Am Gedenktag zur Befreiung der Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau wurde in Kempten mittels eines Gedenkmarsches der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.
Am 27. Januar fanden in Kempten seit vielen Jahren Kundgebungen an einschlägigen Gedenkorten statt. Aus Anlass des von dem ehemaligen Bundespräsidenten Herzog initiierten und seit 1996 gesetzlich verankerten Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus, sowie des von den Vereinten Nationen im Jahr 2005 proklamierten, inhaltlich enger gefassten, Holocaust-Gedenktags. Beides nimmt Bezug auf die Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee.
In der Vergangenheit war das Gedenken regelmäßig eine Veranstaltung der Initiative Stolpersteine Kempten und Umgebung und der Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG). In diesem Jahr zeichneten als verantwortlich erstmalig ebenfalls die Stolpersteininitiative, sowie die im Aufbau begriffene Regionalgruppe Allgäu der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA). Das führte zu neuen Formen und Qualitäten des Gedenkens.
Statt an einem Ort (zumeist am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Friedensplatz, das seinerzeit von einer Schulklasse gestaltet wurde) wurde diesmal ein Schweigemarsch zu verschiedenen Gedenkorten konzipiert. An jeder Stelle wurde durch Referenten die Eigenheit des jeweiligen Ermordeten herausgearbeitet. Als Referenten konnten dieses Jahr außergewöhnlich »hochkarätige« Persönlichkeiten gewonnen werden. Siehe im Einzelnen in der Folge.
Beginnend an den drei Stolpersteinen für die Familie Kohn (vor dem heutigen Kaufhaus Reischmann) zeichnete für die Stolpersteininitiative Johann-Georg Gauter, ehemaliger Pastor und Friedensaktivist in Berlin, deren Leidensweg nach. Er wies auch darauf hin, dass der Antisemitismus und die Ausgrenzung der Juden sehr viel weiter zurückreicht, als bis 1933. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurden in Kempten Juden drangsaliert.
Nicht weit ging es zu dem Stolperstein für Max Schwer. Der 1884 geborene wurde in die »Nervenanstalt Kaufbeuren« eingewiesen und von dort im Rahmen der berüchtigten Aktion T4 in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht und dort ermordet. Sein Lebensweg wurde von der Linken-Bundesagsabgeordneten Susanne Ferschl aus Kaufbeuren nachgezeichnet. Sie betonte auch die nach wie vor bestehende Aktualität des Schwurs von Buchenwald.
Nächste Station war der Stolperstein für Andor Akos, der als renommierter und stadtbildprägender Architekt in Kempten und bayrisch Schwaben zwischen den beiden Weltkriegen wirkte. Erna-Kathrein Groll, die für die Grünen im Kemptener Stadtrat sitzt und der der Katholischen Arbeitnehmerbewegung in Bayern (KAB) vorsitzt, schilderte Akos‘ Verhängnis: gebürtiger Ungar und Hauptmann der österreichischen k.u.k Armee im Ersten Weltkrieg. Er meldete sich zu Kriegsbeginn freiwillig zur Reichswehr. Nun war er aber zwischen Katholizismus und Judentum hin- und herkonvertiert und erhielt behördlicherseits brieflich die Aufforderung, im Interesse keines großen Aufhebens und zum Schutz seiner Familie die in sein Wiener Hotelzimmer gelegte Pistole zu benutzen. Das tat er denn auch.
Vorletzte Station waren dann vor dem Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus die beiden Stolpersteine für die polnischen Zwangsarbeiter Boreslaw Baran (geb. 1916) und Josef Chalupka (geb. 1926). Dort erläuterte die SPD-Landtagsabgeordnete Ilona Deckwerth aus Füssen deren tragisches Ende. Sie wurden verdächtigt, Feindsender abgehört zu haben, wurden ohne weiteres rechtliches Verfahren in Waldstücken bei Kempten erhängt. Mehrere hundert KZ-Häftlinge aus dem Dachauer Außenlager Kempten/Kottern und Zwangsarbeiter mussten zur Abschreckung der Erhängung zusehen. Auch Ilona Deckwerth schloß mit der Aufforderung des Schwurs von Buchenwald: Nie wieder!
Abschließend zogen die ca. 40 Aktionsteilnehmer (darunter auch die dritte Bürgermeisterin von Kempten, Sibylle Knott – Freie Wähler) zu dem 25 Meter entfernten Gedenkstein der Jüdischen Kultusgemeinde Bayerns an die Deportation der Kemptener Juden 1942 über München nach Piaski. Ein jüdisches Gebet, vorgetragen von Ibo Gauter (Stolpersteininitiative) beendete den Schweigemarsch.
Ursprünglich geplant war der weitere Gang zu dem Stolperstein und der Gedenktafel für den Gewerkschafter, Arbeitslosenausschussvorsitzenden und Kommunisten Willy Wirthgen. Im letzten Moment wurde das von einigen Veranstaltern als zu weit erachtet. Nichtsdestotrotz begab sich die dort vorgesehene Referentin, IG-Metall-Aktive und Hausbewohnerin der Örtlichkeit, Christiane Jansen, zum Mahnmal der Opfer des Nationalsozialismus, um dort ihre kurze Rede vorzutragen. Am Lebensweg von Willy Wirthgen arbeitete sie heraus, was Standhaftigkeit und Mut für das Einstehen seiner Überzeugungen bedeutet und dass das auch heutzutage durchaus seine Notwendigkeit hat. Konnte sie doch jüngst feststellen, dass in einem Gewerkschaftslehrgang jemand völlig unbehelligt ein Nazi-T-Shirt tragen konnte.
Ein Gedanke zu „Auschwitz-Gedenken in Kempten“