Zwei junge Männer prügeln am Jahrmarkt in Lindau auf einen 19-jährigen Afghanen ein. Sie gehen besonders brutal vor, weil »Asylanten« immer mit dem Messer kämen, sagt einer vor Gericht.
Mit einem Schulterwurf bringt ein heute 23-jähriger Vorarlberger unter dem Riesenrad am letztjährigen Lindauer Jahrmarkt einen 19-jährigen Afghanen zu Boden. Ein bis dahin mit den Händen in den Hosentaschen in der Nähe stehender 18-jähriger Freund des Angreifers nimmt Anlauf und tritt zu. Wechselseitig prügeln sie auf den jungen Mann ein. Mit zwei Tritten trifft der 18-Jährige den Afghanen am Kopf, dann kann er sich aufrappeln und versucht wegzulaufen. Doch der Lindauer zieht ihm die Jacke über den Kopf und verpasst seinem Opfer zwei Kniestöße gegen den Kopf. Am Ende donnert der Vorarlberger das Opfer auf die Metallplatte des Riesenrades. So schildert die Lindauer Amtsrichterin Brigitte Grenzstein den Tatablauf, den sie dank eines Videos während der Gerichtsverhandlung nachvollziehen konnte.
»Ich habe schon viel gesehen, aber das war brutal«, sagte die Richterin, die den Übergriff vom 10. November 2019 verhandelte. »Das Opfer hatte keine Chance, sich zu wehren«, ist Grenzstein überzeugt. Der junge Mann habe Glück gehabt, mit einem Kieferbruch davongekommen zu sein. Der 18-jährige Hauptangeklagte aus dem Landkreis Lindau und sein fünf Jahre älterer Vorarlberger Komplize versuchten laut Grenzstein ihren Überfall vor Gericht als harmlose Rangelei abzutun und behaupteten, das Opfer habe die Schwester des einen und Freundin des anderen Angeklagten beleidigt. Der Betroffene jedoch versicherte für die Richterin glaubhaft, die junge Frau nicht zu kennen.
Tatmotiv »Ausdruck der Verinnerlichung extrem rechter Ideologie«
Warum der Hauptangeklagte so brutal angegriffen habe, nachdem sein Freund das Opfer auf den Boden geworfen habe, beantwortete er vor Gericht damit, dass »Asylanten« immer mit dem Messer kämen und aggressiv seien. Das wisse er aus den Medien. Richterin Brigitte Grenzstein versteht das als Schutzbehauptung, wie sie auf Nachfrage erklärt. Es gäbe »keine Hinweise, dass die Tat einen ausländerfeindlichen Hintergrund hatte«.
Steffen Huber, Berater bei B.U.D., der Beratungsstelle für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Bayern, kritisiert die Einschätzung des Gerichts. Es sei »unverständlich, dass das Gericht trotz der eindeutig rassistischen Aussage des Angeklagten und der Tatumstände in diesem Fall keinen rassistischen Hintergrund erkennen kann.« Die von dem Hauptangeklagten vorgebrachte Begründung der brutalen Tatausführung mit der angeblich besonderen Gewalttätigkeit von Geflüchteten deutet Huber als »Ausdruck der Verinnerlichung extrem rechter Ideologie. Auch die offensichtliche Schutzbehauptung, dass das Opfer vor der Tat Beleidigungen gegen die Begleiterin der Angeklagten ausgestoßen habe, deutet auf die rechte Gesinnung der Angeklagten hin«, so der Betroffenenunterstützer. In der extrem rechten Agitation werde seit Jahren eine Gefährlichkeit von Geflüchteten für »weiße Frauen« behauptet, um diese zu dehumanisieren. Sowohl die besondere Brutalität der Tatausführung als auch die Äußerungen während der Gerichtsverhandlung sprechen für Huber »klar für eine rassistische Tatmotivation und diese sollte auch als solche benannt werden.«
Wegen der besonderen Brutalität des Angriffs ermittelte die Polizei zunächst wegen versuchtem Totschlags. Die Staatsanwaltschaft kam allerdings dann »in ihrer rechtlichen Bewertung zu dem Ergebnis, dass die Angeklagten vom Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten sind, weil sie aufgehört haben so brutal auf ihr Opfer einzuwirken«, sagte Richterin Grenzstein.
Angeklagter in Handschellen abgeführt
Schließlich urteilte die Richterin auf drei Jahre Jugendstrafe für den jüngeren Angeklagten – und ließ ihn in Handschellen direkt aus dem Gerichtssaal abführen. Denn der Angeklagte gehe keiner Erwerbstätigkeit nach und habe im Chat mit dem anderen Angeklagten gesagt, dass er untertauchen wolle. In den Chatverläufen sei zudem eine »große Gefühllosigkeit« zum Ausdruck gekommen. Er war bereits einschlägig vorbestraft. Erst im August 2019 wurde er zum zweiten Mal wegen Körperverletzung verurteilt und kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Drei Monate später schlug er auf dem Lindauer Jahrmarkt wieder zu.
Den Vorarlberger verurteilte Richterin Grenzstein zu zwei Jahren auf Bewährung. Außerdem muss er 2500 Euro Schmerzensgeld an das Opfer bezahlen. Er hat das Urteil akzeptiert, der Lindauer Berufung eingelegt.