Memminger applaudieren Umsturzphantasien

Bis zu 1000 Personen wollten Querdenker_innen am Sonntag in Memmingen auf die Straße bringen. Gekommen ist nur etwa die Hälfte. Darunter auch Voice of Anger und Holocaust-Relativierer.

Ab 15 Uhr versammelten sich die in der Spitze bis zu 550 Gegner_innen der Corona-Maßnahmen auf dem Parkplatz des BBZ in Memmingen. Darunter auch Holocaust-Relativierer und der Anhänger der örtlichen Neonazikameradschaft Voice of Anger, Marc T. Zunächst verzögerte das verspätete Eintreffen der Redner den Beginn der Veranstaltung. Daraufhin verzögerten laute offenbar zuvor von Unbekannten auf Parkplatzlaternen montierte Sirenen den Start der Redebeiträge.

Gegen die gefährlichen von Querdenken vorangetriebenen »Verschwörungsideologien und Vernetzungen von verschiedenen rechten Strömungen« demonstrierten bis zu 150 Personen ebenfalls auf dem Parkplatz des BBZ. Sie seien gegen die Corona-Verharmloser und -Leugner und setzten »gemeinsam ein Zeichen für eine solidarische Corona-Bekämpfung«, wie es in einem Bericht heißt. Bis zu 50 Querdenken-Gegner_innen hielten zuvor eine Fahrrad-Demonstration durch die Innenstadt ab.

»Judensterne in verschiedenen Farben ausgeben«

»Ungeimpft«: Dieses  Schild trugen zwei Teilnehmende des Querdenken-»Lichtermarsches« am 7. März 2021 in Memmingen. Es ist dem sogenannten »Judenstern« nachgeahmt, mit dem die Nazis als solche geltenden Menschen markierten.
»Ungeimpft«: Dieses Schild trugen zwei Teilnehmende des Querdenken-»Lichtermarsches« am 7. März 2021 in Memmingen. Es ist dem sogenannten »Judenstern« nachgeahmt, mit dem die Nazis als solche geltenden Menschen markierten.

Erst nachdem der städtische Bauhof gegen 16 Uhr mit Leitern anrückte und die Sirenen entfernte, konnte die Kundgebung mit der Verlesung der Auflagen beginnen. So sei es etwa verboten, Davidsterne zu tragen, um so den Holocaust zu relativieren. Beim Publikum kam das nicht gut an, wie laute »Buuuh«-Rufe verdeutlichten. Dennoch mussten mindestens zwei Personen einen gelben Stern mit der Inschrift »ungeimpft« ablegen.

Als logistische Maßnahme im Rahmen des Holocaust markierten die Nationalsozialisten als Juden geltende Menschen mit dem abgesehen von der Aufschrift »Jude« identischen Zeichen. Unter Querdenker_innen ist die Ansicht verbreitet, mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie würde eine neue mit dem nationalsozialistischen Regime vergleichbare Diktatur eingeführt. Wer das kritisiere, würde gleichermaßen verfolgt wie Juden im Dritten Reich.

Entsprechend kommentierte das auch Marc André, der die Veranstaltung Live ins Internet übertrug: »Bald können wir Judensterne in verschiedenen Farben ausgeben«. Damit spielte er darauf an, dass Teilnehmenden verschiedene farblich markierte Bereiche zugewiesen wurden, in denen sie sich aufzuhalten hatten. Was lediglich eine mögliche Ansteckung auf einen Teil der Protestierenden begrenzen soll, halten Teilnehmende der Querdenken-Versammlung offenbar für vergleichbar mit der industriellen Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas.

»Kriegsrecht« in vermeintlicher Diktatur

Darauf erklärte Ex-Polizist Karl Hilz in einem Redebeitrag, man müsse »feststellen […] dass dieses Zentralkommitee 2.0« ein »diktatorisches System errichten« wolle und es beseitigen. Damit spielt Hilz auf die Bund-Länder-Konferenz an, in der sich Angela Merkel und die Ministerpräsident_innen auf die Ausgestaltung der Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung verständigen. »Also leistet diesen Verbrechern den erforderlichen Widerstand«, so Hilz weiter. Die Regierenden hätten »Kriegsrecht« ausgerufen, was »Hochverrat« sei. Diese »Verbrecher höchsten Grades« sollten »eingesperrt und vor Gericht gestellt« werden. Für all das erhält Hilz in Memmingen Jubel und Applaus. Bereits zuvor forderte er in Kempten die Polizei zum Putsch auf. Dieses Mal sprach er auch das Militär an.

Mehr zu diesem Thema:  Querdenken zwischen NS-Relativierung und Umsturzphantasien

Die Behauptung, Politiker_innen hätten »Kriegsrecht« gegen die Bevölkerung ausgerufen, wurde bereits wenige Tage zuvor in einer der regionalen Querdenken-Gruppen geteilt. Ein antisemitisches Pamphlet stellte dort die Behauptung auf, dass hinter der Pandemie ein Plan zum »Genozid an den Deutschen Völkern« stehe, der etwa mit den Impfungen umgesetzt werde. Das wolle man im »Partisanenkrieg« mit »standrechtlichen Erschießungen« beantworten. Das Schreiben zog keinen einzigen kritischen Kommentar nach sich.


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