschäftigte, liegen den Behörden an entscheidenden Stellen kaum Informationen über die Allgäuer Neonazikameradschaft vor. Seit Jahren berichten Antifaschist*innen und Fachjournalist*innen über beste internationale Verbindungen von Voice of Anger in das militante und terroristische Milieu von Blood&Honour, Combat 18 und den Hammerskins. Aber: »Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor«, schreibt diese 2018 in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP (Drs. 19/4188). Auf Landesebene tappen die Behörden offenbar ebenfalls noch im Dunkeln: Seit Jahren behauptet etwa der Bayerische Inlandsgeheimdienst auf Nachfrage, keine derartigen strukturellen Verbindungen zu kennen. (Drs. 18/14981, 18/14979) »Einzelne Kontakte« zwischen Mitgliedern von VoA und Personen, die einer der genannten Gruppierungen angehören, könnten allerdings »nicht ausgeschlossen werden.« (Drs. 18/7375) Auch über eine Expansion in andere Bundesländer ist den Behörden nichts bekannt, wie diese auf Nachfrage einräumen mussten. (Drs. 18/7375)

2019 strich der Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht außerdem die »Veranstaltung von Konzerten« aus dem Profil der Gruppe – ausgerechnet in dem Jahr, als die Hälfte aller bayerischen Neonazikonzerte im Allgäu stattfanden und VoA die Region damit zum Konzert-Hotspot des Landes machte. Was der Verfassungsschutz ebenso nicht erwähnt: Photos, die »Allgäu rechtsaußen« im selben Jahr erstmals veröffentlichte, zeigen Anhänger von VoA, wie sie an einem Schießstand in der Schweiz. Als Ziel der Schießübungen nutzen sie offenbar Bilder jüdischer Geistlicher.

Mehr zu diesem Thema:  Buch zur preisgekrönten Recherche »Voice of Anger und der rechte Untergrund im Allgäu« in 2. Auflage

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