Gestern wurde einer Band der sich »unpolitisch« gebenden Plattenfirma Subcultural Records aus dem Allgäu wegen zu deutlicher Nähe zur extremen Rechten der Auftritt abgesagt. Bei unseren Recherchen stoßen wir immer wieder auf Grauzonen zwischen rechts und »unpolitisch«. Ein umfangreicher Bildugnsordner nähert sich einer Erklärung des Phänomens.
Von Igor Netz
Die anhaltenden gesellschaftlichen Rechtstendenzen finden in unterschiedlichen Bereichen ihren Niederschlag. Nicht zuletzt sind davon jugendliche Subkulturen betroffen. Das Phänomen von rechten jugendlichen Lebenswelten ist bei weitem nicht neu. Für die Bundesrepublik kann es ungefähr in die Zeit der Adaption der britischen Skinhead-Bewegung datiert werden. Die ersten Skinheads waren nicht unbedingt rechts. Die Mehrzahl begriff sich als unpolitisch oder als sogenannte Sharp-Skins (Skinheads Against Racial Prejudice). Vor allem das dem Skinhead-Kult immanente Bild von viriler Männlichkeit dürfte jedoch ein Andocken an rechtsgesinnte Inhalte erleichtert haben. Früh gründeten sich auch rechte Bands wie Endstufe (1981), Böhse Onkelz und Kraft durch Froide (1982), mit dem Schlagzeuger Andreas Pohl, der unter anderem in der neonazistischen Nationalistischen Front aktiv war). Auch der Fußball bietet mit Nationalismus, Männlichkeitskult und Homophobie sowie einer ausgeprägten Gruppenidentifikation unterschiedliche Angebote, die Brücken zu rechten Weltbildern sein können.
Das Team des Vereins Agentur für soziale Perspektiven (ASP) hat mit Grauzonen – Rechte (jugendliche) Lebenswelten in Musik und im Sport einen über 400 Seiten starken Ordner als methodisch-didaktische Handreichung herausgegeben, der eine Auseinandersetzung mit den Thematiken in unterschiedlichen Kontexten (schulisch und außerschulisch) ermöglicht. Die Herangehensweise der Autor_innen, die selbst als Antifaschist_innen aktiv sind, ist durch eigene Affinitäten zu Sport- und Musiksubkulturen geprägt. Ein Zugang, der in der vorliegenden Publikation für ein hohes Maß an Kompetenz spricht.
Der Ordner ist in vier Teile gegliedert.
Teil I bietet ausführliche thematische Einführungen zu Problemlagen, zentralen Bezugspunkten in rechten Lebenswelten und Ungleichheitsideologien sowie einen grundlegenden Text zum Verständnis von Lebenswelten, Ideologien und Mentalitäten. Dieses Kapitel ist identisch mit der ASP-Broschüre Grauzonen – Rechte jugendliche Lebenswelten in Musikkulturen.
Der zweite Teil versammelt Hintergrundtexte zu Musik, Musikkulturen und Musiker_innen sowie zu Sport (Fußball und Kampfsport). Die einzelnen Aufsätze bilden den erweiterten Wissensgrundstock. Im Musikteil gehen die Autor_innen grundsätzlich auf den gesellschaftlichen und individuellen Charakter von Musik, deren gemeinschaftsstiftenden Identifikationsangebote und Aspekte wie Musik als Träger von politischen oder kommerziell werbenden Botschaften ein. Die Darstellung unterschiedlicher Milieus (Deutschrock, Skinheads/Oi, (Deutsch-)Rap) umfasst einen Überblick zur jeweiligen Subkultur und deren Grenzbereiche zu extrem rechten Einflüssen. Diese werden beispielsweise deutlich anhand der Ästhetik der Band Rammstein, deren Bühneninszenierungen NS-Anklänge vorweisen. An anderer Stelle wird die Affinität des Soulsängers Xavier Naidoo zur Reichsbürgerbewegung und verschwörungsideologischen, teils antisemitischen, Welterklärungen kritisch ausgeleuchtet. Dieses Unterkapitel wird durch ein Glossar zu verschiedenen Bands abgerundet. Der folgende Teil zu Sport ist deutlich schmaler. Die Einführung setzt sich mit deutscher Fußballgeschichte und den Fanszenen auseinander. Im Glossar werden dann noch einmal detailliert die Unterschiede zwischen Hooligans, Ultras und «Kuttenfans« beschrieben. Auch verschiedene Kampfsportarten sind seit längerem ein Tummelfeld für Neonazis und andere extreme Rechte. Dabei sticht der Bereich der Mixed Martial Arts (MMA) hervor. Aufgrund von Aufklärungsarbeit wurde es hier für Rechte zunehmend schwieriger, an professionellen Veranstaltungen teilzunehmen, sodass die Szene dazu übergegangen ist, eigene Events, wie das Kampfsportturnier des Nationalen Widerstands, konspirativ zu organisieren.
In Teil III des Ordners finden die Nutzer_innen praktische Methodenanleitungen und ausgearbeitete Workshopkonzepte zu Musikkulturen und Fußball. Zu beiden Themenbereichen bieten die Autor_innen jeweils Vorlagen für einen Tages- und einen Zweitagesworkshop an. Neben der Beschäftigung mit Problemfeldern gibt es ein Unterkapitel zu Reaktionsmöglichkeiten und Handlungsstrategien. Anhand der Anleitungen können sich die Nutzer_innen auch mit ihnen unbekannten Übungen vertraut machen. Für die Publikation wurden teilweise bekannte Übungen wie Meinungsbarometer, Vier-Ecken-Methode oder Mind-Map inhaltlich adaptiert. Dadurch ist für erfahrene Pädagog_innen der Einstieg ausgesprochen leicht.
Der abschließende vierte Teil des Ordners ist der umfangreichste und beinhaltet neben weiteren vertiefenden Texten vor allem Materialien wie Power-Point-Manuskripte für Vorträge, Kopiervorlagen, Liedtexte etc. Dem Ordner ist ein USB-Stick beigelegt, auf dem sich die vorgefertigten Power-Point-Präsentationen, Videos, Fotos und Plakatvorlagen für Übungen befinden.
Da zunehmend Laptops oder Subnotebooks ohne DVD-Laufwerke genutzt werden, ist die Beigabe eines USB-Speichermediums zukunftsgerecht und ausgesprochen löblich. Sie fügt sich in den sehr guten Gesamteindruck des didaktischen Materials. Die Verknüpfung von Methodik und Didaktik ist durchweg schlüssig. Auch pädagogisch weniger erfahrene Nutzer_innen können sich durchaus gute Seminare erarbeiten. Für erfahrene Pädagog_innen und Lehrkräfte bietet der Ordner Grauzonen eine materialreiche Möglichkeit, sich mit dem Thema Jugendwelten und rechte Milieus auseinanderzusetzen. Der Materialteil bietet sich auch dazu an, eigene Seminarkonzepte zusammenzustellen und zu erproben. Eine informative Webseite zum Projekt rundet das gute Gesamtbild ab.
Die Agentur für soziale Perspektiven hat mit ihrer Publikation einen Bildungsordner herausgegeben, der hohen Maßstäben genügt. Eine entsprechende Verbreitung und ein vielfacher Einsatz des Materials ist dem Projekt daher zu wünschen.
Grauzonen – Rechte (jugendliche) Lebenswelten in Musik und im Sp ortkann bestellt werden bei der Agentur für soziale Perspektiven e.V. (ASP)
Diese Rezension erschien zuerst beim Münchner aida Archiv.