Geburtstag mit Live-Musik oder RechtsRock-Konzert? Geschlossene Gesellschaft oder konspirative Organisierung? Manchmal ist es eine Frage der Deutung, die den Unterschied macht, ob die Polizei ein Verbot durchsetzt – oder Neonazis gewähren lässt. Pfingsten profitierte davon die Skinheadkameradschaft Voice of Anger, die ein Konzert als Geburtstag deklarierte und es so trotz Verbot vor der Auflösung bewahrte.
Die Sonne steht tief über der Kleingartenanlage in Buxach-Hart, die Luft ist angenehm lau, und die letzten Familien packen ihre Gartengeräte und Freizeitutensilien zusammen. Ein ruhiger, sommerlicher Samstag klingt langsam aus. Doch ruhig wird es heute Abend nicht bleiben. Noch während die Gartenfreunde Parzellen und Parkplatz langsam leeren, füllt sich der Parkplatz wieder. Breitschultrige Typen steigen aus Fahrzeugen, deren Kennzeichen ein großes Einzugsgebiet aus mehreren Bundesländern und dem Ausland nahelegen. Ihr Ziel ist die alte Gartenschänke hinter den Kleingärten, von wo schon gedämpfte Musik herüber dröhnt. Spätestens jetzt suchen auch die letzten Hobbygärtner das Weite, die Neuankömmlinge haben den Platz für sich.
Ein regulärer Gastrobetrieb ist die alte Gartenschänke schon lange nicht mehr. Vor rund zehn Jahren kaufte es der Neonazi Boris G.. Seither dient es der Skinheadkameradschaft Voice of Anger als Clubheim. Zwar ist es nicht das einzige – und bei weitem nicht das größte – Gebäude, über das die Gruppe im Allgäu verfügt, in seiner Bedeutung für die Szene ist es aber nicht zu unterschätzen.
Von Anfang an kämpfte Voice of Anger erfolglos um ein dauerhaftes Clubhaus. Als ein Brandanschlag die Immobilie am Schrebergarten komplett zerstörte, bauten sie es als wichtigen Treffpunkt für die überregionale Szene wieder auf. Schon im ersten Jahr empfing Voice of Anger dort den kanadischen Neonazi David Allan Surette alias „Griffin“, Frontmann einer Band, die in ihrem Namen einen „heiligen Rassenkrieg“ propagiert. Auch andere internationale Größen des militanten NS-Milieus um Gruppen wie die Hammerskins oder die verbotenen Blood&Honour (B&H) kehrten in der Gartenschänke ein, am 20. April 2019 feierten die Hitler-Verehrer „Führergeburtstag“ und griffen Journalisten an. Das Konzert am fraglichen Abend diesen Jahres zog zu Pfingsten dasselbe einschlägige Milieu an.
Rassismus und NS-Verherrlichung aus Chile, USA, Mexiko und Deutschland
Für Rassismus und die Verherrlichung des Nationalsozialismus stehen etwa Orgullo Sur (deutsch etwa: „Südlicher Stolz“), die als derzeit beliebteste und bekannteste chilenische RechtsRock-Band der Einladung von Voice of Anger gefolgt waren. Beobachter verorten sie im Umfeld von Blood&Honour, einer Gruppe, die in Deutschland seit Jahren verboten, aber weiter aktiv ist. Ihre Anhänger betreiben ein Millionengeschäft mit der Verbreitung von neonazistischer Musik, brachten in der Vergangenheit über Zeitschriften, Booklets und Liedtexte auch Terrorkonzepte und -anleitungen in Umlauf.
Zudem für das Konzert angekündigt waren Total Annihilation („Totale Vernichtung“) aus den USA, die Sun City Skins aus Mexiko sowie Smart Violence („Kluge Gewalt“) aus NRW. Man kennt sich gut: Außer den Sun City Skins, deren Sänger 2022 eine gemeinsame CD mit dem Sänger von Orgullo Sur aufnahm, die beim deutschen Label Rebel Records Cottbus erschien, veröffentlichen sämtliche Bands über Oldschool Records, dessen Betreiber Benjamin Einsiedler international als Produzent, Verleger und Händler von RechtsRock-Musik und -Merchandise im Allgäu Millionen umsetzt und zugleich eine langjährige Führungsfigur für Voice of Anger darstellt.
Trotz Verbot…
Grund genug also für die Polizei gegen das Konzert vorzugehen? Die Stadt Memmingen sah es wohl so. Als Gerüchte über das bevorstehende Konzert die Runde machten, erließ sie ein Verbot sämtlicher nicht angezeigter und nicht genehmigter öffentlicher Vergnügungen im gesamten Stadtgebiet über das Pfingstwochenende. Im Falle von Verstößen, so hieß es, greife die Polizei ein und löse die Veranstaltung auf. Nur: Der Ankündigung folgten keine Taten. Zwar richtete die Polizei an allen Zufahrten nach Buxach-Hart Kontrollstellen ein, doch die Neonazis behaupteten schlicht, es handle sich um einen Geburtstag – und so ließ sie die Polizei gewähren.
Dabei ist es ein alter Hut, dass Neonazis ihre Konzerte, Feiern und Treffen als Geburtstagsfeiern deklarieren, um der Polizei eine Auflösung zu erschweren. Die Allgäuer Szene wendet diese Taktik schon seit bald 40 Jahren an. Mit Wurzeln in den wegen ihrer Ausrichtung am Nationalsozialismus und massiver Gewalttätigkeiten verbotenen Skinheads Allgäu 88 kennt Voice of Anger sich mit dem Unterlaufen von Verboten bestens aus.
… übernimmt die Polizei die Darstellung der Neonazis
Trotzdem übernimmt die Polizei im Nachhinein die Darstellung und bekräftigt auf Anfrage, es habe sich „um eine private Geburtstagsfeier mit geladenen Gästen“ gehandelt. Zwar lägen der Polizei Erkenntnisse vor, „dass auch nicht geladene Personen teilgenommen haben“ und „auch Live-Musik gespielt“ wurde. Diese sei jedoch „für unbeteiligte Dritte nicht wahrnehmbar“ gewesen. Die Veranstaltung hätte damit „keine Außenwirkung“ erzielt. Zugleich müsse noch ermittelt werden, „ob und in welchem Umfang die Veranstaltung öffentlich zugänglich war“.
Eine einfache Geburtstagsfeier war es indes offenkundig nicht. Allgäu rechtsaußen hat Bilder vorliegen, die Orgullo Sur auf der Bühne zeigen. Im Hintergrund ist ein großes Banner zu sehen. Darauf ist eine gezeichnete Skinhead-Band zu sehen, sowie Datum, Line-up und Titel des Konzerts: „Angry, live & loud 4“. Die Zahl steht für das vierte Event einer Konzertreihe. Keins davon hat die Polizei in der Vergangenheit erfolgreich unterbunden.
Anfang Oktober 2017 fand die Konzertreihe ihren Ursprung: Etwa 250 Personen feierten damals tatsächlich eine Art Geburtstag, das 15-jährige Bestehen von Voice of Anger. „Angry, live & loud 2“ sollte am 14. Juli 2018 ebenfalls bei Memmingen stattfinden, wurde dann aber verlegt, weil die Polizei ein Verbot zunächst erfolgreich durchsetzen konnte. Was dann geschah, bewies eindrücklich, wie professionell und straff organisiert Voice of Anger schon damals war: Spontan leitete die organisatorisch an Rockerclubs angelehnte Neonazikameradschaft die Anreise ihrer immerhin rund 200 Gäste in den benachbarten Landkreis Ravensburg um und beendete so die Zuständigkeit der bayerischen Behörden. Anders als in Bayern beschränkte sich die überrumpelte Polizei in Baden-Württemberg auf eine eilig eingerichtete Verkehrskontrolle, griff aber ansonsten nicht ein. Konzert Nummer drei fand schließlich am 1. Oktober 2022 in Memmingen statt.
Konsequenzen? Nicht wirklich.
Die Konzerte locken Anhänger einer international vernetzten militanten Neonaziszene ins Allgäu. Die Liste der Gäste spricht Bände. Etwa das 1988 gegründete Rechtsrock-Urgestein Mistreat aus Finnland, dem enge Kontakte zu den Hammerskins, einer selbsternannten Elite militanter Neonaziskinheads, nachgesagt wird. Oder Kommando Skin, die bereits vor einem Banner von Blood&Honour Deutschland und anderer einschlägiger Symbolik spielten.
Nach dem diesjährigen Konzert in der Kleingartenanlage müssen die Veranstalter keine Konsequenzen fürchten: Selbst wenn die Polizei ihre Auffassung zum Charakter der Veranstaltung noch revidiert, würde für den Veranstalter lediglich ein Bußgeld für eine Ordnungswidrigkeit fällig. Strafrechtlich ermittelt wird nur gegen einen Österreicher, der laut Polizei öffentlich außerhalb des Kleingartengeländes eine Hakenkreuzfahne schwenkte. Die Fahne wurde sichergestellt und der 21-Jährige kassierte eine Strafanzeige wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Es sollte die einzige Störung des eigentlich verbotenen Konzerts bleiben, die sich die Neonazis an diesem Abend gefallen lassen mussten. So darf Voice of Anger weiter davon ausgehen, noch lange unangefochten als größte und stabilste rechtsradikale Skinheadgruppierung in Süddeutschland aktiv sein zu können – und die laufende Expansion nach NRW vorantreiben.
(Titelbild: Parkplatzwache beobachtet die Szenerie während Voice of Anger Veranstaltung am 20. April, dem „Führergeburtstag“ 2019, in Neonazi-Clubheim in Buxach-Hart.)