Ein Ehepaar muss sich nach einem Übergriff auf Asylsuchende vor Gericht verantworten. Das will ein ausländerfeindliches Motiv nicht eindeutig erkennen. Experten aber warnen davor, rassistische Gewalt zu leichtfertig auszuschließen.
»Eigentlich«, schreibt die Allgäuer Zeitung (AZ) am Freitag über eine Gerichtsverhandlung am 10. April 2018, »wollte ein Ehepaar im Oktober 2017 nur zum Marktoberdorfer Wertstoffhof fahren. Warum die Frau dann unterwegs aus dem Beifahrer-Fenster heraus drei junge Asylbewerber beleidigte und ihr Mann kurz darauf auch noch gegen einen der Flüchtlinge handgreiflich wurde«, habe sich jetzt vor dem Amtsgericht Kaufbeuren nicht klären lassen. Ein ausländerfeindlicher Hintergrund »erschien nach Aktenlage nicht ausgeschlossen«, heißt es in der AZ.
Flüchtlinge als »Scheiß-Ausländer« beschimpft
Die Betroffenen hätten bei der Polizei angegeben, dass die 24-jährige Frau sie als »Scheiß-Ausländer« beschimpft und ihnen den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt habe. Als das Auto wenig später zurück kam, seien erneut Beleidigungen gefallen. Dann habe der Fahrer gestoppt und einem 17-Jährigen erst auf den Hinterkopf und dann aufs Auge geschlagen.
Wie eine Sprecherin des Amtsgerichts Kaufbeuren auf Anfrage bestätigte, geschah die Tat am 2. Oktober 2017. Das Gericht hatte zunächst Strafbefehle verhängt. Diese sahen laut Allgäuer Zeitung eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 40 Euro wegen vorsätzlicher Körperverletzung für den Mann vor. Für die Frau wurden halb so viele Tagessätze festgelegt. Das wollten die beiden nicht akzeptieren und legten Einspruch ein. Deshalb mussten sie sich am Dienstag für die Tat vor Gericht verantworten.
»Vielleicht war’s einfach ein schlechter Tag«
Zum Auftakt des Prozesses habe die Angeklagte dem Zeitungsartikel nach erklärt, damals im Vorbeifahren zwar »ein bisschen grimmig geguckt«, die Flüchtlinge aber nicht beleidigt zu haben. Auf die Frage von Richterin Hondl nach einem Grund für das grimmige Gucken habe die 24-jährige geantwortet: »Ich weiß es nicht. Vielleicht war’s einfach ein schlechter Tag.«
Zugegeben habe sie allerdings, den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt zu haben. Mit der Behauptung, dass sei in Reaktion auf einen Tritt der Asylsuchenden gegen die Autotüre geschehen, verwickelte die Angeklagte sich allerdings in Widersprüche, so die AZ.
Kein ausländerfeindliches Motiv?
Dennoch scheint das Motiv für das Gericht nicht geklärt: »Sollte ich zum Ergebnis kommen, dass das Ganze auch noch ausländerfeindlich motiviert ist, dann haben Sie ein Riesenproblem«, zitiert die Zeitung Amtsrichterin Hondl.
Angesichts der drohenden Verurteilung zogen die Angeklagten ihre Einwände gegen die Strafbefehle zurück. Das Urteil hätte schärfer ausfallen können als die im Strafbefehl festgesetzten Geldstrafen. Die Frau beschränkte ihren Einspruch auf die Höhe der Tagessätze, die wegen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse auf 20 Euro halbiert wurde. Damit ist sie rechtskräftig zur Zahlung von 800 Euro verurteilt, für ihren Mann bleibt es bei 3200 Euro.
Betroffene ernst nehmen
»Bei Angriffen bei denen der Verdacht auf einen rassistischen Hintergrund besteht, sollten die Gerichte den Betroffenen zuhören und ihre Sicht anerkennen«, erklärte Damian Groten von BEFORE gegenüber Allgäu ⇏ rechtsaußen. Die Stelle berät Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt und Diskriminierung in München.
Eine Beschimpfung wie »Scheiß-Ausländer« sei laut Groten ein »eindeutiger Hinweis auf eine rassistische Motivation«. »Dass die Perspektive von Menschen, die auf offener Straße rassistisch beleidigt und körperlich angegriffen werden, vor Gericht so wenig berücksichtigt wird, ist nicht verständlich. Für den Umgang der Betroffenen mit rechten und rassistischen Angriffen aber auch für die gerichtliche Aufklärung, müssen diese Menschen ernst genommen werden.«
»Taten objektiv und mit dem gebotenen Sachverstand beurteilen«
Herr Huber berät und unterstützt Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt bei der für ganz Bayern zuständigen Beratungsstelle B.U.D. Huber warnt davor, ein rassistisches Tatmotiv zu leichtfertig auszuschließen. In dem am Kaufbeurer Amtsgericht verhandelten Fall dränge sich »die Frage auf, wie eine Tat ablaufen muss, damit sie als ausländerfeindlich eingeordnet wird. Leider sind solche Schilderungen kein Einzelfall. Eine Entwicklung, bei der Täter sich selbst einer menschenverachtenden Einstellung bezichtigen müssen, damit diese auch entsprechend ›gewürdigt‹ wird, ist nur als beängstigend zu bezeichnen.«
Gerade vor dem Hintergrund von Vorfällen der vergangenen Jahre wie den Taten des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) oder dem OEZ-Attentat, mahnt Huber, »sollten wir eigentlich weiter sein und nicht auf diese Bezichtigung warten müssen, sondern Taten objektiv und mit dem gebotenen Sachverstand beurteilen.« Bei diesen spektakulären Fällen rassistisch motivierter Gewalt dauerte es lange, bis Behörden die rassistische Tatmotivation erkannten.
Auch im Allgäu gibt es umstrittene Todesfälle. In Memmingen fordert eine Initiative am Wochenende zum wiederholten Male mit einer Demonstration die offizielle Anerkennung von Peter Siebert als Opfer rechtsradikaler Gewalt. Vor zehn Jahren wurde Siebert von einem Neonazi mit einem Bajonett erstochen. Vor fünf Jahren schlug ein Thüringer auf dem Tänzelfest in Kaufbeuren nach rassistischen Pöbeleien so fest auf Konstantin M. ein, dass der aus Kasachstan stammende Familienvater verstarb. Recherchen ergaben eine Nähe zur Neonaziszene. Die beiden Toten werden von den Behörden bislang nicht als Opfer rechter oder rassistischer Gewalt betrachtet.
(Aktenzeichen: 2 Cs 123 Js 766/18, Titelbild: violence by alainalele, bestimmte Rechte vorbehalten)
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