Die »kleinen Herrgötter« der Nazis

Mit »Kleine Herrgötter« legt der Historiker Wolfgang Proske erstmals ein ausführliches Gebrauchslexikon als Grundstein für eine lokale und regionale NS-Täterforschung zu den Kreisleitern der Nazis in Bayern vor.

Kennen Sie Anton Brändle, Johann Vogel, Franz Joseph Sailer, Wilhelm Schwarz oder Konrad Kling? Das sollten Sie, findet Dr. Wolfgang Proske. Denn sie alle waren Kreisleiter der Nationalsozialisten im »Gau« Schwaben, die der Diplom-Wissenschaftler und ehemalige Lehrer erstmals beinahe vollständig in seinem jüngst erschienenen Buch »Kleine Herrgötter! Die Kreisleiter der Nazis in Bayern« aufführt.  Als verlängerter Arm ihres Führers und seiner Helfershelfer verfügten sie über die Macht, den Willen der Partei in der Region durchzusetzen. Dafür standen ihnen Dienststellen mit oft Dutzenden von Mitarbeiter_innen zur Verfügung, die in Konkurrenz zu staatlichen Behörden Zuständigkeiten an sich zogen. Sie setzten die NS-Ideologie im Lokalen und Regionalen durch. Ihre Bezeichnung als »kleine Herrgötter« geht auf Propagandaminister Goebbels zurück.

Allgemein galt: Wer sich mit seinem Kreisleiter – eine Kreisleiterin hat es nie gegeben – gut stellt, hat Vorteile; wer sich ihm aber verweigert oder gar in den Weg zu stellen versucht, riskiert viel. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – ist über die meisten Kreisleiter, ihren Hintergrund und ihr Umfeld bislang wenig bekannt. Das wird schon beim ersten Durchsehen des Bestandes schnell klar: »Man kennt vielleicht ihre Namen, die ein oder andere Anekdote«, schreibt Proske im Vorwort. Doch leider sei »das Leben und Wirken der allermeisten Kreisleiter in Bayern bis heute ›terra incognita‹.« (lat: »unbekanntes Land«) Oft seien selbst unter lokalen Archivar_innen nicht einmal mehr die Namen dieser Personen geläufig.

Täterforschung als »Impfung« gegen brandaktuelle Entwicklungen

Das dürfe so nicht bleiben, meint Proske. Immer wieder begegnet ihm der Einwand, man solle doch die Geschichte ruhen lassen, keine Menschen »hinhängen«, die sich nach ihrem Tod nicht mehr wehren könnten. Für Proske dagegen ist »klar warum man sich nach rund 80 Jahren all jener Zusammehänge erinnern muss, die von der vorhergehenden Generation weitgehend unter den Teppich gekehrt wurden.«  Denn die auch lokal verankerte Erinnerung an den Nationalsozialismus immunisiere »gegen dieses abstruse rechte Gedankengut«.

Essentiell dafür hält der Historiker die von ihm betriebene Täterforschung. Denn es müsse verstanden werden, wie eine ganze Nation dem Rassenwahn verfallen und die Welt mit Terror und Krieg überziehen und in ihrem Verschwörungswahn auch noch glauben konnte, etwas »Gutes« zu tun. Wie unverstanden das NS-Geschehen weiterhin sei und wie notwendig eine kompromisslose Aufklärung der Hintergrunde des historischen und aktuellen Rechtsradikalismus bleibe, zeige sich hochaktuell. Etwa, wenn heute notwendige Corona-Maßnahmen mit der Politik des NS-Regimes verglichen würden.

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»Das große Schweigen« brechen

Einen ersten wichtigen Schritt hin zu einer flächendeckenden Täterforschung in Bezug auf die Kreisleiter der Nazis in Bayern hat Wolfgang Proske mit der vorliegenden Veröffentlichung des Kugelberg Verlags getan. Als Gebrauchslexikon für die lokale und regionale NS-Forschung bietet das Buch nach den Gesichtspunkten Wer? Wann? Wo? einen grundlegenden Überblick. Auch dort, wo hinsichtlich der lokalen NS-Funktionäre »das große Schweigen« (Ralph Giordano) herrscht und sogar ihre Namen in Vergessenheit geraten sind.

Als Herausgeber der bislang erschienen ersten zehn Bände der Buchreihe »Täter Helfer Trittbrettfahrer« widmete sich Wolfgang Proske bislang den Biografien unzähliger NS-Belasteter aus Baden-Württemberg. Ab diesem Jahr wird die Reihe auf Bayern erweitert. Derzeit sind je eigene Bände zu Nord-Schwaben, dem Allgäu, der Oberpfalz und Niederbayern in Vorbereitung.

Wolfgang Proske:
Kleine Herrgötter!
Die Kreisleiter der Nazis in Bayern

Kugelberg Verlag, Gerstetten
1. Auflage 2021
81 Seiten

ISBN: 978-3-945893-19-7
Preis: 11,99 €


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