Am 17. Januar 2022 beteiligen sich über 1000 Personen an einem sogenannten »Corona-Spaziergang«. Doch es gibt auch Protest.

In Mindelheim regt sich Widerstand gegen Pandemieleugner*innen

In Mindelheim werden die sogenannten »Montagsspaziergänge« immer größer. Doch trotz behördlicher Schikane regt sich nun auch Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Im Folgenden dokumentieren wir Beobachtungen eines Heimaturlaubenden bei den sogenannten Montagsspaziergängen in Mindelheim.

Beim Besuch meiner Eltern habe ich die letzten Wochen verfolgen können, was sich hier in Bezug auf maßnahmenkritische Veranstaltungen so abgespielt hat und möchte dies festhalten – auch weil ich außer in der Lokalpresse bisher keine Berichterstattung dazu gesehen habe. Seit einigen Wochen finden hier sogenannte Spaziergänge statt. Aufgerufen wird dazu unter anderem auf Telegram, aber auch Facebook-Gruppen scheinen bei der Mobilisierung eine Rolle zu spielen. Zunächst wollte sich niemand offiziell als Initiator*in bekennen.

AfD und dieBasis involviert?

In der Lokalpresse (Mindelheimer Zeitung) wird allerdings berichtet, Mitglieder der AfD könnten hinter Flyer-Aktionen stecken, die zu den Versammlungen einladen. Der Eindruck, dass diese Partei oder auch die Partei dieBasis jedoch von Anfang an mitinitiiert haben könnten, wird bewusst vermieden. Schließlich will man sich nicht mit nachweislich Rechtsradikalen einlassen, sondern möglichst bürgerlich erscheinen. Dennoch gleichen die Aussagen bei Telegram und den Demos beispielsweise Texten auf Websites von AfD und Basis in Stil und Aussage.

Zunächst blieben die »Spaziergänge« unangemeldet und still. Es sollte nicht der Eindruck erweckt werden, es handle sich um eine Demonstration. Trotz (oder wegen?) der Inhaltslosigkeit wuchs die Teilnehmendenzahl von Woche zu Woche. Mit Kindern und Grabkerzen wurde gegen alles was mit Corona zu tun hat, marschiert. Am 10. Januar konnte ich gut 600 Teilnehmende zählen. Da es keine Allgemeinverfügung gibt, werden die Aufzüge geduldet, die Polizei übernimmt die Versammlungsleitung. Es gilt keine Maskenpflicht. Mindestabstände von 1,5m sind in engen mittelalterlichen Gassen schwer einzuhalten.

Die Polizei war den »Spazierenden« gegenüber überaus kooperativ bis zuvorkommend. Als vereinzelt dann doch Abstände kontrolliert wurden, gab es Gezeter. Auch in der Opferrolle gleicht der »Spaziergang« also AfD-Gebaren. Interessant auch: Viele Teilnehmende scheinen weit anzureisen, nachdem in München oder Landsberg gegen Demos vorgegangen wurde. Die Anmelderin der Demo kommt aus Sontheim, andere werden als aus Ravensburg kommend identifiziert.

Widerstand aus der Zivilgesellschaft

Am 17. Januar 2022 beteiligen sich über 1000 Personen an einem sogenannten »Corona-Spaziergang«. Doch es gibt auch Protest.
Am 17. Januar 2022 beteiligen sich über 1000 Personen an einem sogenannten »Corona-Spaziergang«. Doch es gibt auch Protest.

Im Laufe der Woche nach dem »Spaziergang« am 10. Januar bildet sich Widerstand in der Zivilgesellschaft. Eine überparteiliche Gegendemo wird angezeigt, die dem Schwurbel zeitlich und örtlich den Raum nehmen will, an dem sie sich treffen – den Marienplatz. Doch dann passiert etwas Außergewöhnliches. Der Landrat Alexander Eder (Freie Wähler) und die Polizei machen sich beide daran, für die bisher unangemeldeten Spaziergänge Anmelder*innen zu finden. Dies gelingt mit dem Resultat, dass die zuerst angemeldete Gegendemo erst zwei Stunden nach dem Montagsspaziergang, auf den sie sich bezieht, stattfinden darf. Man wolle Konfrontation vermeiden, lautet es von der Polizei.

Schwurblerei aus der ganzen Region darf also widerspruchslos durch die Stadt ziehen und sich so wie die Mehrheit vorkommen. Ein fatales Signal und Skandal. Es wird durch diese Praxis deutlich, dass der Landrat dieses Publikum willkommen heißt.

»Spaziergänge« ohne Mitgefühl, Masken und Abstand

Am 17. Januar kommen noch einmal deutlich mehr Menschen als in der Woche zuvor. Wieder keine Masken, ein paar mehr Abstände, immerhin. Diesmal werden Reden gehalten, da die Veranstaltung jetzt als Demo angemeldet ist. Es wird sich distanziert von rechts und von Wissenschaftsfeindlichkeit, nur um dann ein paar Sätze später zu sagen, dass die Impfentscheidung Bauchsache sei. Bezug auf andere Orte, wo nachgewiesenermaßen rechte Strukturen die Demos anführen, wird bewusst nicht genommen. Man sei auch nicht esoterisch, trotzdem ist jedes dritte Wort in der Rede »Liebe«.

Wo das Mitgefühl mit Risikogruppen bleibt, erschließt sich mir beim Zuhören nicht. Man solle sich gar die Masken abreißen und wieder menschlich sein. Dass Masken dem Schutz anderer dienen, ist hier kein Thema. Insgesamt entsteht der Eindruck: hier sind viele Menschen das erste Mal politisch aktiv. Sonst scheinen viele keine Sorgen im Leben zu haben, aber sie sehen nun ihre körperliche Selbstbestimmung bedroht. Was mit der körperlichen Selbstbestimmung anderer ist, die sich selbst seit zwei Jahren isolieren müssen ist hingegen weniger wichtig.

Die Gegendemo ist dann trotz der späten Uhrzeit, der behördlichen Schikanen und für das erste Mal ordentlich besucht. Etwa 250 Leute kommen mit Masken und Abstand. Ein paar übrig gebliebene Schwurbler*innen rufen dazwischen und blöken wie Schafe, um kundzutun, wir seien »Systemlinge«.

Widersprechen und Strukturen der Panemieleugner*innen ausleuchten

Es tut gut, unter anderen verantwortungsbewussten Menschen zu sein. Für die Zukunft heißt es Druck machen: Die Pandemieleugner*innen müssen Widerrede bekommen und sollten nicht mit ihrem Egotrip durchkommen.

Abschließend noch eine Lehre für Gegendemonstrationen deutschlandweit: es wird nicht reichen, alle Montagsdemos pauschal als rechts zu bezeichnen. Es bedarf bei diesem bürgerlichen Anstrich lokaler Recherchearbeit und stichhaltiger Argumente. Deswegen – wenn ihr könnt – unterstützt Allgäu rechtsaußen oder versucht selbst die Verbindungen zwischen Rechten, Esoterik und den Montagsdemos aufzuzeigen. Der Vorteil auf dem Land ist ja: Jede*r kennt über Ecken jede*n und es müsste zu erarbeiten sein, welche Strukturen hier wirken. Kommt zusammen, trefft euch auf Gegendemonstrationen und lasst nicht zu, dass die Maßnahmenkritiker*innen die einzigen sind, die der Vereinzelung durch die Pandemie (scheinbar) entgegenwirken. (jo)


Hilfe: Du hast selbst einen Übergriff erlebt?

Dann kannst du Hilfe bei B.U.D. Bayern bekommen. Das ist eine unabhängige Beratungsstelle für Betroffene von rechten, rassistischen und antisemitischen Übergriffen.

Zeug_innen können sich an B.U.D. Bayern wenden, dann wird der Vorfall registriert und Betroffenen geholfen – wenn sie das wollen.

Wenn du in Baden-Württemberg bist, ist dieLeuchtlinie für dich da.

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