Mit einem Bekenntnis zu seiner Neonazikameradschaft betritt Benjamin Einsiedler am Tag der Befreiung vom Faschismus das Landgericht. Für ihn wird es ein guter Tag: Sein Verteidiger fordert den Freispruch, die Staatsanwaltschaft wirft ihm von 88 Anklagepunkten nur noch vier vor.
»Voice of Anger« – Das Bekenntnis zur Neonazikameradschaft prangt breit auf seinem Gürtel als Benjamin Einsiedler am 8. Mai, dem Tag der Befreiung, das Landgericht Memmingen betritt. Er gilt als Führungsfigur der im Allgäu ansässigen Skinheadgruppe. Er ist angeklagt, weil er über sein Unternehmen Oldschool Records massenhaft Neonazipropaganda vertrieben hat. Für ihn wird es ein guter Tag: Sein Rechtsanwalt Alexander Heinig fordert wenig überraschend den Freispruch vom Landgericht Memmingen.
Der ehemalige Rechtsrocker vertrat in seinem Plädoyer am dritten Verhandlungstag des Berufungsprozesses die Ansicht, dass sich sein Mandant mit Produktion und Verkauf von neonazistischen Tonträgern nicht strafbar gemacht habe, weshalb die Kosten des mehrere Jahre andauernden Verfahrens vom Staat zu tragen seien.
Die Staatsanwaltschaft dagegen plädierte für eine Verurteilung für vier der Tonträger. Ursprünglich hatte die Behörde 88 Propagandadelikte und einen waffenrechtlichen Verstoß am Amtsgericht Memmingen zur Anklage gebracht, sich aber immer wieder von einzelnen Vorwürfen distanziert. Schon während dieser ersten Verhandlung Ende 2016 wurde deshalb das Verfahren hinsichtlich von 69 der Taten eingestellt. Wegen sieben der Taten verhängte das Gericht eine Geldstrafe von 4.800 Euro und sprach Einsiedler für die übrigen Taten frei.
Nationalsozialismus und »rassische Überlegenheit«
Beide Parteien legten Berufung ein. Der Angeklagte geht gegen die Verurteilung an, die Staatsanwaltschaft zielte mit ihrem Rechtsmittel auf die Freisprüche, knickte aber am zweiten Prozesstag am Landgericht ein. Als der vorsitzende Richter die Vertreterin der Staatsanwaltschaft aufforderte, das Rechtsmittel zu begründen, zog sie es zurück.
Dennoch bleibt die Staatsanwaltschaft dabei, dass auf den vielfach vom Angeklagten vertriebenen Tonträger der Holocaust geleugnet, eine »rassische Überlegenheit« aufgrund von »germanischem Erbgut« behauptet und Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen verbreitet würden.
»Türken umlegen« als »reines Sauflied«?
Den dritten Verhandlungstag dominierte ein Streit über eine sehr schwer verständliche Aufnahme von einem Konzert im Jahr 1995. Das Amtsgericht war überzeugt, dass die Band Boots Brothers von »N**** [Schwarze] und die Türken umlegen« singt. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sagte, sie sei sicher, dass das zutrifft. Darin sehe sie aber keinen Aufruf zu »noch mehr Gewaltpotential« Schließlich sei es nicht naheliegend, dass sich »Schwarzafrikaner« auf solchen Konzerten aufhielten, »die man dann wirklich umbringen kann«.
Der Angeklagte und sein Verteidiger sind der Meinung, es sei ein »reines Sauflied […] irgendwas mit Leber und Delirium«. Der Angeklagte legte am Dienstag eine selbstgebrannte CD mit dem fraglichen Lied vor. »Einsiedler hat sich die Mühe gemacht, das in einem Tonstudie digital runtersteuern zu lassen«, erklärte Heinig dem Gericht.
Obwohl unklar ist, ob es sich dabei überhaupt um die selbe Aufnahme handelt, ließ das Gericht sich zwar überreden, den Tonträger anzuhören. Aber überzeugen, dass es nur um ein harmloses Trinklied gehe, ließ es sich selbst nach mehr als einem halben Dutzend Durchläufen nicht. Nach Informationen von Allgäu ⇏ rechtsaußen dürfte der angebliche Neonazi-Aussteiger Jan Greve die Aufnahme zur Verfügung gestellt haben.
Zentrales Liedgut der nationalsozialistischen Terrorherrschaft
Teilweise erscheint die Argumentation im Plädoyer der Staatsanwaltschaft inkonsistent. Während das Lied Ein junges Volk steht auf der Band Hauptkampflinie strafbar sei, weil es »natürlich Symbolcharakter« habe und klar zur »Identifikation mit der Hitlerjugend« diene, revidiert die Anklagebehörde nun ihre Ansicht, dass die Verwendung der »wesentlichen Textzeile« aus dem sogenannten Horst-Wessel-Lied durch die Band Blitzkrieg zu bestrafen sei. Beide Titel gehören zum zentralen Liedgut der nationalsozialistischen Terrorherrschaft.
Zu einem Lied in dem es heißt, »wir bleiben Joseph Goebbels treu« befand das Amtsgericht Memmingen seinerzeit noch im Einklang mit der Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass es die Würde der Opfer des Nationalsozialismus verletze. Goebbels war Reichspropagandaminister und einer der engsten Vertrauten Adolf Hitlers. Der Ex-Rechtsrocker Heinig will es als »Parodie« verstanden wissen und meint, das sei »alles nicht besonders ernst zu nehmen« und »was soll so ein relativ fragwürdiges Liedchen die Opfer verletzen.« Das sieht auch die Staatsanwaltschaft inzwischen so.
Der vorsitzende Richter am Landgericht Memmingen will das Urteil am Donnerstag, den 24. Mai, um 9:30 in öffentlicher Hauptverhandlung verkünden.
2 Gedanken zu „Freispruch für Neonazi-Plattenproduzenten gefordert“