Auf Bannern pro-palästinensischer Demos in Kempten wird gemahnt, antisemitische Äußerungen seien strikt verboten; auf dem Social Media Kanal der Gruppierung heißt es, die Ausrichtung sei nicht Anti-Israel. Ernstgemeinte Distanzierungen oder vorgeschobene Worte? Über die Hintergründe der Veranstaltenden.
Seit dem 7. Oktober 2023 fanden in Kempten mehrere pro-palästinensische Kundgebungen als Reaktion auf die jüngsten Geschehnisse im Nahostkonflikt seit dem Überfall der Hamas auf Israel statt. Die meisten dieser »Mahnwachen für den Frieden« wurden von einer Gruppierung organisiert, der es offenbar wichtig ist, in der Öffentlichkeit weder antisemitisch, noch israelfeindlich dazustehen. Mit »Menschenrechten für alle!«, »Für die Menschlichkeit. Für das beenden [sic] des Krieges.« und ähnlichen Slogans bewirbt sie ihre Demonstrationen in den sozialen Medien. Hinter der Fassade zeichnet sich allerdings ein anderes Bild ab: Der Wunsch nach Frieden scheint nur einer Seite zu gelten.
Maßgebliche Unterstützung einer verschwörungsideologischen Partei
Nur Sensoy, ehemalige Memminger Oberbürgermeister*innen-Kandidatin für die Randpartei Team Todenhöfer, fungiert als Rednerin der pro-palästinensischen Versammlungen in Kempten; ebenso Frederic Todenhöfer, ehemals stellvertretender Parteivorsitzender und Sohn des Parteigründers Jürgen Todenhöfer. Letzterer galt einst als ultrakonservativer CDUler, machte dann Karriere als Publizist und stand nicht nur wegen antiamerikanischen Ansichten, sowie offenbaren Sympathien zu Dschihadisten in der Kritik. Spätestens 2015 ließ das Teilen eines holocaustrelativierenden Songs von Xavier Naidoo seine Nähe zum Antisemitismus und Verschwörungsglauben vermuten. Ende 2020 gründete er schließlich Team Todenhöfer, eine Kleinstpartei, die offenbar ebendieses Milieu bedienen möchte. So trat Jürgen Todenhöfer unlängst als Hauptredner einer Münchner Großdemo auf, die aus dem »Querdenken«-Spektrum organisiert wurde; ebenso nahm der Allgäuer Antisemit Wjatscheslaw Seewald an dieser teil. Wie sehr Team Todenhöfer in die Organisation der Kemptener Pro-Palästina-Demos involviert ist, zeigt auch, dass es offenbar die Werbeflyer für diese designt.
Antisemitische Motive?
Ebenfalls zu den Organisator*innen gehört die Naturheilkundlerin Johanne J., die sich auf Social Media vorallem bezüglich Corona verschwörungsideologisch äußert. Den Covid19-Impfstoff von Biontech bezeichnet sie etwa als »Gift« und Infektionsschutzmaßnahmen als »Teilung des Volkes und […] Hexenjagd gegen die Ungeimpften«. Sie teilt Videos und Texte aus der verschwörungsideologischen Szene und von deren populärsten Apologeten wie Ken Jebsen, Reiner Füllmich oder Wolfgang Wodarg. Diese eint nicht nur der Verschwörungsglaube, sondern auch der dazugehörige Antisemitismus. Aufgrund shoahrelativierender Aussagen wurde Fuellmich bereits wegen Volksverhetzung gerichtlich verurteilt. Ebenso wie Füllmich ist auch Wodarg Mitglied der Partei dieBasis, aus deren Reihen immer wieder holocaustrelativierende Sätze fallen. Und auch Johanne J. ist inhaltlich nicht weit von solchen entfernt, wenn sie bezüglich der Angriffe Israels auf Palästina schreibt: »Das Massaker […]« sei »einmalig in der gesamten Menschheitsgeschichte«. Von ihr wurde auch ein Hakenkreuz gepostet, das »eines der Ältesten Zeichen« sei und sich auf die »Essener Taufe« zurückführen lasse. Das kann im Kontext der sonst von ihr verbreiteten Inhalte als Relativierung der unter diesem Symbol stattgefundenen Gräueltaten verstanden werden. Jüngst bewarb sie in den sozialen Netzwerken Team Todenhöfer, in dem sie eine Partei gefunden haben möchte, die ihre »tiefsten Anliegen« vereine.
Islamistischer Terror als Befreiungskampf
»Pro Palästina ist NICHT gleich Anti Israel!« versucht sich die Demo-Gruppe auf ihrem Social Media Kanal aus der Kritik zu ziehen. Auf Transparenten dagegen, die laut einer polizeilichen Pressemitteilung am Rande der Versammlung bei potentiellen Teilnehmenden zur Gefahrenabwehr sichergestellt worden seien, sollen Parolen gestanden haben, die bei einem Vorzeigen im Rahmen der Versammlung Straftatbestände hätten erfüllen können. Auf Anfrage von Allgäu rechtsaussen teilt das Polizeipräsidium mit, es habe sich um den Spruch »From the River to the sea Palestine will be free« gehandelt – ein Slogan, der dem Staat Israel seine Existenzberechtigung abspricht und den Terrorangriff der Hamas zu einem Befreiungsschlag umdeutet. Die gleiche Botschaft vermittelt die Gruppierung, indem sie Ausschnitte von Landkarten Palästinas ohne Israel in einem Reel auf ihrem Social Media Kanal zeigt. Untermalt wurde dieser mit einem Lied aus den 70er Jahren, das triumphierend davon erzählt, wie Palästinenser*innen »Raketen auf [ihre] Feinde« abgefeuert haben; es im Kontext des 7. Oktobers 2023 zu nutzen, kommt einer Glorifizierung des islamistischen Terroranschlags gleich.
Vom Islamismus zur extrem Rechten
In einer ebenfalls im Reel geteilten Rede eines islamistischen Predigers vom »Jihad’s Callers Center« wird der Terror der Hamas abermals relativiert, wenn es darin heißt: »sie haben […] Krieg gegen unsere Länder eröffnet und [sind] in unser Land eingedrungen und wenn wir uns aufmachen, für unsere Religion zu kämpfen sagen sie: ›Terroristen‹ und sie nennen uns ›Extremisten‹. […] Sie wollen, dass wir das gleiche bestialische Leben führen welches sie führen«.
Nicht nur durch weitreichende Bezüge in das verschwörungsideologisch-antisemitische Milieu spannt die Gruppierung immer wieder den Bogen zum Rechtsradikalismus. So teilte sie auch einen Clip des extrem rechten Compact Magazins auf ihrem Kanal.
Die Gefährlichkeit der Simplifizierung
»Palästina mit meinen Worten, weil es eben NICHT ›kompliziert‹ ist!« lautet die Aufschrift eines Videos von Eva Rosen (dieBasis), das erst kürzlich auf dem Account der Gruppe geteilt wurde. In dem vier-minütigen Monolog möchte Rosen »vielen Menschen«, denen »das Thema Palästina neu« ist »einige Fakten« an die Hand geben. Zuvor propagierte sie als eine der Hauptmitwirkenden einer 2020 durch Deutschland reisenden »Frauen Bustour« Desinformationen rund um Covid-19 und stieg quasi zu einer Prominenten des verschwörungsdenkenden Milieus auf. Seitdem blieb es lange Zeit ruhig um sie, bis sie nun mit den aktuellen Ereignissen des Nahostkonflikts wieder in Erscheinung trat. In ihrem »Crashkurs« beleuchtet sie die Geschichte des Konflikts bemerkenswert verkürzt und einseitg. Israel weist sie eine alleinige Schuld zu: »[…] wir unterhalten uns allen Ernstes über eine Zweistaaten-Lösung. Es gibt zwei Staaten. Und nur weil ein Land das nicht anerkennt und ein ganzes Land rauben möchte von der indigenen Bevölkerung, nämlich den Palästinensern, passiert jetzt in Palästina ein Genozid […]«. Und bricht den unbestreitbar vielschichtigen Nahost-Komplex damit zu einem vereinfachten Gut-Böse-Schema herunter. Mit dem Vorwurf an die »derzeitige israelische Regierung« einer »satanische[n] Ideologie« zu folgen, greift sie ein antisemitisches Stereotyp auf.
Seien es die Pandemie, die Bauernproteste oder der Nahohstkonflikt, es bleibt dabei: Verschwörungsideolog*innen machen sich komplexe Ereignisse und Sachverhalte zu Nutze, indem sie diese vereinfachen und damit Feindbilder schaffen, die in gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten münden. Dass aus diesen Reihen der Nahostkonflikt als neues Themenfeld besetzt wird, liegt nahe: Lässt sich hier der dem Verschwörungsglauben innewohnende Antisemitismus doch besonders einfach darüber ausbreiten. Demonstrationen und Courage für den Frieden im nahen Osten und den Schutz der dortigen Zivilbevölkerung sind unfraglich wichtig. Von dem Schein manch ideologisch gefährlicher Initiativen sollte man sich jedoch nicht blenden lassen.
Titelbild: Kemptener Pro-Palästina-Demo. (Instagram)