Die Strategie, knallharte Inhalte codiert zu präsentieren, geht auf: Wo etwa von »Erbgut« die Rede war, konnte das Landgericht Memmingen vergangene Woche einen Bezug auf »irgendeine Rassenlehre« nicht erkennen und sprach den Betreiber von Oldschool Records frei. Die Szene aber versteht. Die vom Angeklagten verbreitete Musik ist nach Auffassung der Staatsanwaltschaft gefährlich, weil sie zu gewalttätigen ausländerfeindlichen Ausschreitungen anstifte.
Anfang der 1990er Jahre lieferten RechtsRock-Bands den Soundtrack für die rassistisch motivierten Übergriffe in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen, die in tödliche Pogrome mündeten und die bundesdeutsche Asyldebatte nachhaltig befeuerten. Die Botschaften der illegalen, meist von Skandinavien und den USA aus vertriebenen RechtsRock-Alben radikalisierten sich und wurden in Folge dessen zur Zielscheibe der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Die Prüfstelle indizierte erstmals 1992 umfangreich RechtsRock-Tonträger.
Nazis im »sprachlichen Untergrund«
Im Laufe der Jahre, vor allem nach dem Verbot der deutschen Sektion des internationalen Neonazi-Netzwerks Blood&Honour im Jahr 2000, passten sich die meisten Bands den strafrechtlichen Richtlinien an, mäßigten ihre Wortwahl und verkauften ihre Alben auf dem offenen Markt. Die Indizierungen und Verbote erzeugten einen erheblichen »Evolutionsdruck« auf die RechtsRock-Szene, weshalb ein beträchtlicher Anteil der Szene gewissermaßen in den »sprachlichen Untergrund« ging. Deshalb werden die extrem rechten Botschaften in den Liedern heutzutage auf zweierlei Art vermittelt: Entweder werden sie mit brutalen, hasserfüllten Worten besungen oder sie werden geschickt umschrieben.
Ein recht eindrückliches Beispiel für die geschickte Verpackung extrem rechter Botschaften ist das 2012 veröffentlichte Lied Millionen der schwäbischen RechtsRock-Band Act of Violence (AoV), die von Oldschool Records produziert wird. Zwar wird auf einschlägige Codes verzichtet, dennoch kokettiert die Band mit der angeblichen »Auschwitz-Lüge«.
Kokettieren mit der angeblichen »Auschwitz-Lüge«
Aus der Ich-Perspektive wird die Geschichte eines enttäuschten »Lotto«-Spielers erzählt. Zwar kreuzte er die richtigen Zahlen an, aber der »Lotto«-Schein galt für einen anderen Wochentag. Das klingt zunächst harmlos – die eigentliche, perfide Absicht des Liedes wird erst im Kehrreim deutlich:
»Das ist die zig Millionenlüge, / es ist wirklich dreist, / man wird eh und je betrogen, die Wahrheit ist entgleist. / Zig Millionen gab es nie, / da könnt ihr euch sicher sein / und wer an dieses Märchen glaubt, / der ist ein ganz armes Schwein.«
Die vermeintliche »Auschwitz-Lüge« wird lediglich angedeutet. Aber: Die Fans können die extrem rechte Botschaft zweifelsohne entschlüsseln. Am Ende des Songs wird der simple Mechanismus auf die Spitze getrieben, indem die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung angedeutet wird:
»Ja wär‘ es so gewesen, / wäre die Geschichte wahr, / hätten die zig Millionen nicht gereicht, / das ist doch klar!«
»Jedem das Seine«
Ähnlich funktioniert die Wirkungsweise des Liedes Jedem das Seine, das auf demselben Album erschienen ist. Ebenso beginnt das Lied harmlos: Es beschäftigt sich damit, dass jeder Mensch unterschiedlich ist und seine eigenen Präferenzen, Wünsche und Eigenschaften besitzt:
»Der eine, der mag Schokoeis, / der andere mag Vanille. / Manche, die sind eher laut / und manche, die sind still. / Eine trägt die Haare lang, / ein anderer hat Löckchen. / Die eine mag’s im Negligé, die andere im Röckchen.«
In der Tat klingen diese Gegenüberstellungen banal. Aber plötzlich gipfeln sie in einer Assoziation mit den Konzentrations- und Vernichtungslagern des NS-Regimes:
»Der eine, der heißt Schlomo, / ein anderer heißt Günther, / einer dreht das Gas auf, / der andere friert im Winter.«
Die Assoziation ist perfide: Der Deutsche dreht das Gas auf, Schlomo (jüdischer Name!) leidet. Die eigentliche Intention des Liedes liegt im Singen des Refrains, in dem mehrfach »Jedem das Seine!« gerufen wird. Die Assoziation zum Nationalsozialismus liegt auf der Hand: Im Sinne von »Jedem, was er verdient!« richtete sich der Spruch, der über dem Haupttor des Konzentrationslagers Buchenwald stand, an die Insassen des Lagers.
Die Fans verstehen
Natürlich verstehen die Fans diesen Zusammenhang – und finden die äußerst zynische Note vermutlich witzig und unterhaltsam. Die beiden Lieder sind der beste Beweis, wie RechtsRock-Bands heutzutage texten – ohne in den Sumpf der Indizierungen oder gar Strafbarkeit zu geraten. Schließlich lassen RechtsRock-Labels und -Bands ihre Alben seit Jahren vor der Veröffentlichung anwaltlich auf strafrechtlich relevante Stellen prüfen.
Die Doppeldeutigkeit einzelner Zeilen, wie sie Act of Violence (deutsch: Gewalttat) in den beiden Liedern verwendet, ist eine Möglichkeit, um extrem rechte Botschaften zu verschlüsseln. Eine weitaus häufiger auftretende Möglichkeit ist die Verwendung von sprachlichen Codes, die von den RechtsRock-Fans entschlüsselt und verstanden werden. Antisemitismus, der im RechtsRock eine elementare Rolle spielt, wird selten offen und unverschlüsselt verbreitet.
Vermeintliche »jüdische Weltverschwörung«
In allen Ausprägungen des Antisemitismus stattdessen kennt die Sprache extrem rechter Musik eigene Codes, um antisemitische Bilder und Stereotype an seine Fans zu senden. Ob »die Auserwählten«, »Blutsauger« oder die Erzählung des »raffenden Kapitals«: Die Wurzeln antisemitischer Codes liegen meist in mittelalterlichen Legenden.
In extrem rechten Kreisen wird bis heute behauptet, ›der‹ Jude sei der Marionettenspieler und Staaten seien seine Marionetten: Die sogenannte »jüdische Weltverschwörung« bildet die Klammer, in antisemitisch verschlüsselten Liedtexten ist die Vorstellung des jüdischen Drahtziehers, der hinter den Kulissen die Politik, Wirtschaft und Medien lenkt, omnipräsent.
Umdeutung des Nationalsozialismus
So besingt auch das Allgäuer Nazi-Urgestein Faustrecht nicht nur Rassenkrieg und Nationalsozialismus. Im Titel Die Macht des Kapitals wird genau diese Assoziation einer Weltverschwörung geweckt ohne die vermeintliche Strippenzieher ausdrücklich zu benennen:
»Sie besitzen unsere Wirtschaft und kaufen unsere Seelen / Sind schon längst imstande, uns unser Land zu stehlen / Haben die Macht und Gelder, um die Richtung zu diktieren / Es sind nicht mehr Politiker, die unsere Länder führen.«
Im Kehrreim werden dieser vermeintlichen Verschwörung, »so verschlagen raffiniert« dann antisemitische Stereotype zugeordnet, um den »Feind der freien Welt« zu lokalisieren, der »unsere Völker knechtet, getrieben von Habgier«. Im Begleitheft des 2002 bei Oldschool Records erschienen Albums ist neben dem Text eine ebenfalls mit antisemitischen Stereotypen überzeichnete Figur abgebildet.
So gelesen stellten Faustrecht ihren Antisemitismus in dem 1997 erschienenen Titel F.G.B. besonders perfide dar. Dort wird – freilich wieder ohne es explizit auszusprechen – unterstellt , ›die‹ Juden hätten vom Zweiten Weltkrieg profitiert. Den Opfern des Nationalsozialismus soll so in revisionistischer Weise nicht nur Kriegsschuld untergeschoben, sondern letztlich auch am millionenfachen Mord in deutschen KZs.
Timo Büchner studierte Politische Wissenschaften, Soziologie und European Studies an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Hong Kong Baptist University sowie Jüdische Studien an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. In der Initiative »Mergentheim Gegen Rechts« engagiert er sich seit 2014 gegen die extreme Rechte. Zuletzt veröffentlichte er »Weltbürgertum statt Vaterland« bei Edition Assemblage