Antisemitische »Medizin« im Felderwirt in Unterthingau

Heute soll im Felderwirt in Unterthingau die lebensgefährliche sogenannte Germanische Neue Medizin des Verschwörungsideolgen Ryke Hamer propagiert werden. Von seinen antisemitischen Thesen wollen Wirt und Veranstalter aber nichts wissen.

»Eine Krankheit entsteht immer nur in unserer Emotionalen Ebene«, Menschen können »keine einzige Krankheit von Außen in Form von Ansteckungen bekommen« und: »Krebs ist eine Krankheit der Seele«. Solche und ähnliche Thesen verbreiten der selbsternannte »Gesundheitsberater« Andreas Baumeister und »Medium« Marion Baumeister auf ihrer Website.. Natürlich dürfen auch krude Thesen zu Corona und Impfung nicht fehlen. Am Freitag und Samstag wollen die beiden ihre sogenannte »Neue Medizin« als Gegenentwurf zur »Schulmedizin« im Gasthof Felderwirt in Unterthingau vorstellen. Das geht aus Allgäu rechtsaußen zugespielten Informationen hervor.

Auf Nachfrage bestätigt der Gasthof Felderwirt den Vortrag am Freitag und das Seminar am Samstag. Man wisse nicht genau, was es damit auf sich hat, möchte sich aber auch nicht weiter dazu äußern und verweist auf die Veranstalterin Petra Eibeler. Die Obergünzburgerin dagegen weiß worum es dabei geht und räumt ein, dass Baumeister’s »Neue Medizin« auf der Pseudo-Heilkunde Germanische Neue Medizin des einstigen Arztes und antisemitischem Verschwörungsideologen Ryke Geerd Hamer beruht. Diesen habe Eibeler sogar persönlich gekannt und ihn mehrfach in Spanien besucht, als dieser noch lebte.

Germanische Neue Medizin versteht Krebs als »sinnvolles biologisches Sonderprogramm«

Hamer propagierte seit 1981 die von ihm erfundene Germanische Neue Medizin (GNM), die ihm sein verstorbener Sohn mehrfach in seinen Träumen bestätigt haben soll. Hamer zufolge sei der Auslöser einer jeden »sogenannten Krankheit« immer ein »Biologischer Konflikt«, ein Schockerlebnis, das Hamer als DHS (Dirk-Hamer-Syndrom) bezeichnete. Namensgebend war Hamers eigener Schock nach dem Unfalltod seines Sohnes Dirk, in dem Hamer den Grund für seinen späteren Hodenkrebs sah. Krebs-Erkrankungen seien in Wahrheit »sinnvolle biologische Sonderprogramme« und an sich bereits ein Teil eines natürlichen Heilungsprozesses.

Heilungsversprechen, die von Hamer und seinen Anhänger*innen für bis zu 95 Prozent der Fälle von »sogenannten Krebserkrankungen« gemacht wurden, haben dazu geführt, dass beeinflusste Krebspatient*innen und deren Angehörige fest an die Germanische Neue Medizin glaubten und Behandlungen im Rahmen der konventionellen Medizin zum Teil kategorisch ablehnten. Hamer gehörte auch zu den AIDS-Leugnern. Für ihn war AIDS eine Allergie gegen Smegma, daher seien, so Hamer, nur Nichtjuden davon betroffen, denn Juden seien durch die Beschneidung dagegen gefeit.Karies war nach Hamers Theorien ein Konflikt des »Nicht-zubeißen-Könnens«, der entstehe, weil Schulkinder von ausländischen Mitschüler*innen eingeschüchtert würden, und Diabetes bei linkshändigen Frauen das Ergebnis eines Sexualkonflikts.

Tödliche Germanische Neue Medizin


Europaweites Aufsehen in den Medien erregte Hamer 1995 mit dem Fall der damals sechsjährigen Olivia Pilhar, bei der noch im Frühstadium ein Wilms-Tumor diagnostiziert wurde, der – richtige Behandlung vorausgesetzt – bei 90 Prozent der Betroffenen auch langfristig heilbar ist. Bei Olivia sahen Ärzt*innen eine Heilungschance von 95 Prozent. Hamer machte den Eltern des Mädchens Hoffnung auf Heilung durch seine sogenannte GNM. Die Eltern verweigerten deshalb die Behandlung mittels Chemotherapie und Operation, worauf ihnen das Sorgerecht entzogen wurde. Um dem Zugriff durch das Gericht zu entgehen, verbrachten sie ihre Tochter nach Málaga. Erst nach 72 Tagen kehrten sie nach Österreich zurück, Olivias Überlebenswahrscheinlichkeit war auf 10 Prozent gesunken. Dennoch konnte sie behandelt werden und überlebte. Olivias Vater Helmut Pilhar vermarktet mittlerweile die GNM hauptberuflich. Auf seiner Webseite leugnet auch er die Existenz des Coronavirus.

Weniger glimpflich ging der Kontakt mit Hamers Thesen 2009 für eine Zwölfjährige aus Altusried im Oberallgäu aus, als die Eltern eine weitere Chemotherapie ihrer Tochter ablehnten und sich an Hamer wandten. Durch die Verzögerung der Therapie metastasierte der zunächst begrenzte Krebs. Hamer bestritt das Vorhandensein von Metastasen und stellte noch am 8. November 2009 in einem »Abschlussgutachten« fest, das Kind sei »quasi gesund«, er könne »wirklich keinen Grund finden, woran das Mädchen sterben könnte«. Sechs Wochen später verstarb das Mädchen. Hamer spann darauf das Verschwörungsmärchen, es sei nicht auszuschließen, dass das Mädchen sowie ein weiterer verstorbener Patient in seiner Behandlung »unbemerkt einen Chip implantiert bekommen hatten, sodass man sie beide punktgenau ausknipsen konnte.«

Im gleichen Jahr verstarb ein an Diabetes erkranktes vierjähriges Mädchen, dessen in den Neonazi-Organisationen Artgemeisnchaft und Wiking-Jugend sozialisierte Eltern auf Hamers Lehren vertrauend eine medizinische Behandlung ihrer Tochter verhinderten. Unter der Obhut ihrer Eltern soll Sighild B. stundenlang gelitten haben. Hamers wirken führte vielfach zu Strafverfolgung, der er sich teils durch Flucht nach Norwegen entzog. Bereits 1986 wurde ihm in Deutschland die Approbation entzogen. Allein bis zum Jahr 1995 untersuchten Behörden in Deutschland und Österreich über 80 Todesfälle von durch Hamer behandelten Patient*innen.

Antisemitische Weltverschwörung, Reichsbürger-Thesen und Holocaust-Leugnung

Überdies war Hamer offener Antisemit und Verschwörungsideologe. Selbst sah er sich durch Kräfte verfolgt, die er als »jüdische Schulmedizin« bezeichnete – ein Begriff den bereits die Nazis für ihre antisemitische Propaganda gebrauchten. Er behauptete, »jüdische Logen« beeinflussten Professoren, Journalisten und Juristen, um eine »beispiellose Erkenntnisunterdrückungskampagne« gegen Hamers GNM durchzusetzen. Bei dieser Kampagne handele es sich um »den wahnsinnigen Kampf der Talmud-Zionisten, alle Nichtjuden umbringen zu wollen«. Zu Hamers antisemitischen Verschwörungskanon gehörte auch seine Behauptung, die allermeisten Onkologen in Deutschland seien Juden und »in Deutschland kriegt kein Jude Chemo«. Durch die Kanülen bei der Chemotherapie würden »Chips« eingepflanzt, die mit »Giftkammern« versehen seien, die per Satellit ausgelöst werden können, um Patienten gezielt zu töten. Freilich war Hamer auch Impfgegner.

In Anlehnung an die den in der Reichsbürgerszene beliebten Verschwörungsglauben hielt Hamer die Bundesrepublik Deutschland für ein »alliiertes Besatzungsgebiet«, das keine gültige Verfassung oder Justiz habe. Die Gerichte seien »Firmen«, deren Besitzer »Logenmeister« seien, die stets Juden sein müssten. 2006 äußerte er seine Bereitschaft, als Reichspräsident eines zukünftigen Deutschen Reichs zu kandidieren, und stellte 2009 einen Verfassungsentwurf für einen neuen Staat Germanien vor. 2006 sagte Hamer in einem Interview: »Ich glaube noch nicht einmal an den Holocaust, jedenfalls nicht in der Weise, wie er uns erzählt wird. Ich glaube auch nicht, dass der Mensch auf dem Mond war, und viel schlimmer, dass die Twin Towers durch Araber zum Einsturz gebracht wurden, aber daran glaubt ja nun fast niemand mehr.«

»Er meinte damit ja immer nur bestimmte Juden.«

Mit alledem will Petra Eibeler nichts zu tun haben, wie sie auf Anfrage erklärt. Sie sehe nur eine »große Menschheitsfamilie« – egal ob Juden oder nicht. Mit dem Antisemitismus will sie sich trotz des persönlichen Kennverhältnisses und mehrerer Treffen mit Hamer »nicht beschäftigt« haben. Nur soviel: »Er meinte damit ja immer nur bestimmte Juden.« Mit ihrer Veranstaltung mit den Baumeisters, die sich auf ihrer Website ebenfalls ausdrücklich auf die Thesen Hamers beziehen, wolle sie »nur die Neue Medizin vorstellen« und zur Diskussion anregen. Denn ihr habe die Germanische Neue Medizin geholfen und das habe sie von vielen anderen bestätigt bekommen. Schließlich seien Krankheiten eine »rein Geistige Sache«. Von der »Schulmedizin« indes habe sie »viel schlechtes« gehört.


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